Mörderjagd mit Elwetritsch. Helge Weichmann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Mörderjagd mit Elwetritsch - Helge Weichmann страница 5
»Klappt nicht? Dann fehlt der Wasserkontakt«, rief Bleibier in ihre Richtung. »Das Handy muss ein bisschen nass sein, wenn ihr’s an die Rinde drückt. Einfach mal drüberlecken.« Er nickte aufmunternd und amüsierte sich köstlich über den Anblick der beiden Kripobeamten, die ihre Mobiltelefone abschleckten und an den Baum pressten. Während die Sanitäter kichernd Handyfotos von den beiden machten, ließ sich Bleibier von der Rechtsmedizinerin Untersuchungshandschuhe geben und tastete die Taschen der Leiche ab. Nichts, kein Portemonnaie, kein Ausweis, noch nicht einmal ein Schlüssel. Entweder hatten der oder die Mörder den Mann durchsucht und alles an sich genommen, oder er war in den Wald gegangen, ohne etwas bei sich zu tragen. Bleibier rechnete zurück. Vor zwölf Stunden, also mitten in der Nacht. Was machte jemand nachts im Wald, ohne auch nur seinen Hausschlüssel dabei zu haben?
»Das ist ja wohl der blödeste Tipp, den ich je gehört hab. An eine Eiche drücken, um das Signal zu verstärken. Pfff.« Einer der Kripo-Neustadter schob sich heran und putzte sein Telefon mit einem Taschentuch. Sein Kollege kam hinterher, beide sahen nicht erbaut aus. Ihre Mienen wurden noch finsterer, als sie Bleibier neben der Leiche entdeckten.
»Hier, weg vom Tatort! Das ist unser Fall, Mordkommission, da ist die interne Vergabe vom Kriminalrat längst schon geregelt worden!«
Dass Kriminalrat Eugen Keilhauer den Toten im Wald sofort an die Neustadter weitergegeben hatte, wunderte Bleibier kein bisschen. Schließlich war es Keilhauers erklärtes Ziel, die Grumberger Wache 1 bis zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen zu lassen, um sie endlich wegrationalisieren zu können. Er stand auf und lächelte entwaffnend.
»Aber nicht doch! Keine Angst, die Frau Doktor und ich, wir sind mit Samthandschuhen rangegangen.«
»Ich arbeite nicht mit Samthandschuhen, sondern mit Einmalhandschuhen aus Vinyl«, erklärte Frau Dr. Kesselwirth-Schergmann. Die Kripoleute zeigten mit ungeduldigen Bewegungen zum Rand der Lichtung. Manne und Bürgermeister Fuchs traten den Rückzug an, Bleibier strapazierte die Nerven der Neustadter noch etwas weiter, indem er sich umständlich den Schuh schnürte. Dann verzog er sich.
»Griff ins Klo, tät ich sagen.« Manne wischte sich den Nacken mit einem gewaltigen Stofftaschentuch ab. »Keine Spuren, keine Hinweise, gar nix.«
Bleibier trödelte, bis der Bürgermeister ein paar Schritte Vorsprung hatte. »Ganz ohne was gehen wir nicht, Manne«, antwortete er leise und ließ ein zerknittertes Stück Papier in seiner Hand erscheinen. »Das hier hat halb unter dem Toten gelegen, vielleicht ist’s aus seiner Tasche gerutscht. Ich hab den Fuß draufgestellt und beim Schuhbinden zugegriffen.«
Der Zettel war per Hand beschrieben und in der Mitte zerrissen. »…inoa«, konnten die beiden Polizisten entziffern.
»Inoa.« Manne sprach das Wort so vorsichtig aus, als könnte er damit einen Fluch heraufbeschwören. »Was soll das denn heißen?«
Bleibier blieb stehen und warf einen Blick zurück zur Lichtung und zu den dunklen Bäumen, die dahinter standen wie eine stumme Armee. Schon wieder hatte er das Gefühl, verborgene Augen würden ihn beobachten.
»Keine Ahnung, was das für ein Wort ist. Aber jemand hat dafür sterben müssen, also werden wir’s rauskriegen.«
Seit seine Frau Thea ausgezogen war, herrschte in Bleibiers Küche nicht gerade kulinarische Kreativität. Er ging oft in die Palzstubb, die Weinschenke von Grumberg. Die Krawehl Ingeborg mochte zwar ein Ratschweib sein, aber kochen konnte sie, da gab es nichts zu meckern. Ihre Gebredelde waren Legende, die Lewwerknepp hatten Biss, die Würste und der Saumagen öffneten das Himmelreich. Zu Hause hielt Bleibier sich an die einfachen Sachen: eine Dose Wurst, ein paar Scheiben Brot, zwei Gurken, Senf und einen Schoppen, das galt im pfälzischen Verständnis als ausgewogenes Nachtmahl. Ebendiese Kombination balancierte er auf die Terrasse, wo sich die Sonne anschickte, ihre milden Abendstrahlen über den Haardtrand zu gießen. Der Himmel leuchtete so blau, dass man ein eigenes Wort dafür erfinden müsste, zur Ebene hin färbte er sich königlich violett. Die Luft konnte man trinken.
Neben dem Broodworschtebrot klappte Bleibier sein Notebook auf. Es hatte zwar schon einige Jahre auf dem Buckel, doch im Vergleich zur IT-Ausstattung auf der Wache kam es fast aus der Weltraumforschung. Der dortige 486er verband sich über eine ISDN-Leitung mit dem Internet, deshalb bestanden Online-Recherchen in allererster Linie aus Ladebalken und Sanduhren. Zu Hause surfte Bleibier immerhin mit DSL – ein Umstand, der ursprünglich auf Susannes Nörgeln zurückging, für den er inzwischen aber dankbar war.
Das merkwürdige halbe Wort ließ ihm keine Ruhe. …inoa. Er googelte. Eine Tönung von L’Oreal. Ein philippinischer Familienname. Ein kanadischer Rapper. Nicht gerade eine heiße Spur zum Toten im Pfälzerwald. Wie wohl der Anfang des Wortes auf der anderen Hälfte des zerrissenen Zettels lautete? Er versuchte es mit »???inoa«, aber Google verstand nicht, was er meinte. Beliebige Buchstabenkombinationen brachten genauso wenig, schließlich driftete Bleibier ab in die Tiefen des WWW. Müßig klickte er sich durch Fotos und Artikel, bis ihn eine unsichtbare Hand zur Homepage von Grumberg führte. Wie immer schloss er innerlich eine Wette ab, und wie immer gewann er sie: »Letzte Aktualisierung: 26. März 2016«, stand in der Fußzeile. An diesem Datum hatte sich seit nunmehr vier Jahren nichts geändert. So, wie die Zeit im Dorf stillstand, war sie auch im Internet eingefroren.
Ein Grußwort vom Fuchselouis zierte die Seite, Bilder der Höfe und der Straßen fügten sich an. Bleibier gab sich bittersüßen Erinnerungen hin. Seine Kindheit, sein Vater mit dem struppigen Schnauzbart, seine Mutter in der Kittelschürze, der Geruch nach Dampfnudeln. Später seine eigene Familie, die Jahre, die sie hier gemeinsam verbracht hatten. Doch Thea war mit dem Herzen nie wirklich angekommen. Sie stammte aus Heidelberg, für sie fühlte es sich an, als hätte man einen Baum verpflanzt und die Wurzeln vergessen. Das Dorf nahm ihr die Luft zum Atmen. Das Kleinbürgerliche, der enge Kontakt der Menschen, die Alten, die auf den Bänken vor ihren Häusern saßen – was er liebte, engte sie ein. Sie vermisste die Stadt und den Trubel und die Anonymität, in die man, wenn man wollte, eintauchen konnte. Über die Jahre wurde aus dem Unwohlsein eine ausgewachsene Depression, der Bleibier nichts entgegenzusetzen hatte. Mit Trauer im Herzen, aber ohne Groll ließ er Thea ziehen. Inzwischen wohnte sie wieder in Heidelberg, hatte ihre Lebenslust zurückgewonnen und schrieb dann und wann eine Karte, auf der ihr alter Schalk durchblitzte und die Bleibier jedes Mal in wilde Wehmut stürzte.
Als er aus der Vergangenheit auftauchte, war die Weinflasche ausgetrunken und die Sterne sprenkelten den dunklen Himmel.
»Hat’s geschmeckt?« Die amüsierte, etwas kieksige Stimme ließ ihn mit leichter Verzögerung herumfahren. Seine Augen stellten scharf. Die Terrasse … der Garten mit der Colt-Seavers-Wanne … niemand da.
»Hallo?«, fragte er, und weil ihm nichts Schlaueres einfiel, schob er gleich noch mal ein »Hallo!?« hinterher. Zwischen den Blumenkübeln raschelte etwas, plötzlich kam die Stimme von der anderen Seite. »Aber Senf auf Broodworscht, das ist nicht dein Ernst, oder?«
Mit dem Wattegefühl im Kopf, das sich nach einem Liter Riesling unvermeidlich einstellte, fuhr Bleibier erneut herum. »Will mich jemand verarschen hier?«
Nach wie vor war er allein. Er blinzelte und überlegte, was nun zu tun sei. Spontan kam ihm die Idee, die Polizei zu rufen, bis ihm einfiel, dass er sich dann ja selbst rufen müsste. Eben wollte er sich erheben, da traf ihn