Tödliche K. I.. Markus Warken

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Tödliche K. I. - Markus Warken

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kicherte sie. Mit einem Mal verspürte sie richtig Lust auf die Party.

      Sie trällerte »Jour 1« von Louane, tänzelte gut gelaunt unter die Dusche und schlüpfte anschließend in ein figurbetontes, enggeschnittenes Kleid. Ihre dunkelbraunen Haare föhnte und bürstete sie, bis sie glänzten. Die Frisur hatte sie bei Sandra Bullock abgeschaut, mittellang, glatt, offen, mit Seitenscheitel – ohne großen Aufwand und doch so hübsch, dass sie sich wohlfühlte. Sie schminkte sich gerade, als die Anzeige ihres Handys wegen einer neuen Nachricht aufleuchtete. Wibke wartete unten vor der Tür. Schwarze Pumps vervollständigten ihr Outfit und Minuten später glitten sie in Wibkes Sportwagen durch Berlin in Richtung Osten.

      Der Roadster war kein halbes Jahr alt, roch fabrikneu, und die cremefarbenen, unglaublich bequemen Ledersitze zeigten nicht die geringsten Gebrauchsspuren. Auf Jana, die nach der Trennung ihrer Eltern in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen war, wirkte das Ganze geradezu unwirklich. Das Gefühl verstärkte sich, als sie auf der Rennbahn eintrafen. Wibkes riesigen, mit Reiherfedern geschmückten Hut auf dem Kopf schwebte Jana neben ihrer Freundin in die Bar des Rennklubs. Drinnen tummelten sich elegante Damen, die allesamt exotische Kopfbedeckungen trugen, neben Herren in Tweed-Jacketts. Die Atmosphäre wirkte eine Spur aus der Zeit gefallen. Sie kam sich vor wie eine Komparsin in einer Filmszene, die in Ascot spielte. Die Bedienung empfing sie mit der Frage: »Champagner? Roederer oder Krug?«

      Jana fühlte sich in der fremden Welt der jungen Berliner Oberschicht wie auf einer Safari. Wibke stellte sie anfangs einigen Bekannten vor, verschwand aber bald in der Menge, um Freundinnen mit Küsschen zu begrüßen und vermutlich den jüngsten Tratsch und Klatsch auszutauschen. So ließ sich Jana die längste Zeit des Abends allein durch die Glitzerwelt der Reichen treiben und kostete zum ersten Mal in ihrem Leben Champagner. Sie fand es anregend, aber sie scheute sich, die Sicherheit ihres imaginären Safari-Jeeps zu verlassen, bevor sie die Gefahren dieser Wildnis einschätzen konnte. Für diesmal, tröstete sie sich und griff sich ein neues Glas vom Tablett eines Kellners, der gerade an ihr vorbeikam. »Türen stehen dir offen, Jana. Ob du hindurchgehst, wird sich finden!«, sagte sie leise zu sich selbst, schnupperte an ihrem Glas und trank einen Schluck. Krug-Champagner ist meine Marke, beschloss sie und lächelte glücklich.

      Später am Abend schwebte Wibke auf sie zu.

      »Jana, da bist du ja! Ich suche dich die ganze Zeit.« Wibke kam ganz dicht an ihr Ohr. »Würde es dir etwas ausmachen, dir eine andere Fahrgelegenheit für die Rückfahrt zu besorgen? Es kostet dich ein Lächeln – lauter gute Partien um dich herum!«

      »Kein Problem, ich finde alleine heim!« Jana machte eine großzügige Geste, bei der sie kurzzeitig ein wenig das Gleichgewicht verlor. Der Champagner war tückisch.

      »Soll ich dir Per vorstellen?«, unterbrach Wibke ihre Gedanken und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Den kenne ich aus Hamburg. Ganz nett, schließt gerade sein BWL-Studium ab und steigt später bei seinem Vater in die Reederei ein. Er hat mich eben gefragt, wer denn meine schöne Freundin wäre. Der Gute hat uns zusammen reinkommen sehen und traut sich nicht, dich anzusprechen – weil du so unnahbar wirkst und alle abblitzen lässt.«

      Über Wibkes Schulter hinweg sah sie einen schmalgesichtigen Mann, der ihr schüchtern zulächelte. Er sah nicht schlecht aus und hatte in jedem Fall auf eine plumpe Anmache verzichtet. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, die Recherche für den Vortrag zu verschieben und sich mit Per einen schönen Abend zu machen, verwarf den Gedanken jedoch sofort. Ihr Studium abzuschließen, um auf eigenen Füßen zu stehen, war wichtiger als Kontakte in die High Society. »Du, danke, ein anderes Mal gerne. Ich nehme die S-Bahn. Wollte sowieso noch etwas arbeiten, und das passt bestimmt nicht in Pers Pläne.«

      Als Jana kurz nach Mitternacht ihre Wohnung aufschloss, fühlte sie sich ausgelassen und unbeschwert. Der Schampus war ihr im Laufe der Fahrt noch mehr in den Kopf gestiegen. »… irgend so ein Schnucki mit ’ner Riesenjacht …«, trällerte sie den Ohrwurm, der sich im Hoppegarten in ihrem Kopf festgesetzt hatte, warf ihren Mantel mit Schwung auf den Haken in der Diele und ging ins Wohnzimmer. Dort klappte sie ihren Rechner auf, ließ sich auf ihren Bürostuhl plumpsen und drückte den Startknopf. Ihr war ein wenig schwindlig. Sie massierte ihre Stirn, zog die Hände bis zu den Wangen nach unten und spähte über die Fingerspitzen auf den Bildschirm. Er zeigte verschiedene Artikel zur »Fackel der Gerechtigkeit«.

      »Na, ›Fackel‹, wie bist du so drauf?« Ihre Ängste vom Nachmittag kamen ihr kleinmütig vor. Sie dachte an die gelassen zur Schau getragene Selbstsicherheit der Partygäste im Hoppegarten. Wer nichts wagt, der nichts gewinnt, hieß es schließlich nicht umsonst. Ja, natürlich musste sie ausreichenden Sicherheitsabstand halten. Das änderte nichts an der Tatsache, dass sie herausfinden musste, was solche Leute zu derartig abscheulichen Taten trieb. Jana griff nach der Espressotasse, die vom Nachmittag noch halbvoll neben ihrem Rechner stand. Der Kaffee war natürlich längst kalt. Es schüttelte sie, als die bittere Flüssigkeit durch ihre Kehle rann.

      »Wir gehen auf Nummer sicher.« Erfüllt von Zuversicht, das Richtige zu tun, rief sie »web.de« auf, um sich eine neue E-Mail-Adresse anzulegen. Mit einer unauffälligen Adresse bei einem der größten Anbieter kostenloser E-Mail-Kennungen würde sie kein Aufsehen erregen. Welchen Namen geben wir der Kennung?

      »Wer bin ich, ›Fackel der Gerechtigkeit‹?«, murmelte Jana. »Wer bin ich? Jedenfalls geht dich das nichts an.«

      Tante Greta sagte immer, egal ist 88, erinnerte sich Jana. Zweimal 88 ist scheißegal.

      Mit der Kennung »wbi8888« – wer bin ich? Scheißegal! – konnte sie die »Fackel der Gerechtigkeit« aus sicherer Entfernung ausforschen und herausfinden, wie er und seine Anhänger tickten.

      Das Anlegen der E-Mail-Kennung dauerte keine zwei Minuten. Die Anmeldemaske fragte nach ihrem Namen, ihrer Adresse und ihrem Geburtsdatum. Jana kicherte, als sie »Joachim Müller«, »5.6.1987« und »München« eintrug.

      »Jana, du hast einen Schwips«, gluckste sie, nachdem sie die Maske fertig ausgefüllt hatte, und ließ ihren rechten Zeigefinger mit einer weit ausholenden Bewegung am gestreckten Arm auf die Enter-Taste fallen. »So, ›wbi8888‹, die Jagd kann losgehen!«

      Anschließend richtete sie sich ein weiteres Postfach auf ihrem Rechner ein, um bequemer auf die Nachrichten der neuen Mailadresse zugreifen zu können. In mehreren einschlägigen Foren stellte sie ihre Fragen und forderte die Fackel und seine Unterstützer auf, »[email protected]« Rede und Antwort zu stehen. Dann klappte sie den Rechner zu und ging schlafen. Es war Viertel nach drei, und ihr Kopf brummte nicht nur vom Alkohol.

      Als Jana am nächsten Morgen auf ihren Wecker blickte und sah, dass es schon fast elf war, war sie schlagartig hellwach. Hektisch sprang sie auf, duschte und schlüpfte mit nassen Haaren in ihre Kleider. Um zwölf war ihr Vorstellungsgespräch in der Whiskybar »Fàilte!«, wozu sie auf keinen Fall zu spät kommen wollte. Sie hatte schon den Mantel in der Hand, um hinaus in Richtung S-Bahn zu stürzen, als sie wieder an ihre Anfragen aus der letzten Nacht dachte. Hin- und hergerissen spähte sie ins Wohnzimmer, wo der Laptop zusammengeklappt auf dem Schreibtisch lag.

      »Okay, zwei Minuten«, genehmigte sie sich und flitzte zu ihrem Arbeitsplatz, um unter »[email protected]« nachzusehen, ob sich bereits etwas getan hatte. Ihr fiel auf, dass der Rechner eigenartig heiß war und der Lüfter auf vollen Touren lief. Dabei war sie sich sicher, dass sie ihn wie immer in den Bereitschaftsmodus heruntergefahren hatte. Mit fliegenden Fingern rief sie das neue Postfach auf und stellte fest, dass sie tatsächlich zwei E-Mails erhalten hatte. Ihr Herz klopfte, als sie die erste öffnete.

      von: Abu Mujahed <[email protected]>

      an: [email protected]

      Betreff: Streiter für die gerechte Sache!

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