Mörderjagd mit Elwetritsch. Helge Weichmann
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Читать онлайн книгу Mörderjagd mit Elwetritsch - Helge Weichmann страница 4
»Vierezwonsich Flasche Woi, alle ausgedrunge! Riesling, Weißburgunder, Dornfelder unn St. Laurent«, klagte Elfriede.
»Lau…rent.« Manne zog die Silben in die Länge, bis er die passenden Buchstaben gefunden hatte.
Die Studenten!, war Bleibiers erster Gedanke. Er verwarf ihn augenblicklich. Die Geografentruppe um Professor Wagenburck machte nicht den Eindruck, als würde sie nachts durch den Ort marodieren und sich an fremdem Alkohol vergreifen.
»Aufgerissen, die Kartons?«
»Ewe net!« Elfi machte Augen, als würde sie von einem Weinwunder sprechen. »Uffgschnidde, ganz sorgfältich. Abber net owwe, sondern an de Seite. E richtiches Derle noigschnidde, wie mim Lineal. In jeden Kaddong!«
Manne tippte die letzten Worte, die Zungenspitze im Mundwinkel. Mit zusammengekniffenen Augen überprüfte der Polizeimeister sein Protokoll auf dem 15-Zoll-Röhrenmonitor, der wie ein grauer Felsbrocken auf dem Schreibtisch thronte. Dann legte er schwarzes Durchschlagpapier zwischen zwei leere Blätter und schob alles sorgfältig in den Tintenstrahldrucker.
Bleibier schloss die Augen. Es war unmöglich, Manne auch nur das Basiswissen zum Thema IT beizubringen. Dass ein Tintenstrahldrucker keine Durchschläge machen konnte wie früher die Schreibmaschine – hoffnungslos. Dass man einen Computer herunterfuhr und nicht einfach den Stecker zog – vergebliche Liebesmüh. Unterordner, Formatvorlagen, rechte Maustaste – böhmische Dörfer. Manne hatte anfänglich sogar E-Mails ausgedruckt, die Antworten handschriftlich daruntergeschrieben und alles in einem frankierten Kuvert an den Absender zurückgeschickt. Inzwischen hatte Bleibier ihm beigebracht, den Antworten-Button zu nutzen, doch alle übrigen Finessen beim »Mehlverkehr« blieben ein Buch mit sieben Siegeln für den stämmigen Polizeimeister.
»So, guggemol, Elfi, do unnerschreibscht jetzt.« Manne hatte eine zweite Durchschlagpapier-Kombi ausgedruckt, nahm das obere Blatt und legte es Elfriede vor. Die Lehrerin korrigierte mit beruflichem Automatismus zwei Rechtschreib- und einen Kommafehler, bevor sie das Protokoll unterschrieb.
»Unn jetzt, Maazl, was machena? Spuresicherung? Kummt jemand vunn Neistadt?« Ihre Augen glitzerten gierig, als erwarte sie ein Ermittlungsaufgebot à la »Tatort«. Bleibier machte eine beruhigende Handbewegung.
»Erstmal hör ich mich um im Ort, ob jemand was aufgefallen ist. Dann gucken wir weiter.« Enttäuscht zog die Bickel Elfi von dannen.
Manne lehnte sich zurück, das Uniformhemd spannte über seinem Bauch.
»Weinraub. Das gefällt mir nicht«, meinte er mit unheilverkündendem Unterton. Der Polizeimeister neigte dazu, aus jedem Vorfall ein Drama zu machen. Bleibier wollte gerade antworten, da läutete das Telefon. Der Tastenapparat mit Spiralkabel stammte ebenso wie der Rest der Ausstattung aus den 1990ern und besaß kein Display, deshalb war jeder Anruf eine Überraschung. Manne räusperte sich und meldete sich im Behördentonfall.
»Polizeiwacheeinsgrumbergblümleinamapparat?«
Er hörte stumm zu und wuchs mit jeder Sekunde. Es musste etwas Wichtiges sein, das ihn dermaßen mit Amtswürde füllte. Nachdem er aufgelegt hatte, wandte er sich Bleibier zu und hatte denselben »Tatort«-Glanz in den Augen wie gerade Elfriede.
»Das ist Neustadt gewesen. Ein Toter. Im Wald. Mord in Grumberg!«
Eichen- und Kastanienbäume umrahmten die drei Menschen wie die Säulen einer Kathedrale. Bleibier genoss das Dämmerdunkel des Pfälzerwaldes, er schloss beim Gehen die Augen und ließ die Sonnenstrahlen zwischen den Zweigen auf seine Lider zucken. Die Luft roch erdig, prall und voll, nach Waldboden, nach einer immerfeuchten Fruchtbarkeit, die vor Leben nur so strotzte. Tief atmete er ein und aus.
»Da. Da vorne sind sie.« Manne lief ein Dutzend Schritte voraus und zeigte auf weiße und orangefarbene Flecken im gescheckten Grün. Der sonst so behäbige Polizeimeister war ein Wandersmann und konnte im Wald Strecke machen, dass Bleibier nur so staunte.
»Achgottachgott, en Dode!«, murmelte Bürgermeister Ludwig Fuchs, den alle nur den Fuchselouis nannten. Er hatte auf geheimnisvollen Wegen von dem Vorfall erfahren und sich den Polizisten angeschlossen.
Sie erreichten eine Lichtung, bevölkert von der Spurensicherung in weißen Overalls. Uniformierte Beamte standen am Rand und rauchten, Sanitäter langweilten sich. Zwei Männer in Zivil reckten ihre Handys in die Höhe, liefen im Kreis und sahen dabei aus wie Trottel.
Da könnt ihr lange nach Empfang suchen, dachte Bleibier gehässig. Das ist der Pfälzerwald und nicht die Fußgängerzone von Neustadt. Er mochte die Kollegen von der Kripo Neustadt nicht, sie trugen die Nase zu weit oben.
»Ach, guggemol, das Dorf kommt«, kommentierte einer der Männer prompt. Bleibier nickte ihm höflich zu und deutete zu einem der Bäume am Rand der Lichtung.
»Dort drüben, Eichenrinde hilft.« Als der Kripomann ihn verständnislos anschaute, deutete er auf das Handy. »Empfangsverstärkung. Eichenrinde hat viele Wasseradern, die leiten Mobilfunksignale weiter. Das Telefon fest an den Baum drücken, vielleicht ein paar Stellen ausprobieren, dann klappt’s mit dem Empfang.«
Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Kripomänner an eine Eiche herantraten und anfingen, ihre Handys an die Rinde zu drücken. Schmunzelnd ging er zur Spurensicherung. Wie weiße Würmer umlagerten die Spezialisten etwas Dunkles, das inmitten von Buschwerk und Gräsern lag.
»Was ist los, was haben wir denn?«, fragte er einen mausgrauen Schopf, der unter einer weißen Haube hervorlugte. Die Person stand auf und offenbarte magere Züge, schwere Augen und einen von senkrechten Falten gekerbten Mund. Die Rechtsmedizinerin Frau Dr. Kesselwirth-Schergmann war bekannt für ihren Mangel an jeder Art von Humor. Niemand hatte sie jemals lachen sehen, sie nahm jeden Spruch für bare Münze und wusste wahrscheinlich nicht einmal, wie Ironie überhaupt geschrieben wurde. Bleibier machte sich einen Spaß daraus, sie in schöner Regelmäßigkeit auf den Arm zu nehmen, ohne dass sie es kapierte.
Der doktorale Blick besaß die Herzlichkeit eines toten Fischs.
»Von Wanderern gefunden. Männliche Leiche zwischen vierzig und fünfzig, letale Schussverletzungen im Rücken. Liegezeit zwölf Stunden plus/minus vier, mehr nach der Obduktion.«
Bleibier legte ein bezauberndes Lächeln auf. »Aus Ihrem Mund klingt selbst das wie Poesie, Frau Doktor.« Sie schaute ihn unverwandt an, als hätte er in einer fremden Sprache geredet. Er schickte ein Zwinkern hinterher und trat an den Toten heran. Der Mann lag in verkrümmter Haltung auf dem Bauch, er trug dunkle sportive Kleidung und schwarze All-Terrain-Schuhe. Fünf rote Rosen blühten auf seinem Rücken. Fünf Schüsse. Eine Tat im Affekt? Beziehungsprobleme? Bleibier ging in die Knie, um das Gesicht zu sehen. Aufgerissene Augen, blau, erstarrt in ewigem Schrecken. Eine Nase, die wohl einmal gebrochen worden war und nun schief stand. Er kannte den Mann nicht, der hier im Wald lag wie ein Fremdkörper. Sein Kinn und die linke Schläfe zeigten Abschürfungen, die offensichtlich vom Sturz stammten. Sah nach Schwung aus. Also hatte man ihn nicht aus dem Hinterhalt erschossen, sondern auf der Flucht. Aus welcher Richtung mochte das Opfer gekommen sein? Die grüne Fläche um ihn herum trug so üppigen Bewuchs, dass keine Spuren zu sehen waren. Und auf einer Waldlichtung, die von geschätzten hundert Wildtieren passiert wurde, konnten auch Suchhunde die Fährte des Mannes nicht mehr aufnehmen, da brauchte Bleibier nicht lange nachzudenken. Plötzlich fing sein Nacken an zu kribbeln, er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Unauffällig schaute er sich um, doch keiner nahm Notiz von ihm. Nur der Wald umrahmte die Lichtung, stumm und grün.
Bürgermeister Fuchs, ein spindeldürrer, groß gewachsener