Rhöner Nebel. Friederike Schmöe
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Читать онлайн книгу Rhöner Nebel - Friederike Schmöe страница 5
»Sie haben sich extra keine Geschenke gewünscht«, sagte Anja. »Aber so ganz mit leeren Händen wollte ich nicht kommen. Daher habe ich eine Blumenschale für die Kapelle besorgt. Ist das in Ordnung?«
»Mein liebes Kind, natürlich. Etwas für die Gemeinschaft ist genau das Richtige. Was brauche ich schon? Materielles beschwert nur. Im Alter merkt man das deutlicher als je zuvor.«
»Wer von den früheren Schwestern ist denn heute noch hier?«
»Nur Richhilde, die ehemalige Küchenchefin. Du erinnerst dich sicher an die köstlichen Baumkuchen, die es zu Festtagen gab? Allein ihr Werk. Tja, Schwester Ursula, eine unserer besten Erzieherinnen, ist vor zehn Jahren gestorben. Das Küchenteam ist mittlerweile komplett weltlich. Richhilde hat Arthrose und kann sich kaum bewegen. An Arbeit ist nicht mehr zu denken, wenngleich sie sich an einem Tag wie heute zusammenreißt und versucht, ihren Beitrag zu leisten. Falls sie sonst das Haus verlässt, muss es ein guter Tag sein, sie kommt nur unter Schmerzen die Treppen runter. Heute leitet Schwester Irmtraud unseren Minikonvent, sie stieß vor drei Jahren dazu. Vier Schwestern, hier draußen, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen!« Schwester Romana nahm drei Gläser Prosecco von einem Tisch. Ein Windstoß bauschte ihren Rock auf. »Draußen feiern in der Rhön, das gelingt nicht immer. Der Herrgott meint es gut mit uns. Auf eure gesunde Ankunft in der Vergangenheit!« Sie lachte fröhlich und stieß mit Katinka und Anja an. Die Gläser klirrten.
Katinka sah sich um. Unter den Gästen hatten sich mittlerweile Grüppchen gebildet. Viele schienen mit ihren Familien gekommen zu sein. Kinder flitzten über die Wiesen, zwei unzufriedene Teenager hockten auf einer Bank und daddelten auf ihren Handys. Der Empfang hier oben schien zu wünschen übrig zu lassen, denn beide machten ausgesprochen verdrossene Gesichter.
»Schön hier. Lüftet den Geist«, sagte sie.
»Richtig. Ich mochte es früher nicht so gern, mittlerweile kann ich die Vorzüge schätzen«, lächelte Schwester Romana. »Besser spät als nie. Zum Sommer wird der Konvent aufgelöst.«
»Was?« Entgeistert sah Anja die Schwester an.
»Wir sind alt. Alle Orden leiden an Nachwuchsmangel. Wie sollen wir eine Einrichtung dieser Größe halten? Schon vor 15 Jahren haben wir die Hälfte der Gebäulichkeiten an die zukünftigen Fremdsprachenkorrespondenten vermietet. Die kommen zum Unterricht mit dem Auto. Unsere Schüler werden sich im kommenden Schuljahr andere Unterkünfte suchen müssen. Es sind ohnehin nicht mehr viele. So etwas wie ein Internatsleben gibt es kaum noch. Tja.«
Katinka ließ den Blick schweifen. An einem sonnigen Frühlingstag wirkte alles malerisch, ein wenig aus der Zeit gefallen. Aber im November, in Tristesse und Düsternis? Meins wäre es nicht, dachte sie.
»Ist das Ehepaar Krone noch hier?«, fragte Anja.
»Beide gehen im Sommer in Frührente. Sie haben sich einen Alterssitz in Thüringen verschafft, stell dir vor. Hinter der Grenze!«, gluckste Schwester Romana. »Wer hätte das damals gedacht?«
»Niemand. Ich kann mich erinnern, wie Sie mich eingewiesen haben, als ich meinen Dienst hier begann«, lächelte Anja. »Vorsicht im Wald. Nicht bis zur Grenze gehen. Spätestens an den weiß-blauen Pfosten stehen bleiben. Die Schüler darauf hinweisen.«
Schwester Romana zeigte auf ein Grüppchen. »Da drüben steht Gitta Krone. Ganz die alte, was?«
Neugierig beäugte Katinka eine dünne Frau in Jeans und einem Herrenhemd, die gerade ihr Saftglas abstellte und ein etwa vierjähriges Mädchen zurechtwies, das unter dem Tisch mit den Getränken ein charmantes Versteck zum Spielen gefunden hatte.
»Humorvoll war sie nie«, sinnierte Anja.
»Wenn ihr eure Zimmer in Augenschein nehmen wollt: Im Treppenhaus hängt ein Zettel mit euren Namen und der Zimmernummer. Zweiter oder dritter Stock. Kein Lift, leider. Wir alten Nonnen müssen wenigstens bloß in die erste Etage raufklettern. Selbst das schafft die arme Richhilde kaum. Sie ist diejenige von uns, die am längsten hier lebt. Mit Übernahme des Internats durch den Orden kam sie in die Rhön.«
Anja nickte abgelenkt. Eine andere Nonne löste sich aus der Menge.
»Romana?«, rief sie. Ihre Stimme klang heiser. Sie war klein, sehr mager, knochig beinahe. Ihre Füße steckten in Schnürstiefeln, die ihr eindeutig zu groß waren.
»Meine Güte, sie hat wieder die dicken Winterschuhe angezogen«, wisperte Romana. »Das ist es, was das Alter aus den Menschen macht. Früher war sie so eine fähige Chefin. Sie ist 91, wusstest du das, Anja?« Laut rief sie: »Gertrudis, kannst du dich an unsere Anja erinnern?«
Die dünne Nonne blinzelte kurzsichtig. »Anja Mähling.« Sie lächelte breit. »Das freut mich ganz besonders.«
»Mich ebenfalls, Schwester Gertrudis. Schön, Sie wiederzusehen.«
Gertrudis streckte die Hand aus. »Du warst ja eine von denen, die uns besonders ans Herz gewachsen sind!«
Schwester Romana verdrehte die Augen.
»Und Sie? Kenne ich Sie auch?«, wandte Gertrudis sich an Katinka.
Helle blaue Augen strahlten sie an.
»Nein, wir sind uns noch nicht begegnet. Ich bin eine Freundin von Anja.«
»Sie heißt Karina«, sagte Schwester Romana.
»Katinka.«
Romana nahm die andere Nonne bei der Hand. »Ist denn unser Tobias schon hier? Ihn kennt Anja doch noch.«
Katinka musterte Schwester Romana neugierig. Sie wirkte, als habe sie sich seit Wochen auf diesen Tag gefreut und wäre nun bereit, ihn in vollen Zügen auszukosten.
»Tobias Gebsen?«, hörte sie Anja aufgeregt fragen. Von Nervosität war nichts mehr zu spüren.
»Genau der. Ihr entschuldigt uns?«, bat Romana. »Gerade kommt ein Schwung Gäste.«
»Natürlich, kein Thema!« Anja nickte den Nonnen lächelnd zu.
Beide gingen davon, die magere Gertrudis steif wie ein Stock, Romana eilfertig.
Katinka stellte ihr Glas ab.
»Was dagegen, wenn ich mich ein bisschen umsehe?«, flüsterte sie Anja zu.
Ein Schatten glitt über Anjas Gesicht.
»Ich bin in einer Viertelstunde zurück. Möchte einfach die Anlage kennenlernen.«
»Klar. Natürlich«, nickte Anja.
*
4.
Katinka schlenderte über das Gelände. Der Wind ließ die Tischdecken flattern. Jemand brachte ein paar Feldsteine, um sie zu beschweren. Gelächter. Ein Sektglas fiel um. Leute wuselten umher. Mehr Gäste kamen vom Parkplatz herüber.
Eine runde Frau um die 50 mit kurz geschnittenem grauen Haar und einem Korb am Arm trat Katinka in den Weg.
»Grüß Gott!« Ein Namensschildchen