Tannenruh. Willi Keller

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Tannenruh - Willi Keller

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ebenfalls kurz angebunden. Das lag wahrscheinlich nicht an seinem Schulenglisch, vermutete Berger. Auf der Gästeliste standen neben einigen Südamerikanern auch zwei Deutsche und ein Schweizer. Die deutschen Gäste waren angeblich auswärts. Und der Schweizer gab vor, er sei erst vorgestern angereist. Laut Gästeliste war er aber schon vor fünf Tagen angekommen. Warum hatte er ein falsches Datum genannt? Oder hatte er sich einfach vertan?

      Die Befragungen erwiesen sich insgesamt als Fehlschlag. Sie waren zwar nicht entscheidend für die eigentliche Untersuchung des Unglücks, warfen aber ein seltsames Licht auf das Hotel, das Personal und die Gäste. Als Berger mit allen, die zur Verfügung standen, gesprochen hatte, wurde ihm an der Rezeption der Zimmerschlüssel des Argentiniers ausgehändigt. Die Geschäftsführung sei nicht zu erreichen, hieß es. Er hätte sich gerne mit der Geschäftsführung unterhalten, wurde aber vertröstet. Erzwingen konnte er einen Gesprächstermin nicht. Er hatte ja nur den Auftrag, zu prüfen, ob beim Sturz des Argentiniers ein Fremdverschulden auszuschließen war. Dazu musste er an den Unglücksort. Den konnte er zusammen mit Tammy erst bei Tageslicht untersuchen.

      Also nahm sich Berger zunächst das Zimmer des Toten vor. Zwei große Koffer standen links neben der Tür. Das Bett war frisch bezogen, im Badezimmer alles abgeräumt. Auf dem Schreibtisch im Wohnbereich lagen zahlreiche CDs, obenauf Robert Schumanns Opus 35: »12 Gedichte, Sehnsucht nach der Waldgegend«, ein CD-Spieler, ein Kopfhörer, einige Bücher in deutscher und spanischer Sprache, ein großes Etui, das sich als Zigarrenkiste entpuppte, und ein Behälter, in dem Besteck für Zigarren lag. Berger öffnete beide Koffer, die überwiegend Wäsche enthielten. Er breitete den kompletten Inhalt auf dem Bett aus, fand aber nichts Aufregendes oder Verdächtiges.

      Das, worauf es ihm vor allem ankam, entdeckte er nicht: moderne Kommunikationsmittel. Heute reiste doch kaum jemand ohne Smartphone, Notebook oder Tablet! Er untersuchte die Koffer nach Zwischenräumen. Nichts. Berger rief den Zimmerservice und fragte, warum hier alles aufgeräumt sei. Das habe die Geschäftsführung so angeordnet. Auch die Koffer müssten bald weg. An ein Smartphone oder ein Notebook oder ein Tablet erinnerte sich der Mann vom Zimmerservice nicht.

      Berger hatte sich für 20.45 Uhr zum Abendessen eintragen lassen, was die Rezeption wegen der späten Uhrzeit missbilligend aufgenommen hatte. Aber die Küche hatte bis 21.30 Uhr geöffnet, so stand es jedenfalls im Prospekt. Bei den Befragungen hatte er von einer Bedienung erfahren, dass der Argentinier einen Tisch in einer Ecke des Speisesaales bevorzugt hatte, von dem aus man alles beobachten konnte. Diesen Tisch ließ er sich reservieren. Die Bedienung hatte in dem Gespräch einen verängstigten Eindruck gemacht. Hatte sich der Argentinier verfolgt gefühlt?

      Bis zum Abendessen hatte Berger noch fast eine Stunde Zeit. Die Pause nutzte er, um sich in der Bibliothek umzusehen. Morgen vor dem Frühstück wollte er alle Stockwerke des Hotels anschauen. Die Bibliothek befand sich im Untergeschoss. Mit einer Handbewegung hatte ihm der Mann an der Rezeption den Weg gezeigt. Langsam ging Berger die breite Holztreppe hinunter, die mit einem dicken dunkelgrauen Teppich ausgelegt war, der jedes Geräusch schluckte. Die Betreiber des Hotels, die in ihrem Prospekt die Stille priesen, trieben die Lautlosigkeit auf die Spitze. Am Ende der Treppe befanden sich rechts die Toiletten, gegenüber zwei Privaträume. Ein Stück weiter passierte Berger einen Raum, an dem ein Schild mit der Aufschrift »Meditation« angebracht war. Es folgten links ein Gebetsraum und rechts ein Seminarraum. Der Gang endete an der Bibliothek. Er drückte die Klinke.

      Lautlos schwang die Tür auf und gab den Blick frei auf einen riesigen Raum, der an den Wänden voll von Büchern war, vom Boden bis zur Decke. Alles war ausgefüllt mit kerzengerade aneinandergereihten Büchern, die stolz ihren Rücken präsentierten. In jeder Ecke standen ein Sessel und ein Lesetisch mit einer nostalgischen Lampe. An jeder Wand war eine Leiter aus Holz angebracht, die man an einer Stange hin- und herschieben konnte. Zahlreiche Lämpchen leuchteten den Raum so aus, dass man die Bücherrücken gut betrachten konnte. Trotzdem wirkte das Licht unaufdringlich. Auf den ersten Blick schon sah Berger, dass es sich um wertvolle Bücher handelte. Es mussten mehrere Tausend sein. Solch einen ungewöhnlichen und gepflegten Bestand hatte er bisher nur in einem Antiquariat in Freiburg gesehen, in der Salzstraße.

      Eine Wand war ausschließlich mit religiösen Werken und Bibelausgaben bestückt. Alle Bücher auf dieser Wandseite zeigten kaum oder gar keine Gebrauchsspuren auf dem Rücken, zumindest auf den ersten Blick. Berger ging die Reihen durch. In der vierten von unten fiel ihm eine Ausgabe besonders auf, die ihm bekannt vorkam. Er zog sie vorsichtig heraus. Kein Wunder, dass sie ihm aufgefallen war: eine Elberfelder Bibel von 1905. Eine solche Ausgabe hatte bei den ChrisTer-Fällen in der Soko Gifiz eine Rolle gespielt. Berger blätterte in dem alten Buch. Es war doch nicht so unversehrt, wie er vermutet hatte. Ein Blatt war herausgetrennt. Berger blätterte weiter und entdeckte, dass ein zweites Blatt fehlte.

      »Was tun Sie hier?«, fragte eine scharfe, unangenehme Stimme, die einen leicht schrillen Unterton hatte.

      Berger ließ sich nicht anmerken, dass ihn die Stimme erschreckt hatte, und drehte sich langsam um. Eine schlanke, hagere Gestalt, so groß wie er, mit einem strengen Gesicht und angegrauten kurzen Haaren stand vor ihm wie eine Bedrohung. »Sie sehen doch, dass ich mich für die Bücher interessiere. Das ist eine Bibliothek, die für alle Gäste offen ist, nehme ich an. Oder täusche ich mich? Habe ich ein Verbotsschild übersehen?«

      Keine Antwort. Berger zog seinen Dienstausweis aus der Hosentasche und zeigte ihn dem Mann in schwarzen Schuhen, schwarzer Leinenhose und einem dicken schwarzen Rollkragenpullover.

      »Hat Ihr Aufenthalt hier unten etwas mit Ihren Ermittlungen im Hause zu tun?«

      Er war also doch nicht völlig verstummt. Und voll informiert.

      »Vielleicht eher mit meinem Interesse für alte Bücher und besondere Ausgaben. Allerdings hat sich, so viel ich erfahren habe, der verunglückte argentinische Gast oft hierher zurückgezogen. Insofern hat mein Besuch auch mit den Ermittlungen zu tun. Aber davon abgesehen: In Bibliotheken entdeckt man immer wieder Neues und ungeahntes Altes. Manche Bücher offenbaren mehr Geheimnisse, als man denkt.«

      Ob der Mann die Anspielung verstand?

      »Aber ich schaue mich in allen Räumen des Hauses um, in denen sich Ihr verstorbener argentinischer Gast aufgehalten hat. Das ist reine Routine, seien Sie beruhigt. Und wenn ich so wunderbare Bücher sehe, ist es aus mit der Routine. Reicht Ihnen das als Erklärung?«

      Der Schwarzgekleidete antwortete nicht, sondern verließ geräuschlos den Raum.

      Berger blätterte wieder in der alten Elberfelder Bibel. Fast eine Viertelstunde beschäftigte er sich mit dem Buch. Zu seiner Überraschung blieb es nicht bei den fehlenden zwei Blättern. Insgesamt elf waren fein säuberlich herausgetrennt worden. Warum tat jemand so etwas? Er hasste es, wenn Bücher geschändet wurden. Berger notierte sich die fehlenden Seiten in seinem kleinen Notizbuch. Er fragte sich, warum ausgerechnet elf Blätter aus der alten Bibel gerissen worden waren. Hatte die 11 eine besondere Bedeutung? Wenn er wieder im Präsidium war, wollte er sich mit den fehlenden Blättern und der Zahl Elf beschäftigen, schließlich sollte er wieder in der Soko Gifiz arbeiten.

      Auf jedem Lesetisch lag ein Programmheft in der Schwabacher Schrift. Auf der Vorderseite stand nur »Erbaulichkeit«. Auf den zwei Innenseiten waren Seminare und Referate für das erste Halbjahr aufgelistet. Ein Referat fiel Berger besonders auf. »Staat ohne Tapferkeit, Referent: Dr. Theobald Lenzen, ehemaliger Landesbischof.« Was wollte ein ehemaliger Bischof über einen mutlosen Staat erzählen? Das Referat war schon im März gehalten worden. Berger nahm das Programm mit und wollte sich später ausführlich mit den Seminaren und Referaten und vor allem den Referenten beschäftigen. Das Abendessen wartete auf ihn.

      Er saß am Lieblingstisch des Argentiniers und blickte in den Raum. Nur die Hälfte der Tische war besetzt. Die Gäste unterhielten sich in ruhigem Ton, der kaum zu den anderen

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