Weinrache. Susanne Kronenberg

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Weinrache - Susanne Kronenberg

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Stunde früher antreten könnte? Für diesen Samstag, den vorletzten Tag der Weinwoche, sei mehr als gewöhnlich vorzubereiten.

      Er rechnete demnach mit einem guten Geschäft. Norma vergrub die Zehenspitzen im Pelz des Katers, der sich unwillig mit dem Fußende begnügte. Eigentlich wollte sie sich mit dem Yogabuch beschäftigen und vor der Fahrt in die Stadt die ersten Übungen ausprobieren. Die Geschmeidigkeit der Katzen faszinierte sie von jeher, und mit Leopolds täglichem Beispiel vor Augen fand sie es an der Zeit, mehr für die eigene Beweglichkeit zu tun. Außerdem sollte Yoga viel Größeres bewirken, als die körperliche Fitness zu verbessern. Das versprach jedenfalls das Buch.

      Bruno wartete auf eine Antwort. Er könne sich selbst nicht um den Stand kümmern, erklärte er ungeduldig.

      Nach vergeblichen Bemühungen in den vergangenen Jahren hatte Bruno bei diesem Weinfest endlich den Sprung in die Riege jener prominenten Bürger geschafft, die auf dem Weinstand des ›Wiesbadener Kuriers‹ Getränke ausschenkten. Die Einnahmen kamen der Organisation ›Ihnen leuchtet ein Licht‹ zugute, die das Geld unter bedürftigen Wiesbadener Bürgern verteilte. Norma dachte an den Menschenstrom, den zwei Tage zuvor der Auftritt des hessischen Ministerpräsidenten herangelockt hatte. Eine gute Stunde seiner Zeit stellte der Landesherr für den guten Zweck zur Verfügung. Den Trubel hatte Norma von ihrem Arbeitsplatz aus ebenso gut beobachten können wie den Einsatz der uniformierten und zivilen Polizeibeamten, die auffällig und unauffällig für die erforderliche Sicherheit sorgen sollten.

      Norma wackelte mit den Zehen, um Leopold zum Spielen zu animieren. Er ging sofort darauf ein und holte zu einem sanften Hieb mit der Tatze aus. Leopold war ein zärtlicher Kater.

      »So ein Pech, dass du am Donnerstag nicht eingeladen warst.«

      Bruno prustete ins Telefon. Er lege überhaupt keinen Wert auf einen Ministerpräsidenten an seiner Seite, log er, und zählte die Namen der Personen auf, die seiner Gruppe zugeteilt waren; darunter eine Redakteurin vom Zweiten Fernsehen, ein Sportreporter und zwei Schauspieler des Staatstheaters.

      »Was ist jetzt? Kann ich auf dich zählen?«

      Die Yogaübungen mussten warten. Sie versprach, pünktlich zu sein.

      »Sag mal, Bruno«, fügte sie vorsichtig an, »Arthur hat mir gestern erzählt … Autsch!«

      Ein stechender Schmerz im Knöcheln ließ sie mitten im Satz stocken. Das Kopfkissen packen und gegen den Kater schleudern, war eine Bewegung. Leopold floh fauchend auf den Schrank. Norma betrachtete den blutenden Streifen, der sich vom großen Zeh bis zum Knöchel zog. Sie hatte Leopold unterschätzt. Sogar in dem behäbigen Kartäuser schlummerte ein Raubtier.

      »Was ist los?«

      »Nur der Kater.«

      »Nimm eine Tablette!«

      Norma lachte. »Dieser Kater kommt nicht vom Wein. Er stieg durch das Fenster.«

      »Du hast eine Katze?«

      »Nein, nicht ich, meine Vermieterin.«

      »Was wolltest du mir über Arthur erzählen?«

      »Lass uns später darüber reden. Bis nachher!«

      Norma wollte sich um ihren Fuß kümmern. Auf dem Bettlaken zeigten sich die ersten Blutflecken. Leopold hockte mit angezogenen Pranken auf dem Schrank und schmollte. Auf dem Weg ins Bad fühlte sie sich von seinen Blicken verfolgt. Als sie wieder herauskam, erwartete er sie auf der Schwelle.

      Sie bückte sich zu ihm herab. »Frieden?«

      Er maunzte, was sie als Einverständnis deutete. Das Frühstück nahmen sie gemeinsam in der Küche ein. Sie hielt immer sein Lieblingsfutter bereit; das einzige Fleisch, das ihr als Vegetarierin in den Kühlschrank kam. Sie hatte mit 15 Jahren beschlossen, keine Tiere mehr zu essen, und damit die Mutter vor den Kopf gestoßen, die nicht akzeptieren wollte, dass die eigene Tochter den auf dem Hof produzierten Schweinebraten verschmähte. Ihr Bruder Folke, der den Betrieb gemeinsam mit der Mutter führte, zeigte ebenso wenig Verständnis.

      Während Leopold seinen Napf ausschleckte, als hätte er seit Tagen gehungert – ein deutlicher Widerspruch zu seiner Linie – wollte sie Arthur anrufen, bekam über jeden Anschluss aber nur seine gespeicherte Stimme zu hören.

      Das Rasierwasser fiel ihr ein. Von einer Kundin hatte er es bestimmt nicht bekommen. Deren Geschenke, die ihm hin und wieder aufgedrängt wurden, versenkte er gewöhnlich in den hintersten Schubladen seines Aktenschranks. Hatte er eine neue Liebe? Die Vorstellung weckte ihre Eifersucht; ein verschwendetes Gefühl, war sie doch diejenige gewesen, die die Trennung gewollt und herbeigeführt hatte.

      Finde dich damit ab. Du bist gegangen. Und er ist dir keine Rechenschaft schuldig. In den vergangenen Wochen hatten sie oft tagelang nichts von einander gehört.

      Es gab keinen Grund, sich Gedanken zu machen.

      4

      Lutz Tann achtete auf seinen Atem, der am Ende der Laufstrecke ins Stocken geraten wollte, und umrundete im stetigen Schrittmaß die Mulde, die wie ein angedeutetes Amphitheater in die Wiese gegraben war. Danach hielt er in gerader Linie auf das weiße Tempelchen am Ende der Lichtung zu. Erst als er die Stufe hinaufgesprungen war, erlaubte er sich anzuhalten. Nach Luft schnappend, stützte er sich gegen eine Säule und schaute, solange er mithilfe des freien Arms den Oberschenkel dehnte, auf die Stadt hinunter, die sich unterhalb des Nerobergs ausbreitete: ein Mosaik aus Dächern, Straßenzügen und Kirchtürmen und hineingetupft das Grün der Gärten und Parkanlagen. Er wechselte die Seite und dehnte die Muskeln des anderen Beins, ohne den Blick von der Aussicht zu lassen. Das Gewitter der vergangenen Nacht hatte die Luft gewaschen. Er genoss den Ausblick wie eine Belohnung für die Anstrengungen nach der langen Runde durch den Rabengrund. Ein Schlenker hatte ihn an der Leichtweishöhle vorbeigeführt, in der zum Ende des 18. Jahrhunderts der des Wilderns beschuldigte Wiesbadener Bäcker Heinrich Anton Leichtweis gehaust haben soll. Der Streifen der Biebricher Allee, auf den Seiten von Bäumen gesäumt, deren Kronen aus der Ferne zu grünen Bändern verschmolzen, lenkte seinen Blick auf den im Sonnenlicht silbrig schimmernden Lauf des Rheins und darüber hinaus auf das sich hinter dem Strom ausbreitende Häusermeer der Stadt Mainz, Wiesbadens ebenso ungeliebte wie unentbehrliche Nachbarin.

      Sein Atem hatte sich beruhigt. Das Herz pumpte wieder stark und gleichmäßig im Ruhewert. Er war topfit, kein Zweifel, und würde so manchem Jüngeren davonlaufen, trotz seiner 59 Jahre. Bislang noch 59. Die 60 näherte sich unaufhaltsam. Obwohl er sich damit tröstete, das sei nur eine Zahl, mehr nicht, es zählte das gefühlte Alter, das bei ihm höchstens Mitte 40 betrug, nicht das Alter auf dem Papier: 60 blieb 60. Im kommenden Monat, Ende September, stand ihm der Tag der Tage bevor. Er hatte keine Lust auf eine Feier, aber was blieb ihm anderes übrig bei seinen Verpflichtungen? Ludwig Wilhelm Tanns 60.Geburtstag würde ein rauschendes Fest werden!

      Er zog das Stirnband vom Kopf und genoss den Luftzug, der den Schweiß trocknete, als er sich vom Monopteros abwandte und über die Wiese hinüber zur Bahnstation schlenderte. Der sonnige Samstagvormittag lockte die ersten Besucher hinauf auf Wiesbadens Hausberg, und wer den kurzen Anstieg scheute, konnte sich von der Nerobergbahn bequem hinaufbringen lassen. Der gelbe Waggon kroch Lutz entgegen, als er den Pfad ins Nerotal hinunterstieg. Vorn auf der Plattform stand ein junger Mann mit einem Kind an der Hand. Der blonde Junge winkte vergnügt und ließ ihn an Arthur denken, als dieser ein Schulkind war. Merkwürdig, wie oft er sich in der letzten Zeit auf dessen Kindheit besann. Er führte die unglücklichen Erinnerungen auf den Geburtstag zurück. Diese vertrackten 60, die ihm schonungslos klar machten,

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