Tannenruh. Willi Keller

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Tannenruh - Willi Keller

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fuhr fort: »Sie haben sich für das interne dreimonatige Eingliederungsmanagement entschieden. Wie aus Ihrem Fragebogen hervorgeht, haben Sie eine Beteiligung des Personalrats abgelehnt, weil Sie extern beraten und therapiert werden. Das ist Ihr gutes Recht. Über das Eingliederungsmanagement wissen Sie sicher Bescheid: Sie müssen sich nicht gleich voll und ganz dem Stress der Polizeiarbeit aussetzen. Vorgesehen ist, dass Sie vorerst stundenweise wieder in der Soko Gifiz arbeiten und nach und nach in die Vollen gehen.«

      »Was meinen Sie mit ›vorerst‹?«

      »Das wollte ich Ihnen nachher noch sagen. Aber gut, ich kann Ihnen das auch gleich erklären. Ich will Sie nicht lange auf die Folter spannen. Es geht um ein altes Vorhaben von mir, das ich endlich umsetzen kann. In Absprache mit dem Landeskriminalamt in Stuttgart und mit dem Innenministerium planen wir, der Polizeipräsident und ich, eine Cold-Case-Abteilung aufzubauen. Inzwischen sind wir technisch so gut gerüstet, dass wir alte Fälle besser lösen können. Für diese Arbeit brauchen wir erfahrene Leute wie Sie. Ich habe dem Polizeipräsidenten Personalvorschläge gemacht und ihm empfohlen, Sie zum Leiter der Cold-Case-Abteilung zu bestellen. Er hat bereits zugestimmt. Die Sache ist allerdings noch nicht ganz spruchreif. Es müssen noch einige Hürden beseitigt und Widerstände überwunden werden. Auch intern. Eventuell sind wir gegen Jahresende so weit. Vielleicht sogar schon früher. Es sieht auf jeden Fall gut aus. Mehr kann und darf ich Ihnen noch nicht mitteilen.«

      Berger fühlte sich geehrt, dass Winker ihn in die geplante Gruppe holen und mit der Leitung beauftragen wollte. Er wusste, was Cold Case bedeutete: viel Aktenarbeit, wenig Außendienst, enge Zusammenarbeit mit der Forensik. Vor allem unaufgeklärte Tötungsdelikte zählten zu den Cold Cases, den kalten Fällen, aber auch Bankraub, Vergewaltigungen, Vermisste. In Deutschland galten zuletzt fünf Prozent aller Tötungsdelikte als nicht aufgeklärt. Wie viele Cold Cases im Bereich des Polizeipräsidiums Offenburg zu bearbeiten waren, wusste Berger nicht. Das wollte er Winker fragen, aber der redete einfach weiter, in gleichbleibendem, emotionslosem Ton.

      »Die Soko Gifiz mussten wir leider verkleinern.«

      »Ich habe gedacht, wir bekommen mehr Unterstützung vom Land, um die elf verbliebenen Terroristen zu finden. Ihr ›Meister‹ dürfte die Explosion seines Autos ja kaum überlebt haben.«

      »Das können Sie alles vergessen. Unter uns: Diese Zusage des Innenministeriums war wohl nicht ganz ernst gemeint. Eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit und für uns. Die zusätzlichen Kräfte sind schon wieder abgezogen worden mit der einfachen Begründung, dass nach den Anschlägen und Morden und nach der Aufdeckung der christlichen Terrorgruppe Ruhe eingekehrt sei in Offenburg und Umgebung. Das ist nicht falsch. Es gab seither keine neuen Anschläge. Aber es ist auch nicht richtig, denn wir suchen weiterhin nach elf Terroristen. Bisher ohne greifbares Ergebnis. Diese Tatsache widerspricht der Argumentation des Innenministeriums. Dazu kommt die normale Belastung. Wir sind statistisch gesehen in Baden-Württemberg an der Spitze in der Kriminalitätsrate. Ich weiß, das hört sich gebetsmühlenartig an. Aber darüber sieht die Politik schnell hinweg. Wir haben leider keine Lobby. In der Soko werden Sie übrigens viele neue Gesichter sehen. Wir haben überraschenderweise eine rege Fluktuation erlebt. Und Ausfälle. Unser IT-ler Felix Manderscheid zum Beispiel. Seine Freundin, die Assistenzärztin, hat ihn verlassen. Sie hat sich in einen Oberarzt im Klinikum in Freudenstadt verliebt. Das hat er nicht verkraftet. Ich habe ihn für robuster gehalten.«

      Mich hast du sicher auch stärker eingeschätzt, dachte Berger.

      »Rund sechs Wochen war er krankgeschrieben. Für das Darknet gut, für uns schlecht. Inzwischen hat er sich wieder gefangen. Auch an der Spitze der Staatsanwaltschaft hat es einen Wechsel gegeben. Das haben Sie sicher mitbekommen.«

      Berger schüttelte den Kopf. »Nein, das ist wie vieles andere an mir vorbeigegangen.« Ihm hatte die Kraft gefehlt, um sich auf dem Laufenden zu halten und das Interesse an der Außenwelt war gesunken. Seine dunkle Innenwelt war in den letzten Monaten sein einziger Bezugspunkt gewesen.

      »Oberstaatsanwalt Dr. Lorenz Taglehner hat sich nach Stuttgart verabschiedet zur Generalstaatsanwaltschaft. Ich muss sagen, ich bin heilfroh. Die Zusammenarbeit bei unserem großen Fall war – sagen wir – verbesserungsfähig. Das haben Sie selbst zu spüren bekommen. Und mit der Bundesanwaltschaft hat er sich auch nicht gut verstanden. Sein Nachfolger ist Dr. Johannes Stenglenz. Er kommt aus Mannheim. Hat einen guten Ruf. Bisher macht er einen souveränen Eindruck. Ist vor allem kooperativ. Und kann zuhören. Er geht nicht mit einer vorgefertigten Meinung an die Fälle heran.«

      Winkers Kritik an Taglehner überraschte Berger nicht. Der Kripochef sagte immer deutlich seine Meinung, wenn ihm etwas gegen den Strich ging.

      »Alles andere werden Sie nach und nach erfahren. Am ersten Arbeitstag nach der Rekonvaleszenz will ich Sie aber nicht gleich mit den ChrisTer-Fällen belasten.«

      »Mit was für Fällen?«

      »Entschuldigung! Das können Sie nicht wissen. Wir haben die Fälle, die die Soko Gifiz bearbeitet, der Einfachheit halber mit ›ChrisTer‹ zusammengefasst – christliche Terroristen. Sie untersuchen zunächst einen Fall, der reine Routine ist. Es sieht nach einem tödlichen Unfall aus, muss aber abgeklärt werden. In der Nähe des Mummelsees ist ein argentinischer Tourist bei einem Spaziergang in den Abgrund gestürzt. Die Bergwacht und die örtliche Polizei gehen zwar von einem Unfall aus, sagen aber, dass ihnen ein Absturz an der Unglücksstelle dennoch ungewöhnlich erscheint. Deshalb liegt der Fall jetzt bei uns. Wir müssen prüfen, ob ein Fremdverschulden infrage kommt. Das ist saudumm gelaufen. Wenn Bergwacht und örtliche Polizei ihre Zweifel für sich behalten hätten, wären wir nicht eingespannt worden. Ich bin zurzeit um jeden Fall froh, den wir nicht bearbeiten müssen. Wie auch immer, ändern können wir es ohnehin nicht mehr. Der Argentinier jedenfalls war Gast im Hotel Schatzhauser.«

      Beim Stichwort »Schatzhauser« musste Berger sofort an Wilhelm Hauffs berühmtes Schwarzwaldmärchen denken. Noch immer konnte er den berühmten Vers auswendig, mit dem Peter Munk das Glasmännlein ruft: »›Schatzhauser im grünen Tannenwald, bist schon viel hundert Jahre alt. Dir gehört all’ Land, wo Tannen stehn, lässt dich nur Sonntagskindern sehn.‹«

      Der Kripochef schaute ihn verblüfft an.

      Berger entschuldigte sich und fing an zu dozieren: »Sagen Sie bloß, das kennen Sie nicht? Wilhelm Hauff – ›Das kalte Herz‹. Schatzhauser ist ein alter, guter Geist, der den bösen Holländer Michel bekämpft und dafür sorgt, dass der Munk Peter sein richtiges Herz zurückbekommt. Er ist wie ein beschützender Vater und eine moralische Instanz, die verhindert, dass man auf die schiefe Bahn gerät. Schatzhauser steht für sozialen Umgang und Respekt.« Berger besann sich, dass er nicht in einem Literaturseminar saß mit dem Thema »Bedeutung des Märchens ›Das kalte Herz‹ für die spätkapitalistische Gegenwart«.

      Winker sagte nur: »Sie sind der Literaturexperte im Haus.«

      Berger galt unter Kolleginnen und Kollegen als belesener Mensch und als kulturgeschichtliche Institution, obwohl er nur wenige Semester Germanistik studiert hatte. Aber er war der Literatur treu geblieben, ausgenommen die Zeit der Zusammenbrüche und der Rekonvaleszenz.

      Winker musste sich nach Bergers kurzem Ausritt in die Literatur offenbar erst einmal sammeln und fragte: »Über was haben wir gerade gesprochen?«

      »Sie haben mir gesagt, dass ich einen Unglücksfall in der Nähe des Mummelsees untersuchen muss.« Dass man Winker so aus der Fassung bringen konnte!

      »Richtig.« Winker schien den Gesprächsfaden wiedergefunden zu haben. »Ich muss gestehen, ich habe noch nie etwas von diesem Hotel gehört oder gelesen.«

      Berger ging es genauso.

      »Sie

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