Rhöner Nebel. Friederike Schmöe
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Читать онлайн книгу Rhöner Nebel - Friederike Schmöe страница 6
Die Schwester wühlte im Korb. »Bitte, für Sie! Ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise?«
»Hatten wir. Ich bin eine Freundin von Anja Riedeisen. Sie hat als Freiwillige hier ein soziales Jahr absolviert. Vor 30 Jahren.«
»Ich bin erst seit drei Jahren hier. Die Namen von früher sagen mir leider nicht viel.«
»Darf ich neugierig sein?«, bat Katinka. »Warum tragen Sie keine Ordenstracht?«
»Meine Generation tut das nur noch bei Bedarf.« Sie lächelte. »Ihnen wird dies vielleicht eigenartig vorkommen. Dennoch: Ich bin die jüngste Schwester in diesem Altenheim. Mit 55!«
»Ich habe gehört, es gibt bloß noch vier Schwestern.«
»Stimmt. Wir halten die Fahne hoch!« Sie nickte Katinka zu und ging weiter zu den nächsten Gästen, die gerade vom Parkplatz herüberkamen, ein Paar mit zwei Kindern.
»Herzlich willkommen«, rief Schwester Irmtraud. »Verraten Sie mir Ihre Namen? Wir haben Badges vorbereitet.«
»Martin Süderbeck«, sagte der Mann. »Und Carola. Meine Frau.«
Sieh an, das ist er also, dachte Katinka. Anja Riedeisens erste Liebe.
Martin Süderbeck war groß, schlaksig, sein lockiges braunes Haar lichtete sich bereits, aber der grau melierte Dreitagebart gab ihm ein charmantes Aussehen. Er lächelte Schwester Irmtraud an, als er sein Namensschild in Empfang nahm. Grübchen in den Wangen. Ein jung gebliebenes Gesicht.
»Bitte sehr«, freute sich Schwester Irmtraud. »Und für die Kinder?«
»Linda und Delia. Eigentlich wollten sie gar nicht mit, lieber bei der Oma bleiben, nicht wahr?«, wandte er sich an zwei Mädchen von etwa zehn Jahren, die einander glichen wie das berühmte Ei dem anderen.
»Seid ihr Zwillinge?«, wollte Schwester Irmtraud wissen.
»Klar, sieht man doch«, antwortete die eine cool.
Katinka musste grinsen. Durchsetzungsvermögen und Wurstigkeit gegenüber Autoritäten konnte ein Mädchen nicht früh genug lernen.
Unauffällig behielt sie die Süderbecks im Blick, während sie weiterging. Das Gebäude auf der rechten Hofseite wirkte verlassen. Am Eingang prangte ein Schild: Fremdsprachenkorrespondentenschule. In einem Plastikkasten daneben warteten Flyer auf Interessenten. Katinka drückte die schwere Türklinke. Verschlossen.
»Das Internatsgebäude ist das andere«, erklärte jemand.
Katinka drehte sich um. »Gut, dass Sie es sagen. Ich war noch nie hier.«
Der Mann warf sich in die Brust. »Nein?«
Sie lugte auf sein Namensschild. Manfred Krone. »Und Sie?«
»Ich habe mein halbes Leben in diesem Haus als Pädagoge Dienst getan.«
»Zusammen mit Ihrer Frau, habe ich recht?«
Er starrte Katinka missmutig an. Es war offensichtlich, dass er dieses Detail gerne bühnenreif ausgestaltet hätte.
»Und nun gehen Sie in Frührente. Sehen Sie, so schnell sprechen sich Dinge herum.«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das kenne ich wirklich zur Genüge. Wir haben es im Albertus-Magnus-Zentrum mit einer Börse zu tun, nichts bleibt unbekannt.«
»Schwester Romana hat es mir erzählt.«
»Romana! Der Name ist Programm. Die Ähnlichkeit mit dem Wort ›Roman‹ fällt ja wohl gleich auf. Also mit einem dicken Schmöker.« Krone hoffte auf eine Reaktion, die ihm belegte, dass sein Witz gut war.
Katinka ging nicht auf ihn ein. »Sie sieht jung aus. Nicht wie 80.«
»Nein, sie hat sich gut gehalten, hat ununterbrochen überall mitgemischt. Wer mit jungen Leuten arbeitet, bleibt im Herzen frisch.«
Du aber nicht, dachte Katinka, während sie den Lodenjanker und den Bauchansatz über der Cordhose ihres Gegenübers musterte.
»Mag sein.«
»Sind Sie auch im Internatsgeschäft tätig?«
»Bloß Begleitperson. Ich bin eine Freundin von Anja Riedeisen. Früher Mähling.«
Täuschte sie sich, oder wurde Krone tatsächlich eine Spur blasser?
»Wahrhaftig? Anja ist hier? Sie war eine sehr tüchtige Freiwillige. Hat sich schnell reingefunden. Der Winter damals, der dauerte fast ein Dreivierteljahr. Wobei …« Er zögerte. »Kein ganz unproblematisches Jahr.«
»Wegen des Winters?«
»Nein. Pädagogisch gesehen. Ich hoffe, Sie genießen das Wochenende!« Er ließ Katinka stehen.
*
5.
Mähling fuhr mit Abblendlicht und schaltete es ganz aus, als er kurz nach halb elf auf die Zufahrt zum Albertus-Magnus-Internat einbog. Um diese Jahreszeit leuchtete der Himmel selbst nach zehn Uhr abends noch wie Silber.
Er hielt, drehte am Rückspiegel, kämmte sein Haar zurück, stieg aus. Hätte er den Kopf in den Nacken gelegt, wäre ihm der Himmel vorgekommen wie in Sternenlicht gebadet.
Schwester Romana stand in der Tür, am ganzen Körper Einsatzbereitschaft ausstrahlend.
»Schwester Romana, guten Abend.«
»Gelobt sei der Herr und so weiter. Kommen Sie herein, Herr Mähling. Wenn Sie wegen …«
Er hob die Hand. »Ich würde mich gerne … in Ruhe mit Ihnen unterhalten.«
»Das Haus liegt im Tiefschlaf.« Sie lächelte. »Gehen wir in mein Büro!«
Er folgte ihr in den ersten Stock, wo sie lautlos – die Nonnen schliefen auf diesem Flur – durch die Glastür mit der Aufschrift »Sekretariat« ins Allerheiligste der Büroräume schlüpften.
Romana bewegte sich trotz ihrer Körperfülle schnell und leise. Sie führte Mähling an einem überladenen Schreibtisch vorbei, auf dem eine Schreibmaschine mit ein paar eingespannten Blättern stand, durch eine Schiebetür hindurch.
»Mein Reich!«
Mähling sah sich in dem muffigen kleinen Raum um, in dem außer für einen massiven Schreibtisch mit Drehstuhl und zwei Sesseln kaum noch Platz für einen Aktenschrank war.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten? Ein Bier?«
»Ich muss noch fahren.«
»Vielleicht einen Kaffee?«
»Nein, wirklich nicht nötig. Ich brauche Ihren Rat.«
»Immer gern. Bitte, setzen Sie sich.«