Tannenruh. Willi Keller
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»Ich kann mich an nichts Besonderes erinnern. Abgesehen davon, dass diese Fälle an sich etwas Besonderes sind. Die Unterlagen füllen inzwischen etliche Aktenordner. Und die Datensammlung wächst noch immer. Außerdem kenne ich nicht jedes Detail. Wenn ich an die Felder denke, die ich beackere, fällt mir spontan nichts ein. Das will natürlich nichts heißen. Ich bin nicht bei allen Besprechungen gewesen in den letzten Monaten. Oft haben sie mich im Kriminaldauerdienst eingesetzt, das habe ich dir ja schon erzählt. Alles, was ich mitbekommen habe, wirkt nicht merkwürdig. So, und hier sollten wir einen Punkt machen, Alban. Denn wir wollen eigentlich den Fall hier beleuchten. Wenn es überhaupt einer ist. Was hast du denn bisher herausgefunden?« Jetzt war es Tammy, die eine thematische Kehrtwende vollzog.
Berger zog sein Notizbuch, das er immer bei sich hatte, aus der Jacke, die über der Rückenlehne des Stuhls hing, und blätterte darin. »Viel ist es nicht. Die Bergwacht und der zuständige Polizeiposten gehen von einem Unglück aus. Eine Fremdeinwirkung halten sie für nahezu unmöglich. Aber sie wundern sich, dass man an der Unglücksstelle abstürzen kann. Das hast du sicher auch auf deinem Tablet. Was mich etwas stutzig macht, ist die Tatsache, dass weder im Zimmer des Argentiniers noch in seiner Kleidung, die er zum Zeitpunkt des Unglücks getragen hat, ein Smartphone zu finden ist.«
»Und Notebook oder Tablet? Du hast doch sicher sein Zimmer gründlich untersucht.«
»Auch nichts. Aber ein hochwertiges Abspielgerät für CDs. Er hat anscheinend ein Faible für Musik gehabt. Mindestens 40 CDs sind auf seinem Schreibtisch gestapelt. Darunter viel Tangomusik, zum Beispiel Werke von Astor Piazzolla. Zu seinen Hinterlassenschaften zählen außerdem teure Zigarren. Er ist nicht der Ärmste gewesen. Das sieht man auch an seiner Kleidung. Die anderen Gäste machen ebenfalls den Eindruck, dass sie nicht am Hungertuch nagen, eher am Hummertuch.«
»Sehr witzig, Alban. Mich interessieren nicht die anderen Gäste, sondern das Zimmer von diesem Borges. Was ist dir noch aufgefallen?«
»Alles ist sauber aufgeräumt. Ich würde mal sagen: zu sauber. Was auch sehr komisch ist: Die Angestellten sind sehr zurückhaltend. Die sagen nur das Nötigste, wenn überhaupt. Feststeht, dass der Argentinier zu anderen Gästen so gut wie keinen Kontakt gehabt hat. Einmal hat ihn angeblich ein anderer Gast bedrängt. Behauptet eine der Bedienungen. Herr Borges habe sich bei der Hotelleitung beschwert, sagt sie. Dieser Gast sei nicht mehr aufgetaucht. Ihre Aussage hat mir niemand sonst bestätigt. Außerdem habe er sich immer an einen Einzeltisch im hintersten Eck gesetzt mit Blick auf Tür und Buffet. Das hat mir die Bedienung auch noch erzählt. Sie heißt Orsolja und ist die Gesprächigste von allen. Heute Morgen habe ich nach ihr gefragt. Da hat es geheißen, sie habe Urlaub genommen. Möglicherweise hat sie mir zu viel gesagt. Das Personal macht den Eindruck, als stehe es unter besonderem Druck. Ich habe auch versucht, Gäste zu befragen. Alle haben gesagt, sie wüssten nichts. Möglicherweise sind sie von der Hotelleitung aufgefordert worden, den Mund zu halten. Es sind zurzeit überwiegend ausländische Gäste hier, viele aus Südamerika. Ich habe mir die Gästeliste zeigen lassen. Ich wundere mich, wie das hier mit der Werbung läuft. Offenbar legt die Leitung des Hotels keinen Wert auf einheimische Gäste. Es sind nur wenige Deutsche darunter. Das Hotel macht seinen Gästen ein umfangreiches Angebot an Kultur, Fahrten zum Festspielhaus Baden-Baden, Ausflüge. Und viele Vorträge. Religiöse und politische Themen sind der Schwerpunkt. Die Referenten sind ebenfalls international.«
»Ich habe gestern Abend noch die Homepage des Hotels aufgerufen. Da steht, dass sie im Aufbau ist. Sonst nichts.«
»Das ist mir auch passiert. Das passt nicht zu einem internationalen Hotel. Aus dem Prospekt wird man auch nicht schlau. Es geht nicht daraus hervor, wer das Haus führt. Ein Familienbetrieb scheint es nicht zu sein. Und es gehört vermutlich auch nicht zu einer Hotelkette. Dafür ist es zu individuell gestaltet. Was hat den Argentinier nur bewogen, in dieses abgelegene Hotel zu kommen? Wie hat er von ihm erfahren? Vielleicht durch einen Bekannten aus Südamerika, der ihm das Programmheft zukommen ließ? Selbst wenn, ich kann mir nicht vorstellen, dass ihn das Programm gereizt hat. Eines ist übrigens interessant. Das hätte ich jetzt fast übergangen. Borges hat sich aller Wahrscheinlichkeit nach mit jemandem von außerhalb getroffen.«
»Hier im Hotel? Weißt du schon, mit wem?«
»Ja. Der Polizeiposten, der den Absturz untersucht hat, hat mir heute Morgen mitgeteilt, dass in der rechten Manteltasche des Argentiniers eine zerknüllte Visitenkarte gefunden worden ist. Die haben sie erst jetzt entdeckt. Er hat sich entschuldigt, dass sie die Visitenkarte übersehen haben. Hoffen wir, dass das der einzige Fehler in diesem Fall ist. Es handelt sich um einen Dr. Falco Gmeiner. Falco mit ›c‹. Und das ›c‹ sei unterstrichen. Dieser Dr. Falco Gmeiner wohnt in Oppenau. Die Visitenkarte sei etwas abgerieben und aufgeweicht, aber gerade noch leserlich. Die muss der Argentinier also schon vor längerer Zeit in seine Manteltasche gesteckt haben. Wo und ob überhaupt die zwei sich getroffen haben, kann ich nicht sagen. Als Beruf gibt dieser Falco Gmeiner auf der Visitenkarte ›Dozent für Volkskunde‹ an. Die Handynummer habe ich. Den müssen wir noch anrufen.«
»Das können wir doch gleich machen.«
»Wie du meinst.« Berger nahm sein Dienst-Smartphone und tippte die Nummer ein. Es dauerte eine Weile, bis sich jemand meldete.
Eine sympathische Stimme sagte: »Dr. Falco Gmeiner, Falco mit ›c‹. Wer ist da, bitte?«
»Berger. Alban Berger. Kriminalpolizei Offenburg.«
Noch bevor Berger sein Anliegen vorbringen konnte, fragte Gmeiner: »Habe ich etwas verbrochen?« Er klang nicht erschrocken, eher neugierig.
»Nein. Es geht um einen Gast im Hotel Schatzhauser, einen argentinischen Staatsbürger. Wir haben in seinen Unterlagen eine Visitenkarte von Ihnen gefunden. Haben Sie mit ihm Kontakt gehabt?«
»Ich habe mit einem Argentinier Kontakt gehabt, stimmt. Mit Señor Borges. Was ist mit ihm?«
»Er ist vermutlich tödlich verunglückt. Mehr kann ich nicht sagen.«
Gmeiner ließ Berger wieder nicht weiterreden. »Das Wort ›vermutlich‹ lässt einiges offen. Das heißt, Sie sind nicht hundertprozentig davon überzeugt, dass er verunglückt ist.«
»Ich spreche vermutlich mit einem Sprachwissenschaftler oder Semantiker. Die Sache ist ganz einfach. Der Fall ist überschaubar, aber wir müssen routinemäßig Fragen klären. Das ist unser Job. Zu Ihrer Beruhigung: Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir nicht von Fremdeinwirkung aus. Wir wollen das allerdings mit Ihnen nicht am Handy besprechen. Können wir uns heute Nachmittag treffen?«
»Bin ich zu einem Treffen verpflichtet?«
»Nein. Zum Erscheinen verpflichtet sind Sie nur, wenn Sie eine schriftliche Vorladung bekommen, von der Staatsanwaltschaft. Es geht um ein paar Fragen. Sicher können Sie uns weiterhelfen.«
»Und wo wollen Sie sich mit mir treffen?«
»Im Hotel Schatzhauser, wenn Ihnen das recht ist?«
»Das ist mir überhaupt nicht recht. Da gehe ich auf keinen Fall hin.«
»Und warum nicht?«
»Das sage ich Ihnen am Handy nicht.«
»Dann machen Sie einen Vorschlag.«
»Oppenau, das Café gegenüber der Weinbrenner-Kirche in der Stadtmitte. Es ist nicht zu verfehlen. 14.30 Uhr. Auf der Terrasse. Das Wetter