Zurück im Zorn. Christoph Heiden
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Die Aufmerksamkeit aus der hinteren Sitznische war ihm dagegen gewiss; dort im Halbdunkel saßen jene, die mit der Finsternis Geld verdienten: Besitzer einer Pension oder Wanderführer, Hobby-Ornithologen oder selbsternannte Spezialisten für Sonne, Mond und Sterne.
Links am Tisch die Eheleute Kallabis, die ungefähr in Willys Alter waren. Lasse hatte sein Leben lang in der Putenmast gearbeitet, wo er seiner Frau begegnet war. Die Ammoniakdämpfe vom Vogelkot hatten Claudia offenbar das Hirn vergiftet; sie stierte Willy aus geröteten Augen an, den Rücken gekrümmt, das Doppelkinn zur Hälfte im Bierglas. Daneben hockten Eugen und Constanze Kramer, zwei Berliner, die hier ein Haus gekauft hatten und nun alles Erdenkliche taten, um sich in die Horde zu integrieren. Arschlecken deluxe. Den Großteil der Runde machten die Einheimischen aus. Die Jüngsten unter ihnen, Kevin Hübner und Danny Schmidt, hatte Willy aufwachsen sehen, die Älteren hatten mit ihm die Schulbank gedrückt; aus Leidensgenossen waren Nachbarn geworden, aus Nachbarn irgendwann Fremde.
Er blieb an der Tür stehen und witterte das würzige Aroma, das über den Köpfen, Biergläsern und speckigen Tischen schwebte. Das Rauchverbot, das Friesack wegen der Touristen und ihrer neumodischen Ansichten durchgesetzt hatte, galt nicht für Johann Beck. Soweit Willy sich erinnern konnte, hatte der Alte nie auf seine Pfeife verzichten müssen, weder hier noch in den Ställen der Genossenschaft. Gleich einem Silberrücken hockte Beck inmitten der Horde, linkerhand sein Sohn, rechterhand seine zweite Frau, vor sich ein Guinness. Willy spürte, wie Beck Junior ihn taxierte.
»Hey, altes Haus«, rief ihm der Wirt vom Tresen aus zu. Sein Dauergrinsen und das Geschirrtuch auf seinen Schultern sollten Lässigkeit vortäuschen, doch mit jeder weiteren Sekunde, die Willy unterm Türsturz ausharrte, krümmten sich Friesacks Mundwinkel tiefer. Garantiert hatte Erdbeermütze Angst, er würde ihm das Geschäft versauen. Die handzahmen Astronisten mochten keinen Stunk, sie verbrachten ihre Zeit lieber mit Explosionen, die Millionen Lichtjahre entfernt waren. Friesack kam hinter seinem Tresen hervor, wanzte sich an Willy heran und raunte:
»Verzieh dich aus meinem Laden.«
»Wie bitte?«, entgegnete Willy.
»Du bist hier nicht willkommen.«
»Das ist ’n freies Land. Ich kann hingehen, wo ich will.« Ein dummer Spruch aus noch dümmeren Filmen, jetzt fand Willy ihn allerdings originell. »Oder siehst du das anders?«
»Schon mal was vom Hausrecht gehört?«
»Oh, der Herr hat sich belesen.«
»Los, mach ’nen Abgang.«
»Ich will nur ’n Päckchen Zucker.« Er hielt seine Hand wie ein Bettler auf. »Für meine Pflaumen.«
»Ist das ’ne Verarsche?«
»Über Pflaumen würde ich niemals Späße machen.«
Aus der hinteren Sitznische wurde eine Runde geordert, und der Wirt brüllte zurück, dass er sofort käme. Willy merkte, wie seine Abneigung gegen Friesack unter dem ursprünglichen Anlass seines Besuches ein tieferes Bedürfnis freilegte. Er winkelte die Ellbogen an, hakte die Daumen in die Westentaschen und sagte:
»Entweder lässt du mich durch oder du erlebst gleich ’ne Supernova.«
»Willst du mir wieder ’nen Stein ins Fenster werfen?«
»Das hättest du wohl gern.«
»Du warst damals schon neidisch.«
»Hä, auf dich?«
»Auf mich und meinen Pub.«
»Für so ’n Loch wäre mir selbst ’ne Handvoll Kötteln zu schade.«
»Wart nur ab«, drohte Friesack. »Die Quittung wirste noch kassieren.«
»Erst mal will ich ’n Päckchen Zucker. Kapiert?«
Von hinten dröhnte erneut die Bestellung, diesmal in strengerem Tonfall.
»Bist du taub?«, fragte Willy. »Das klang nach ’nem Marschbefehl.«
Mit sichtlich genervter Miene wandte sich Friesack um. Zwei Männern näherten sich der Tür. Sie und Friesack nickten einander zu, dann kroch der Wirt ohne ein weiteres Wort hinter den Tresen, wo er sich selbst einen Doppelten einschenkte.
»Unser Hüter von Recht und Ordnung.« Robert Beck, Sohn vom alten Silberrücken, lächelte so breit, als hätte er einen alten Freund entdeckt. Er und Danny Schmidt trugen Cargohosen und Thermopullover, Beck Junior dazu eine mit Lammfell gefütterte Weste und ein Halstuch.
»Ihr sollt bestimmt den Dreck rauskehren«, sagte Willy.
»Warum so aggressiv?«, fragte Beck.
»Ich will bloß ’n bisschen Zucker.«
»Und ich möchte nur mit dir reden.«
Robert Beck war Inhaber einer Tischlerei und der jüngste Ortsvorsteher, den die Gollwitzer je gewählt hatten. Mit seinem Vater war Willy lange befreundet gewesen, doch seit sich die Gegend »Sternenpark« nennen durfte und ein bisschen Geld in die Kassen floss, hatte sich irgendwas zwischen sie gedrängt.
»Was willst du hier?«, fragte Beck.
»Sag mal, bin ich ’n Papagei?«
Beck strich sich mit Daumen und Zeigefinger über den Schnurrbart. »Hey, wir wollen keinen Ärger.«
»Sprichst du etwa für alle?«
»Ich spreche für deine lieben Mitbürger«, entgegnete er. »Und du, Willy? Für wen sprichst du?«
Aus den Boxen säuselte eine melancholische Nummer, und Willy bemerkte auf unangenehme Weise, wie die Wirkung des Alkohols abflaute. Hätte es ihm sein Stolz erlaubt, wäre er an den Tresen gelatscht, um sich neuen Mut anzusaufen. Geschenkt, dachte Willy. Erdbeermütze würde ihm sowieso kein Pint zapfen oder es zumindest mit hauseigenem Rotz garnieren.
»Okay«, bat Beck in ruhigem Tonfall. »Mach bitte keine Szene.«
Eine Aussage, die sich für Willy wie eine Zeile aus einer Seifenoper anhörte; er empfand sich aber weder als enttäuschten Liebhaber noch als hysterische Geliebte. Er war ein handfester Typ und hatte sein Lebtag dementsprechend gehandelt: Ohne die geringste Ankündigung drückte er seinen Handrücken gegen Becks Unterarm und wollte ihn beiseiteschieben.
»Hey, lass das«, sagte Beck.
»Du hast mir gar nichts zu befehlen.«
»Alter Mann«, höhnte der Ortsvorsteher nun. »Schlaf deinen Rausch aus und komm morgen wieder. Eva hätte dasselbe gewollt.«
In dem Moment, in dem er den Namen seiner Frau vernahm, packte er Becks Arm, um ihn nach Polizeimanier auf dessen Rücken zu hebeln. Beck befreite sich aus der Klammer, scheinbar mühelos, und Willy wurde das ganze Ausmaß seiner Erbärmlichkeit demonstriert. Zunächst hoben die beiden Kerle am Kamin ihre Blicke, dann