Mörderjagd mit Elwetritsch. Helge Weichmann

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Mörderjagd mit Elwetritsch - Helge Weichmann

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      »Ganz recht. Viele hier finden das ziemlich daneben, sie sagen, Fleisch ist Teil der pfälzischen Esskultur. Am liebsten würden sie die VMG auf den Mond schießen. Deshalb stehen sie jeden Tag am Tor und machen Stunk.«

      »Und die anderen?« Wagenburck zeigte auf die zweite Gruppe, die ihr Kuhplakat schwang. »Die sehen doch aus wie Öko-Aktivisten. Wieso sind die denn gegen ein veganes Start-up?«

      Bleibier seufzte. »Weil sie der Meinung sind, der Mensch soll komplett weg von der Wurst, auch vom Äußeren her. Die VMG-Leute machen richtige Dosen, wie für normale Wurst eben, und den Saumagen gibt’s im Kunstdarm, sieht aus wie echt. Das passt den Ökos nicht. Sie sagen, das ist eine Mogelpackung, denn damit bleibt in den Köpfen das ›Wurstprinzip‹ erhalten.« Er malte die Gänsefüßchen mit den Fingern in die Luft und zuckte die Achseln. »Tja, den einen geht die Veganerei zu weit, den anderen nicht weit genug. Und das sorgt momentan für Stimmung im Ort.«

      Der Schratprofessor schaute interessiert zu, wie aus einem der Fabrikfenster ein Transparent gehängt wurde. Das Logo der VMG wehte im Wind, eine Zickzacklinie, die die Buchstaben V und M verschmelzen ließ, daneben der Schriftzug »Vegane Manufaktur Grumberg – alles, was die Worscht braucht«. Sowohl die Grumberger Traditionalisten als auch die Hardcore-Veggies brachen in Geheul aus und gestikulierten wütend zum Gebäude hin.

      Bleibier merkte, wie seine Verstimmung wuchs. Nicht nur, dass er schlecht geschlafen hatte. Nicht nur, dass ihm bei der letzten Schorle das Trugbild eines bunten Pelzvogels erschienen war. Nicht nur, dass der Lärm ihn heute früh von null auf hundert aus dem Bett gerissen hatte. Nein, es gab bei dem VMG-Gehampel ein weiteres Detail, das er jemandem von auswärts nicht auf die Nase binden wollte: Die junge Frau in der Fabrik, Annalena Fuchs, war die Tochter des Grumberger Bürgermeisters. Sie stand voll und ganz hinter dem VMG-Projekt, was das politische Miteinander im Ort zu einem wahren Eiertanz werden ließ. Egal, für welche Seite Bleibier in seiner Eigenschaft als Polizist Partei ergriff – es gab stets jemanden, dem er damit auf die Füße trat.

      Eine Autohupe riss ihn aus seinen Gedanken. Vor dem Fabriktor hielt ein steinalter Kleinbus, eine eckige Toyota-Kiste. Der ehemals weiße Lack hatte sich ins Gelbliche verfärbt, auf den Seiten prangte der Schriftzug »Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Geowissenschaften«. Fünf junge Leute kletterten heraus, zusammengerollte Karten ragten aus ihren Rucksäcken, einer hielt einen GPS-Empfänger in der Hand. Aha, die Schützlinge von Wendelin Wagenburck.

      »Wie läuft’s denn bei Ihnen?«, wandte Bleibier sich an den Professor. »Was erforschen Sie eigentlich genau?«

      Der Schrat lächelte erfreut und zeigte schiefe Zähne. »Oh, gut, sehr gut läuft’s. Wir untersuchen, inwieweit die ehemals exzessive Holzwirtschaft im Pfälzerwald sichtbare Spuren im natur- und kulturräumlichen Kontext hinterlassen hat. Anthropogene Überprägung mit reziproker Beeinflussung.«

      Bleibier bedauerte seine Frage bereits. Er hätte wissen müssen, dass Wagenburck wie jeder Wissenschaftler sofort auf Fachgeschwurbel umschaltete, sobald man sich nach seiner Forschung erkundigte. Er nickte mit Scheininteresse, während der Professor von Woogflächen, Quellhorizonten und Meilerplätzen redete und die Studenten weitere Fachausdrücke einstreuten. Erst als eine Pause folgte, merkte der Kommissar, dass ihm sein Gegenüber wohl eine Frage gestellt hatte.

      »Äh, was bitte, ich … äh«, stotterte er.

      »Ich habe gefragt, ob Sie auch schon einmal in die alten Kirchenlisten geschaut haben. Die sind in Grumberg nämlich bis ins späte 17. Jahrhundert erhalten, durchaus selten.«

      »Mh, nein, das, äh, ist bis jetzt noch nie nötig gewesen.« Er merkte, wie flügellahm seine Ausrede klang. Ein Euphemismus für »Ich habe keine Ahnung, was an alten Kirchenlisten so außergewöhnlich sein soll«.

      »Für uns sehr interessant«, erklärte Wagenburck und stieg in den Kleinbus. »Denn in den alten Registern sind oft Besitzverhältnisse und Ortsangaben verzeichnet. Pfarrer Münch hat uns erlaubt, heute Nachmittag die Kirchenbücher einzusehen, und wer weiß, vielleicht finden wir dort weitere Hinweise zu unserem Forschungsgegenstand, dem historischen Holzschlag.« Pathos erfüllte seine Stimme, als würde er vom Verbleib des Heiligen Grals reden. Bleibier nickte unbestimmt und schaute zu, wie die Schratgruppe davonfuhr. Ihn plagten weiß Gott andere Probleme als Kirchenbücher und der historische Holzschlag.

      Die aufgeheizte Atmosphäre hatte sich etwas beruhigt, einige der Grumberger gingen davon. Das sollte Bleibier nur recht sein, er machte sich auf zur Polizeiwache. Auf dem Weg durchs Dorf grüßte er hier und dort, die allermeisten Gesichter kannte er, Fremde gab es hier oben selten.

      Das lag daran, dass Grumberg kein fachwerkgesäumtes Vorzeigeörtchen war wie Rhodt, Maikammer oder Deidesheim. Sicher, auch hier standen alte Häuser, schmucke Höfe und eine Kirche, die die Last der Jahrhunderte zusammengestaucht hatte wie einen uralten Mann. Doch die Grumberger blieben lieber unter sich, es gab keine Pension und kein Hotel, nur die Krawehlin vermietete einige Zimmer über ihrer Wirtschaft. Momentan hatten die Studenten dort ihre Unterkunft. Bleibier mochte diese kleine Welt. Für ihn war sie die Heimat, hier war er aufgewachsen, am Waldrand zwischen Weyher und Burrweiler. Der Gang durchs Dorf gab ihm jedes Mal ein wohlig warmes Gefühl in der Herzgegend. Seine Tochter Susanne nannte den Ort »Grumbeer«, sie hatte es kaum erwarten können wegzukommen. Inzwischen lebte sie in Mannheim, hatte einen guten Job bei den Reiss-Engelhorn-Museen und wurde nicht müde, ihren Papa zum Wegzug aus dem »Waldkaff mit Winzerzombies« zu bewegen. »Mach doch was aus deinem Leben, Babba«, versuchte sie es immer wieder, »es gibt doch noch mehr als den Haardtrand und Wingert und die immergleichen Gesichter.« Was aber, wenn er gar nichts anderes wollte als den Haardt­rand und Wingert und die immergleichen Gesichter? Trotzdem freute er sich jedes Mal, wenn Susi zu Besuch kam mit Geschichten und Handyfotos aus der großen Stadt, von denen Bleibier schwindelig wurde.

      Er erreichte die Wache. Schon auf dem Trottoir hörte er eine keifende Frauenstimme. Das klang nach der Bickel Elfriede, die mit ebendieser Stimme seit fast vierzig Jahren die Grundschüler von Grumberg beschallte. Elfi war Dauergast in der Polizeistube, ständig gab es etwas, was sie unbedingt zur Anzeige bringen musste.

      »Unn alle leer newedroo! Wonnichsdirsaach, leer newedroo!« Ihre Stimme verursachte bei Bleibier einen Schoppenreflex, das sägende Jammern ließ sich am besten mit einer Rieslingschorle ertragen. Das kam aber nicht infrage, im Dienst trank er nicht. Oder zumindest selten.

      Der Kommissar betrat das, was offiziell »Polizeiwache 1« hieß. Nicht, dass es eine Wache 2 oder gar 3 gegeben hätte. Nein, die Wache, ihre Einrichtung und sogar die beiden Beamten waren einmalig in der Gegend, keines der anderen Dörfer besaß eine eigene Dienststelle. Und auch die Grumberger Wache wäre nach dem Willen der Bezirksdirektion Neustadt schon vor Jahren aufgelöst worden. Doch das ging nicht, und hinter dieser Tatsache steckte eine interessante Geschichte.

      »Gmoje, Elfi. Was issn los?«, begrüßte Bleibier die ältliche Dame mit zementierter Frisur, die am Schreibtisch seines Kollegen Manfred Blümlein stand.

      »Achgottachgott, Maazl, do bischt jo! En Diebstahl vor meiner Deer, mit Sachbeschädigung unn mit Mundraub!«

      Bleibier hob eine Augenbraue. »Mundraub.«

      »Mund…raub«, murmelte Manne und tippte das Wort ein. Er saß am Rechner, dem einzigen in der Wache, und suchte mit zwei Zeigefingern Buchstabe für Buchstabe auf der Tastatur.

      »Ajoh, wonn ich’s doch saach! Vier Kischde Woi, direkt vor meiner Deer!«

      Während Bleibier seine Jacke auszog, hörte er sich die Geschichte der Bickel Elfi an. Winzer Ansgar hatte ihr gestern Abend vier Kartons Wein vor die Tür gestellt, weil er

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