Zurück im Zorn. Christoph Heiden

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Zurück im Zorn - Christoph Heiden

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die Klinge. Fast fertig, dachte Willy und verdrehte in heller Vorfreude die Augen.

      Er nahm eine Kuchengabel und einen Teller von Evas Lieblingsgeschirr aus dem Schrank. Handgemaltes Rosenmotiv auf weißem Porzellan. Dann latschte er, den Backgeruch in der Nase, den Speichel im Mundwinkel, zur Anrichte und griff nach dem Zuckertopf. Ein Stück Pflaumenkuchen ohne Zucker war wie eine Suppe ohne Fettaugen oder Kaffee ohne Sahne.

      »Verdammt«, fluchte er. »Alle.«

      Er hatte den letzten Zucker für den Hefeteig verwendet, eine Erkenntnis, so giftig und bitter, dass er das Bier in einem Zug leerte. Die Küchenuhr zeigte halb sechs. Seine Abendplanung sah keine Fahrt zum Netto vor; er wollte die Beine ausstrecken, den Kuchen verputzen, zwei oder drei Schnäpse kippen und sich einen Dokumarathon auf »National Geographic« geben. Außerdem hatte er im Laufe des Nachtmittags drei Bier getrunken, was eine Autofahrt de facto ausschloss. Als ehemaliger Polizist klebte ihm die Vorbildfunktion an den Fersen wie Hühnerkacke. Er strich sich das Haar zurück, öffnete ein neues Bier und latschte in die Wohnstube. Die Freude auf den Kuchen war dahin.

      Der Abend schwärzte die Fenster, und das Licht der Stehlampe leckte über die Scheiben und Ofenkacheln. Willy hakte die Daumen in die Westentaschen und beäugte sein Spiegelbild im Fenster. Früher hatte Evas Putzfimmel dafür gesorgt, dass er sich mit scharfen Konturen und feinen Details auf dem Glas wiedererkannte; jetzt war seine Gestalt unscharf, schwammig und seines Erachtens viel zu fett. Eva hätte ihn beim Anblick der Wohnstube garantiert eine Drecksau geschimpft. Dabei saugte er regelmäßig Staub, schrubbte das Klo einmal im Monat und ließ den Abwasch höchstens eine Woche stehen. Andere Dinge vernachlässigte er, insbesondere solche Dinge, die Eva erledigt hatte: Fenster putzen, Vorräte auffüllen, Staub wischen oder eben die Wäsche waschen.

      In einem Anflug von schlechtem Gewissen schnappte er sich das Kissen vom Ofenhocker und rieb es über die Kacheln, dann trottete er zu dem Küchenbüfett an der hinteren Wand. Das Möbelstück passte nicht in die Wohnstube, wirkte hier deplatziert, als stünde es für den Sperrmüll bereit. Willy fand es praktisch, erstens hatte auf der Arbeitsfläche sein Plattenspieler Platz und zweitens konnte er den unteren Teil mit allerlei Krimskrams zumüllen. Halbherzig strich er das Sitzkissen über das Holz und die Glastüren. Wäre ihre Ehe nicht kinderlos geblieben, hätte Willy sich wohl zum Besseren entwickelt; wahrscheinlich wäre er heute einer dieser perfekten Witwer, deren Verlust ungeahnte Kräfte in ihnen mobilisierte. Diese Super-Witwer, die im Kirchenchor singen oder Hunde aus dem Tierheim Gassi führen, die mit dem Fahrrad zum Bioladen fahren und Grundschülern Geschichten vorlesen. Willy hatte keine Kinder, denen er Autonomie oder Lebensfreude beweisen musste, und somit drang das Licht Jahr für Jahr dumpfer durch die Fenster. Nicht mehr lang und in seiner Wohnstube würde ewige Dämmerung herrschen.

      Er pflanzte sich aufs Sofa, schob das Kissen hinter seinen Rücken, und solange seine Finger zwischen den Polstern nach der Fernbedienung stöberten, beäugte er die rechte Wand. Früher zierte die Tapete ein auf Pappe geleimtes Puzzle, das Eva während ihrer Chemotherapie gemacht hatte; heute hingen dort Fotos und Zeitungsartikel und eine Karte vom Westhavelland.

      »Kannst du mir mal verraten, was ich übersehn hab?«, fragte er in die Stille hinein. »Hä?«

      Doch Eva reagierte nicht, mit keinem Wort, keiner Geste.

      »Was frag ich dich überhaupt«, motzte er. »Du hast schon damals die Schnauze voll gehabt.«

      Er spähte nach den beiden Fotografien, die im Zentrum seiner Sammlung hingen. Auf der besseren Aufnahme sah man einen jungen Mann neben seiner Mutter. Martin und Lisbeth Berger. Willy hatte das Foto Mitte der 90er geknipst, was die Persönlichkeitsrechte der beiden verletzte und ihm fast eine Abmahnung eingebracht hätte.

      Das zweite Foto, das ein Vogelkundler aus Pechlin geschossen hatte, war in Schwarz-Weiß und zeigte einen Ausschnitt der Gollwitzer Heide: im Hintergrund der graue Himmel und die Landschaft, im Vordergrund eine Straße und die verwischte Gestalt eines Mopeds inklusive Fahrer. Das Kennzeichen war von Matsch verdreckt und dementsprechend unbrauchbar. Henning Kokles hatte den Heimflug der Kraniche festhalten wollen, und das Moped war ihm zufällig ins Bild geraten. Für ihn eine verpfuschte Aufnahme, für Willy der Beweis, nach dem er lange gesucht hatte. Manchmal wünschte er sich, dieser Zufall hätte sich nie ereignet und Kokles zwei Sekunden später den Auslöser gedrückt. Vielleicht wäre er dann auch ohne Kinder einer dieser perfekten Witwer geworden.

      »Dir ist doch klar«, fragte er, »dass er wieder zuschlagen wird?«

      Er klopfte mit der Fernbedingung auf seine Oberschenkel, als erwartete er von Eva tatsächlich eine Antwort. Nach einer Weile seufzte er und schob die leere Bierpulle zwischen die Polster, angelte vom Boden eine Flasche »Goldkrone« und dachte an den verdammten Zucker.

      Bloß keine Panik

      Während Justin sich über einen älteren Jungen ausließ, hörte Anna das Läuten des Telefons; es drang durch die Bürotür auf den Flur hinaus, abgehackt und schrill, als würde ihr der Anrufer direkt ins Ohr kreischen.

      »Wieso darf der immer bestimmen?« Justin fuchtelte mit seiner Tischtenniskelle herum. »Die anderen wollen auch spielen.«

      »Ich werde mit ihm reden.«

      »Das sagt Sonja auch immer.«

      »Gib mir fünf Minuten, okay?«

      Justin nahm das Läuten entweder nicht wahr oder ignorierte es absichtlich; obwohl sie vor seinen Augen den Schlüssel ins Schloss steckte, verlangte er von ihr, sie solle den Idioten rausschmeißen. »Jetzt sofort.«

      »Ich muss ans Telefon«, erklärte sie.

      »Dann warte ich hier.«

      »Justin, wir schließen um acht.«

      »Hab ich’s doch gewusst.«

      »Was hast du gewusst?«

      »Dass du sowieso nichts machst.«

      »Justin«, sagte sie. »Fahr mal runter.«

      »Das ist der beschissenste Jugendklub, den ich kenne.« Er warf den Schläger auf den Boden, wandte sich ab und lief in der Pose eines arroganten Fußballers zur Treppe. »Das war so was von klar!«, brüllte er. »Typisch Anna!«

      Keine Zeit und keine Nerven, um sich seine Komplimente anzuhören. Sie schloss die Tür auf und huschte ins Büro. Unerledigte Aufgaben hatten aus dem Raum eine Rumpelkammer gemacht; rechts ihr Schreibtisch, ringsum Regale bis unter die Decke. Wo sich keine Ordner aneinanderreihten, standen Kartons voller Flyer oder Brettspiele, die sie auf Vollständigkeit prüfen wollte. Am Schrank ein Plakat zur U-18-Wahl, davor eine Kiste mit Broschüren von Pro Asyl und einer neu gegründeten Mädchengruppe. »Girls Power – Machst du mit?« Aus dem Aktenschrank war das obere Scharnier rausgebrochen, sodass die Tür halb in den Raum ragte. Unten am Kühlschrank hing eine Postkarte vom Hausmeister: Liebe Grüße aus Vietnam. Ich vermisse keinen von euch. Anna ließ sich auf den Drehstuhl fallen und langte nach dem Telefon.

      »Majakowski hier.«

      Keine Reaktion.

      »Hallo?«

      Sie schaute aufs Display.

      »Ist jemand dran?«

      Kein Name wurde angezeigt, keine Nummer.

      »Hallo-o?«

      Sie

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