Weinrache. Susanne Kronenberg

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Weinrache - Susanne Kronenberg

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den Verkaufsbuden mehr Raum. Doch auch hier waren bereits die meisten Tische und Bänke besetzt. Das Weinfest galt als beliebter Anlass zu einem Treffen mit Verwandten und Bekannten ebenso wie mit Geschäftspartnern und Kollegen, und man ließ sich den Riesling schon am Vormittag schmecken.

      Gegen halb 12 machte man sich in allen Ständen, die Snacks und warme Mahlzeiten anboten, auf den bevorstehenden Mittagsansturm gefasst. Gabi hatte aus der Küche des ›Räuber Leichtweis‹ einen Tagesvorrat an Handkäs und grüner Soße samt der Kartoffeln heranschaffen lassen und zeigte den beiden Studentinnen, wie die Portionen zu verteilen waren, während Norma schon einmal Teller und Besteck bereitstellte. Der Fußboden in Brunos Verkaufswagen lag um drei Tritte erhöht, und so bot sich Norma, wenn sie von ihrer Arbeit aufsah, über die Köpfe der Besucher hinweg ein freier Blick auf den Stand des ›Wiesbadener Kuriers‹ vor den Stufen der breiten Rathaustreppe. Unter den zwei Damen und vier Herren, die zu dieser Stunde im Einsatz waren, hatte sie einen Bundestagsabgeordneten und einen Wiesbadener Galeristen erkannt. Bruno blieben nur noch wenige Minuten, bis sein karitativer Dienst begann. Am frühen Morgen hatte er sich am eigenen Stand blicken lassen und war, wie an den anderen Tagen auch, im Handumdrehen verschwunden, um im ›Parkhof‹ nach dem Rechten zu sehen.

      Norma bückte sich nach einer Gabel. Als sie sich wieder aufrichtete, entdeckte sie Bruno auf der Rathaustreppe. Langsam stieg er die Stufen hinunter: Ein behäbig und schwerfällig wirkender Mann, dessen flinke Beweglichkeit man leicht unterschätzte. Am Stand kam es zu einem Gedränge, bis Bruno und seine Kollegen und Kolleginnen auf Zeit die Plätze eingenommen hatten. Die Studentinnen diskutierten tuschelnd, ob die Fernsehredakteurin so attraktiv war wie auf dem Bildschirm.

      Bruno lächelte matt und winkte den Menschen ringsherum linkisch zu. Bereits am Morgen war er Norma auffallend unruhig vorgekommen. Nun zeigten seine runden, sonst rötlichen Wangen eine ungewöhnliche Blässe. Unablässig fuhr er sich mit einem Taschentuch über den Nacken. Die Einladung des ›Kuriers‹ erfüllte ihn mit Genugtuung; darin war sich Norma sicher. Aber seine Nervosität ließ sich damit nicht erklären. Etwas anderes musste ihm zu schaffen machen. Fischers Verrat vielleicht?

      Für den Architekten wurde es höchste Zeit, seinen Dienst anzutreten. Endlich entdeckte Norma in der Menge die schlanke Gestalt mit den hellen aufgebürsteten Haaren und einem jungenhaften Lächeln. Moritz Fischer eilte dicht an ihr vorbei, ohne sie zu bemerken – oder bemerken zu wollen – und bahnte sich, unermüdlich um Entschuldigung bittend, gegen den Besucherstrom einen Weg zum Prominentenstand. Dort wurde er von einer Dame hineingebeten. Sie schien von ihrem Gast entzückt. Moritz Fischer war es in den vergangenen Wochen, vor allem dank der ›Villa Stella‹, öfter denn je gelungen, sich ins Gespräch zu bringen. Eilfertig verteilte er Küsschen unter den Damen und reichte den Männern die Hand. Bruno blickte auf seine Finger, als hätte er sich am Herd verbrannt, und würdigte den Architekten danach keines Blickes.

      Normas Beobachtungen wurden von einem jungen Paar unterbrochen. Sie nahm die Bestellung auf und richtete zwei Portionen Kartoffeln mit grüner Soße an. Kaum hatte sie die Teller weitergereicht, wurde sie von einem adrett frisierten Lockenkopf angesprochen.

      »Hallo, Norma. Wie gehts denn so?«, säuselte Diane Fischer.

      Norma durfte sicher sein, an ihrem Wohlergehen war niemand weniger interessiert als Diane. Es musste ihr ein diebisches Vergnügen bereiten, Norma in Brunos Bude schuften zu sehen. Man konnte nicht sagen, dass die elegante Frau nicht arbeiten wollte. Sie war außerordentlich fleißig. Allerdings, wie sie niemals zu betonen vergaß, ausschließlich im schöpferischen Bereich und vorzugsweise im Architekturbüro ihres Mannes Moritz. Für ihre Entwürfe hatte sie zahlreiche Preise erhalten. In die Tat umgesetzt worden war bisher kaum eine der anspruchsvollen Ideen.

      »Weißt du, wo Arthur steckt?«, folgte auch sogleich die Frage Nummer zwei.

      An deren Beantwortung schien Diane tatsächlich gelegen. Ihre schwarzen Mandelaugen blickten erwartungsvoll. Diese exotischen Augen und das mädchenhafte Gehabe, das Diane mit Anfang 30 zur Perfektion ausgefeilt hatte, gefiel nicht nur Moritz. Auch Bruno war Diane überaus zugetan, ohne damit auch nur eine Spur Ärger aus Fischer herauszukitzeln. In Bruno sah Fischer, der mit seiner Eifersucht gewöhnlich nicht hinter dem Berg hielt, keine Konkurrenz. Auch vor Arthur musste er sich nicht vorsehen. Keinesfalls aus mangelnder Attraktivität, sondern weil Arthur sich von einer Kindfrau wie Diane nicht um den Finger wickeln ließ. Das Mädchengetue gehe ihm gehörig auf die Nerven, behauptete er standhaft.

      Diane kräuselte missmutig die Stupsnase. »Weißt du, wo Arthur steckt? Wir hatten uns um 11 Uhr im Laden verabredet. Aber er war nicht da.«

      Sie wolle sich einige Bildbände ausleihen, die sie auf innovative Gestaltungsideen bringen sollten, fügte sie mit bedeutungsvoller Miene hinzu.

      Norma häufelte einen Schlag dampfender Kartoffeln auf einen Teller. »Vielleicht führt er ein innovatives Kundengespräch.«

      Diane musterte die Kartoffeln abschätzig. »Trotzdem könnte er sein Handy anstellen! Das steht sonst immer auf Empfang. Seit gestern Nacht kann ich ihn nicht erreichen.«

      Die Bücher schienen ihr sehr am Herzen zu liegen!

      Norma versicherte, keine Ahnung zu haben, wo Arthur sich herumtreiben mochte. Sie hatte nicht die Absicht, von dem Streit zu erzählen. Diane wartete unschlüssig ab und schaute zum Kurierstand hinüber, hinter dessen Tresen ihr Mann Moritz eine Weinflasche nach der anderen entkorkte und vor guter Laune zu bersten schien, während Bruno sich untätig in eine Ecke drückte und still vor sich hin schwitzte.

      »Bruno mutiert zielstrebig zum fettsüchtigen Grizzly«, murmelte Diane ganz und gar unmädchenhaft. »Wer ist der Mann im Anzug? Sollte man den kennen?«

      Der Anzugträger war kurz nach Moritz Fischer eingetroffen. Norma wusste von Gabi, um wen es sich handelte. Sie griff nach einem Putztuch und wischte einen Spritzer Soße vom Tresen. »Das ist ein Vertreter der Stadt Görlitz. Du weißt sicher, dass Görlitz eine Wiesbadener Partnerstadt ist? Die Stadt will bei uns für ihr Altstadtfest werben.«

      »Ach so«, murmelte Diane, bereits von der eigenen Frage gelangweilt, und hob die Hand, um mit den Fingerspitzen Moritz zu winken, der seine Frau entdeckt hatte und ihr eine überschwängliche Kusshand zuwarf.

      Affig, dachte Norma. Alle beide.

      Die jüngere der Studentinnen, der die Unternehmungslust aus den Augen blitzte, mischte sich in das Gespräch. »Ich kenne Görlitz und das Altstadtfest! Das ist ein tolles Event! Alle verkleiden sich mittelalterlich. Irre Kostüme und so! Bringt jede Menge Spaß. Hört ihr das?«

      In das Stimmengewirr rings herum, in das Klappern der Teller und Klirren der Gläser mischten sich ein schneller Trommelschlag und die Rufe einer kräftigen Männerstimme. Norma reckte den Hals und spähte zur Marktstraße hinüber. Vom alten Rathaus her näherte sich eine bunte Gesellschaft. Vorneweg schritt ein Mann in grüner Robe, eine Erscheinung, die in Norma die Assoziation ›stattlich‹ weckte. Er bat die Zuschauer mit volltönender Stimme, der Görlitzer Bürgerschar Auge und Ohr zu schenken. Wer das Mittelalter erleben wollte, sollte zum Altstadtfest nach Görlitz reisen, forderte er die Umstehenden auf. Der Junge neben ihm, in einen groben Leinenanzug gekleidet, schwenkte mit konzentriertem Gesicht eine Standarte, auf der ein Adler und ein Löwe abgebildet waren. Dahinter folgte eine muntere Gesellschaft von Mönchen, Mägden, Kaufleuten und anderen robust gekleideten Männern und Frauen. Die Trommler erhöhten die Takte, und dazu erklang eine fröhliche Melodie, von einem blonden Mädchen auf der Querflöte gespielt. Die Weinfestbesucher begannen im Takt der Trommeln zu klatschen und gaben den Weg frei. Diane drückte sich naserümpfend an den Tresen, als ein als Gaukler verkleideter Görlitzer ihr mit einem anzüglichen Grinsen zu nahe rückte.

      Angeführt von

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