Weinrache. Susanne Kronenberg
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Ungeachtet ihrer 50 Lebensjahre, von denen sie die meiste Zeit als Bedienung in Kneipen und Restaurants verbracht hatte, schien Gabi wie ein Kind an die heile Welt und die Beständigkeit der Liebe zu glauben. Norma konnte sich nicht vorstellen, dass Diane Fischer außer der eigenen Person ein anderes Wesen als ihr Hündchen, eine kurzatmige Pekinesenhündin, lieben könnte. Moritz Fischer war nicht weniger selbstverliebt. Seine Eifersucht entsprang nach Normas Einschätzung einem reinen Besitzdenken, und er mochte seiner Frau kaum die kleine Cleo gönnen, an der Diane mit einer Affenliebe hing. Diese Meinung behielt Norma für sich. Sie wollte dem Paar nichts Böses nachsagen und Gabi damit verleiten, diesen Klatsch in der Weinstube unter die Leute zu bringen.
Der Polizei gegenüber war Offenheit gefordert. Unmittelbar nach den Ereignissen hatte Norma nur kurz mit ihren ehemaligen Kollegen gesprochen. Am frühen Sonntagnachmittag kam es zu einem ausführlichen Gespräch. Dirk Wolfert und Luigi Milano suchten Norma auf dem Weinfest auf. Ganz und gar in dienstlicher Mission lehnten sie ihre Einladung zu Kartoffeln mit grüner Soße ab und verschmähten selbst ein Glas Wein. Milano wollte lieber einen Espresso, den Norma nicht anzubieten hatte. Sie bat Gabi um eine Pause und begleitete die Kriminalbeamten die wenigen Schritte hinüber zum ›Havanna‹, das dem neuen Rathaus gegenüberlag. Draußen vor dem Eingang waren alle Plätze besetzt, aber drinnen bot das Lokal, eine urige Mischung aus Bar und Café, genügend Auswahl an freien Tischen. Milano strebte am Tresen vorbei in den hinteren Bereich, in dem sie ungestört reden konnten. Er ließ sich auf einem Stuhl nieder, der sich unter der korpulenten Gestalt in ein Kindermöbel verwandelte. Der dünne Wolfert setzte sich seinem Kollegen gegenüber und bedeutete Norma mit einer Handbewegung, zwischen beiden Männern Platz zu nehmen.
Sie warteten schweigend, bis die Bedienung die Bestellung aufgenommen hatte. Für einen Augenblick rief Norma sich Wolfert und Milano als jene jungen Polizisten in Erinnerung, die kurz nach ihr den Dienst angetreten hatten und damals mit Feuereifer bei der Sache waren. Ein spektakulärer Mord wie dieser hätte ihr Jagdfieber explosionsartig entfacht. Nun wirkten beide eher gelangweilt, wenn nicht sogar abgebrüht. Doch Norma war sich bewusst, dass beider Fähigkeiten als Ermittler darunter nicht leiden mussten. Erfahrung und Routine glichen das Quantum Arbeitseifer aus, das den Männern mittlerweile abhanden gekommen sein mochte.
Milano stützte seine fleischigen Ellenbogen auf die Tischplatte und nickte ihr auffordernd zu. »Also, Norma, wiederhole noch einmal, was du gestern beobachtet hast!«
Kollege Wolfert blätterte unterdessen in seinem Notizbuch. Bei dem Gespräch am Tag zuvor hatte er ihre Aussage mitgeschrieben. Norma wollte ihnen die Arbeit erleichtern und schilderte die Einzelheiten mit akribischer Genauigkeit. Über den mordenden Mönch selbst konnte sie nur vage Angaben machen. Über Nacht waren ihr keine weiteren Einzelheiten eingefallen. Milano und Wolfert wirkten enttäuscht, weil sie mit dem Mönch nicht weiterkamen, ließen Norma aber trotzdem an ihrem derzeitigen Erkenntnisstand teilhaben. Danach war inzwischen immerhin auszuschließen, dass der Mönch zur Görlitzer Gruppe gehört. Das Mönchskostüm war aus einem Raum im Rathaus gestohlen worden, den man der Gruppe zum Umziehen zur Verfügung gestellt hatte. Ob der Diebstahl in der Nacht von Freitag auf Samstag oder erst am Vormittag stattgefunden hatte, stand noch nicht fest. Unbestritten schien, am Samstagmorgen war es dort wie im Taubenschlag zugegangen.
»Könnte Moritz Fischer ein zufälliges Opfer sein?«, fragte Norma.
Milano hob ratlos die Schultern. »Das wissen wir noch nicht. Falls der Mörder es gezielt auf ihn abgesehen hatte, brauchte er die Dienstzeiten der Prominenten nur im Internet nachzulesen. Das war kein Geheimnis.«
Ein junger Mann trug ein Tablett heran. Er stellte je eine Tasse Kaffee, Espresso und Milchkaffee auf den Tisch und wandte sich mit einem Lächeln ab.
Milano schob Norma den Milchkaffee zu. »Du sagtest, du kanntest Moritz Fischer.«
Norma griff nach der Tasse. »Wir standen uns nicht nahe, falls du das meinst, Luigi. Fischer ist ein Schulfreund meines Mannes. Ab und zu haben wir uns privat mit Fischer und seiner Frau Diane getroffen. In den vergangenen Jahren hat Arthur mit Fischer geschäftlich eng zusammengearbeitet.«
Wolfert zückte den Bleistift. »Wie sah diese Zusammenarbeit aus?«
Norma hatte die Wohnung ohne Frühstück verlassen und seitdem nichts zu sich genommen. Ihr Magen war wie zugeschnürt. Vorsichtig nippte sie an der Tasse. »Arthur und Fischer haben dieselbe wohlhabende Klientel: Fischer renoviert die Villen, und Arthur stattet sie mit alten Möbeln und Gemälden aus.«
Wolfert beugte sich vor und fixierte Norma durch seine dicken runden Brillengläser. »Wieso sprichst du von Fischer? Wieso nennst du ihn nicht Moritz?«
Norma nahm einen zweiten Schluck Milchkaffee. Noch revoltierte ihr Magen nicht. »Man soll Toten nichts nachsagen. Aber ich konnte ihn nicht leiden. Fischer klingt distanzierter.«
Milano grinste. »Hatte er weitere Feinde außer dir?«
Er besaß die schwarzen Augen seiner italienischen Eltern, war aber, wie Norma wusste, ein echter Wissbader Bub.
Norma begegnete seinem Blick. »Wenn alle, die mir unsympathisch sind, meine Feinde wären … Fischer war ein Egoist. Arrogant und immer auf seinen Vorteil bedacht. Ich hatte wenig mit ihm zu tun, und Arthur wusste ihn zu nehmen.«
»Und die anderen Geschäftspartner?«, fragte Wolfert. Hinter den Gläsern verschwammen seine wasserblauen Augen. »Wie wusste zum Beispiel Bruno Taschenmacher seinen Freund Fischer zu nehmen?«
Norma blickte zu einem benachbarten Tisch hinüber, an dem ein junges Paar Platz genommen hatte. Beide hielten sich an den Händen und flüsterten verliebt.
Norma konzentrierte sich auf das Gespräch. »Fischer besaß alles, was auch Bruno wollte: Anerkennung, Macht, Einfluss, reiche Freunde und eine Frau, mit der er sich bei gesellschaftlichen Anlässen blicken lassen konnte. Bruno ist seit Kurzem wieder allein. Seine Frau hat ihn verlassen.«
Agnieszka war nach wenigen Ehejahren in ihre polnische Heimat zurückgekehrt. Aus Heimweh, behauptete Bruno.
Norma zögerte. »Eines kam mir immer seltsam vor.«
»Und das wäre?«, fragte Milano, während er eine halbe Tüte Zucker in seinen Espresso schüttete.
»Nun, Bruno ist ein impulsiver Mensch«, erklärte sie, ihre Gedanken ordnend. »Gefühlsbetont. Ein bisschen sentimental sogar.«
»Du meinst, er ist einer, der im Kino heult?« Milano rührte in der Tasse und lachte glucksend.
Wolfert schickte ihm einen missbilligenden Blick.
Norma setzte zu einer ausführlichen Erklärung an. »Was ich meine, ist: Bruno hat niemals Anzeichen von Neid gezeigt, was verständlich wäre. Fischer kommt aus einem reichen Elternhaus, ebenso wie Arthur. Sie bewegen sich auf vertrautem Terrain. Bruno musste sich nach oben kämpfen. Fischer hat er angebetet. Nicht ganz so sehr, wie er Arthur vergöttert. Beide Freunde, vor allem aber Fischer, haben sich Bruno gegenüber oft niederträchtig verhalten. Aber Bruno ist der Typ, der alles in sich hineinfrisst und nach außen die gute Miene macht.«
Eine rundliche Frau eilte auf ihren Tisch zu. Am Stand sei der Teufel los, erklärte Gabi außer Atem. Sie komme sofort, versprach Norma, und Gabi zog wieder los.
»Einen Moment noch, Norma«, bat Wolfert. »Taschenmacher und Fischer schmieden große Pläne mit der ›Villa Stella‹, heißt es.«