Mörderjagd mit Elwetritsch. Helge Weichmann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Mörderjagd mit Elwetritsch - Helge Weichmann страница 2
Das Wesen saß einige Schritte von der Badewanne entfernt zwischen einem Buchsbaum und dem Salatbeet, es hielt den Kopf schräg und rührte sich nicht. Bleibier schaute vom Dubbeglas zum Vogeltier und wieder zurück. Halluzinierte er? Stimmte mit dem Wein etwas nicht? Er horchte auf seinen Magen, auf ein verräterisches Grummeln, doch nein, der Riesling von Winzer Ansgar war verträglich wie immer. Vorsichtig peilte Bleibier über den Wannenrand. Das Geschöpf hockte unverändert da, der leichte Abendwind zauste seine Pelzfedern, es rührte sich nicht, die runden Augen starrten unverwandt auf den Mann in der Badewanne. Bleibier plätscherte leicht mit der Hand im Wasser, er wusste selbst nicht so recht, warum, vielleicht wollte er in dieser absurden Situation einfach ein beruhigend normales Geräusch hören.
Noch immer bewegte sich das Wesen keinen Millimeter. Bleibier fing an zu überlegen, ob ihm vielleicht jemand einen Streich gespielt und eine Puppe in den Garten gesetzt hatte. Unauffällig schaute er sich um. Aber nein, der schräge Vogel wäre ihm schon beim Einstieg in die Wanne aufgefallen.
Seine Augen schweiften zurück – und wurden groß. Das Geschöpf war verschwunden, der Platz zwischen Buchsbaum und Salat leer. Bleibier glotzte eine Sekunde reglos, bevor er sich schnaufend in die Wanne zurücksinken ließ. Sah so eine Wahnvorstellung aus? Sollte er endlich einmal beim Doktor Seiler die altersangemessenen Blut- und Hirnuntersuchungen durchführen lassen, die die Apotheken-Illustrierte immer anriet? Oder hatte er sich einfach nur einen Schoppen zu viel gegönnt im milden Abendlicht?
»Ich muss langsam machen mit der Sauferei«, brummte Bleibier und ließ den Rest des Rieslings vorsichtshalber ins Badewasser plätschern. Auf komische Visionen wie dieses Pelzfedervieh hatte er künftig keine Lust mehr.
FREITAG
Am nächsten Morgen schrak Bleibier aus unruhigen Träumen hoch. Rufe erklangen, etwas klirrte.
»Wassnjetztschunwiddalos?«, knurrte er, während er auf einem Bein hüpfend in seine Hose schlüpfte und gleichzeitig versuchte, die Zähne zu putzen. Draußen empfing ihn das warme Licht der Südpfalz, das sich wie eine Lieblingsdecke auf die Haut legte. Eine Sekunde gönnte er sich den Genuss, die Berührung der Sonnenfinger bewusst wahrzunehmen. Dann raffte er sich auf und eilte die Straße nach oben. Dass der Lärm vom Stullwerk kam, war ihm klar. Seit Wochen schon ging es in der alten Holzfabrik hoch her, nirgendwo sonst in Grumberg wurde so viel und so lautstark gestritten.
»Hauen ab mit eierm Griezeich!« Metzger Bertl Bopp, wie immer in weißer, nicht ganz sauberer Schürze, schüttelte die Faust drohend in Richtung des Backsteingebäudes.
Auch Frau Krawehl, die Wirtin der Dorfwirtschaft, gestikulierte wild. »Verräderpack! Eiern Biokram kennena sunschtwo mache, awwer net bei uns!« Ein Dutzend Grumberger hatte sich vor dem rostigen Tor der Fabrik versammelt, ihre Stimmen wogten hin und her. Etwas abseits stand ein Grüppchen Leute, einige mit Bärten, viele mit langen Haaren, die Frauen trugen sackförmige Gewänder, die Männer Sandalen.
»Kein Fleisch! Gar kein Fleisch! Auch kein Pseudofleisch!«, riefen sie durcheinander. Ihr Unmut galt ebenfalls dem gedrungenen Gebäude. Einer hielt ein Plakat in die Höhe, auf dem etwas ungelenk eine glückliche Kuh unter einer lachenden Sonne prangte.
Beide Parteien wurden lauter, als drei Gestalten aus der Fabrik traten, zwei Männer, eine junge Frau. Sie entluden in aller Ruhe einen Lieferwagen, Säcke und Pakete fanden ihren Weg ins Innere des Gebäudes. Die Grumberger und die Langhaarigen krakeelten, es wurde am Tor gerüttelt. Die drei am Wagen reagierten nicht auf die Beschimpfungen, schließlich wandten sich die beiden Gruppen gegeneinander.
»Hier, langhooriches Gsindl, gehen doch emol was schaffe!«, brüllte Ansgar, der Winzer, mit hochrotem Gesicht. »Audonomepack, grienes!«
»Fleischfresser! Mörder!« Die Plakatfraktion schrie zurück, dass die Bärte wehten. »Ihr stopft euch voll mit Tierleichen, ihr seid so widerlich!«
»Eich ghört die Zung gschaabt ghört eich!«, echauffierte sich die Wirtin, die Grumberger nickten zustimmend. Schon wurden die Ärmel hochgeschoben, da ging Bleibier dazwischen.
»So, jetzt beruhigen wir uns alle mal wieder.« Sein Tonfall war entspannt, aber mit einer gewissen Schärfe.
»Ach endlich, die Bolizei!«, polterte Metzger Bopp. »Mach ebbes, Maazl, sperr die Urustifter weg! Des Xox!«
»Die haben uns bedroht! Fast angegriffen! Das ist … das ist Körperverletzung!« Anklagend zeigten die Langhaarigen auf ihre Kontrahenten.
»Hier wird niemand weggesperrt und auch niemand angegriffen. Leut’, macht mal langsam.« Bleibier wusste, dass sein Wort galt, zumindest unter den Alteingesessenen. Schließlich war er mit ihnen groß geworden. Über die Bio-Aktivisten machte er sich ebenso wenig Sorgen, sie waren so schlaksig, dass sie es wohl nicht auf eine Keilerei ankommen lassen würden.
Das sahen die Kampfhähne und -hennen wohl genauso, schnell einigte man sich wieder auf den gemeinsamen Feind – die drei Leute in der Fabrik.
»Unn iwwerhaupt, mach doch emol was gege die Vaterlandsverräder do drin!« Die dralle Wirtin zeigte anklagend durch das Tor. »Die tretn’s pälzische Erbe mit de Fieß, unn nix bassiert!«
Wie auf Stichwort nahm die andere Gruppe ihren Singsang wieder auf. »Kein Fleisch! Auch kein Pseudofleisch!«
Bleibier verdrehte die Augen. Seit Wochen ging dieser Kleinkrieg nun schon hin und her, und es war kein Ende in Sicht. Gerade wollte er ein ernstes Wörtchen mit den beiden Parteien reden, da erklang eine hohe, leicht näselnde Stimme hinter ihm.
»O je, Herr Kommissar, das sieht ja nicht gerade nach Pfälzer Gemütlichkeit aus. Was ist los, soll hier eine neue Startbahn West gebaut werden?«
Der Sprecher, ein Mann um die sechzig, sah aus wie ein Waldschrat: schlammige Stiefel, robuste Kleidung mit deutlichen Gebrauchsspuren, ein grauer Dreitagebart, dazu ein Fedora, dem die Jahre Form und Farbe geraubt hatten.
»Ooch, wir brauchen keine Startbahn West, um uns in die Wolle zu kriegen. Es reicht schon Hamlet, sehr frei interpretiert: Fleisch oder nicht Fleisch, das ist hier die Frage.«
Der Schrat schaute interessiert auf das Fabrikgebäude und die zwei Streitgruppen. Er war Professor für Geografie, kam aus Mainz und hieß mit bürgerlichem Namen Wendelin Wagenburck. Mit einer Handvoll Studenten führte er eine Projektarbeit im Pfälzerwald durch, es ging um den früheren Holzschlag und die verarbeitende Industrie, so viel hatte der Dorfklatsch verraten.
»Fleisch oder nicht Fleisch? Klären Sie mich auf, Herr Kommissar.«
Mit einer vagen Bewegung zeigte Bleibier auf das Backsteingebäude. Es stand an einer Anhöhe, der Hang und die Bäume wuchsen dahinter in den Himmel. Mehrere Gebäude aus schmutzig roten Ziegelsteinen machten einen verwahrlosten Eindruck, auf den umgebenden Freiflächen rosteten Greifer und Förderbänder vor sich hin.
»Ist eine ehemalige Holzfabrik, das Stullwerk, so heißt sie hier. Na gut, das wissen Sie wahrscheinlich schon, ist ja Ihr Thema.«
Der Schrat nickte eifrig und gab ihm ein Zeichen fortzufahren.
»Steht seit zig Jahren leer, aber jetzt ist ein neu gegründetes Unternehmen eingezogen. Ein Start-up, so nennt man das heute wohl, die VMG, Vegane Manufaktur Grumberg. Die stellen Pfälzer Spezialitäten her, Lewwerworscht, Grieweworscht, Broodworscht, Saumage, so was halt, aber alles vegan. Ohne Fleisch. Ohne tierische Bestandteile.«
»Oha«,