Zurück im Zorn. Christoph Heiden

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Zurück im Zorn - Christoph Heiden

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eingeschlafen.«

      »’tschuldige.«

      »Muss man hier alles selber machen?«, schimpfte Claudia und schlug die Tür zu. Noch während sie zur Vordertür schlurfte, belegte sie Lasse und Charlie mit allerlei Flüchen; am liebsten hätte sie ihrem Mann ebenso den Hintern versohlt, wie sie es gleich bei dem Hund tun würde.

      Sie trat aus dem Haus, sah auf den Falkenberger Weg und knautschte die Hautfalten unter ihrem Kinn. Das ganze Dorf schien im Winterschlaf. Sie schaute hoch und musste beim Anblick der funkelnden Sterne frösteln. Der Westen verhökert zwar unser Land, dachte sie, aber den Himmel wird er uns nicht abluchsen. Niemals. Beiläufig witterte sie einen beißenden Gestank, irgendjemand verbrannte wohl heimlich seine Abfälle. Garantiert giftiges Zeug. Autoreifen, lackiertes Holz oder alte Matratzen. Wer auch immer so dreist war, sollte bloß aufpassen, dass ihn Johann Beck nicht am Wickel zu fassen kriegte. Johann Beck war der Ortsvorsteher von Gollwitz, ein Wendehals, von dem Claudia sich oft genug wünschte, er wäre damals mit Frau und Sohn abgehauen.

      Unablässig das Döschen schüttelnd, tippelte sie in Nachthemd und Latschen ums Haus herum. Das schmale Grundstück streckte sich schlauchförmig bis ins Heideland. Ohne Claudias Pflege wäre hier alles längst verwildert; ihren Rückenproblemen zum Trotz kümmerte sie sich allein um den Garten. War ihr feiner Gatte nicht auf Arbeit im Putenstall, half er Beck beim Hausbau, was mitnichten bedeutete, dass er dort bis zum Umfallen schuftete. Das verrieten ihr die Schwimmringe, von denen er sich jedes Jahr einen weiteren zulegte, und sein täglicher Bieratem.

      »Charlie«, brüllte sie verärgert, ehe sie die Rauchsäule erblickte.

      Das Außenklosett hinter der Scheune war seit Jahren außer Benutzung. Sie und Lasse hatten keine Lust, für jedes Geschäft über den Hof zu latschen, und noch weniger wollten sie sich im Winter den Arsch abfrieren. Jetzt wärmte das in Flammen stehende Plumpsklo Claudias Gesicht wie ein herrliches Neujahrsfeuer.

      Ohne sich von der Stelle zu rühren, rief sie nach Lasse. Unter der Hitze knackten die Holzwände lautstark und mit dem Knacken trug der Wind Charlies Geheul zu ihr. Claudia rannte zum Klo, griff nach der Verriegelung und das heiße Metall ließ ihre Hand zurückschnellen. Abermals rief sie nach Lasse, und als der nicht auftauchte, zog sie den rechten Arm unter das Nachthemd, neigte sich vor und umfasste mit der geschützten Hand den Riegel. Sie versuchte, ihn anzuheben, rüttelte unermüdlich an der Tür.

      »Charlie, mein lieber Charlie.«

      »Zisch ab«, brüllte ihr Mann.

      Er zerrte sie von der Toilette weg, schob seine Schwimmringe an ihr vorbei und trat dann so lang gegen die Verriegelung, bis das rostige Schloss vom Holz sprang und zu Boden klatschte.

      »Scheiße«, fluchte er, »die Tür geht nicht auf.«

      »Warum ’n nicht?«, schrie Claudia zurück.

      »Was weiß ich.«

      »Lasse, mach doch was.«

      Kaum hatte das Feuer das Innere des Klosetts erfasst, verstummte das Geheul. Die Gewissheit von Charlies Tod traf Claudia fast so hart wie die ersten Bilder der Grenzöffnung. Sie kniff sich die Haut unterm Kinn, als könne sie auf diese Weise aus dem Albtraum erwachen. Da reckte Lasse sein Gesicht gefährlich nah zur Tür hin.

      »Pass bloß auf, du«, warnte sie ihn.

      Er drehte sich um, und Claudia sah das Entsetzen in seinen Augen. »Die Tür is zugeschraubt«, sagte er. »Von oben bis unten.«

SAMSTAG

      Zu spät

      Anna hatte sich in die letzte Reihe gesetzt – Rucksack auf dem Schoß, Mantelkragen an den Hals geschmiegt, Kopf voller Zweifel. Sie mochte es kaum glauben, dass sie tatsächlich den Zug nach Rathenow genommen hatte und dort in den Linienbus gestiegen war. Noch paffte der Busfahrer draußen eine Zigarette, noch konnte sie aussteigen und die Aktion abblasen.

      Verunsichert schaute sie durch das Fenster auf das Bahnhofsgebäude. Der glutrote Klinker thronte über dem Vorplatz und verbannte den morgendlichen Osthimmel. Auf der anderen Straßenseite ein Wohnblock und davor eine Reihe spindeldürrer Bäume, die aus der Entfernung wie in die Fassade eingebrannte Silhouetten wirkten. Anna erinnerte sich, dass Mitte der 90er der Zugverkehr von Rathenow nach Berlin wegen Bauarbeiten stillgelegt worden war. Ihr Onkel hatte darüber zunächst getobt und später lediglich den Kopf geschüttelt; sie war zu jung gewesen, um seine Wut zu verstehen, es hatte wohl mit der Pension und den fehlenden Gästen zu tun gehabt. Heute fuhren die Züge wieder im Stundentakt, doch war der Bahnhofsplatz in der Frühe kaum lebhafter als ein Friedhof.

      Die Januarluft strömte in den Bus und kühlte das Innere langsam aus. Anna spürte durch den Rucksack hindurch die Briefe auf ihrem Schoß. Fünf Gründe, sofort auszusteigen und den nächsten Zug nach Berlin zu nehmen; fünf Gründe zu fragen: Warum erst jetzt? Wäre ihre Familie nicht bedroht worden, lägen die Briefe in dem Schuhkarton, verborgen und verschlossen wie eine Totengabe. Vermutlich würde ein Anruf bei ihrer Tante noch immer alle Bedenken aus der Welt schaffen.

      Hallo, ich bin’s.

      Hallo, Anna.

      Alles klar bei euch?

      Jaja, hier ist alles bestens.

      Das freut mich, ehrlich.

      Und weshalb rufst du an?

      Der Motor heulte auf, die Tür schloss sich, und der Bus rollte vom Bahnhofsplatz in Richtung Gollwitz. Zu spät, zu spät.

      Anna rutschte tiefer in den Sitz, streifte ihre Handschuhe ab und berührte die schorfige Stelle auf ihrem Handrücken. Ungezählte Male hatte sie die Sache mit sich selbst ausgemacht und bereitwillig ihr Los getragen, die einzige Überlebende der Brandnacht zu sein. Sie krümmte die Hand zur Faust und spürte, wie der Schorf auf ihrer Haut spannte; ein Gefühl, das einen als Kind fast in den Wahnsinn getrieben und zum großen Herumpolken verführt hatte.

      Anna wischte mit dem Ärmel über die Fensterscheibe. An ihren Augen zogen menschenleere Parks und Gehwege vorbei, eine Villa im Stil »Schön aufgebaut und schön verwahrlost«, dann ein Spielplatz unter einer schmutzigen Schneedecke. Auf einigen Schaufenstern klebten Schilder mit dem Hinweis ZU VERMIETEN, andere Auslagen erstrahlten in einer Farbpalette von Hellgrau bis Dunkelgrau. Der Bus verließ die Innenstadt und rollte über nasse Straßen in die Peripherie.

      Aus mehrstöckigen Mietshäusern wurden Eigenheime, die man durch Hecken und Zäune vor den Blicken Fremder zu schützen suchte; in manchen Gärten waren Flaggen gehisst, ein Totenkopfsymbol als Abwechslung zu Schwarz-Rot-Gold. Sie blickte nach vorn und sah den Busfahrer mit einer Greisin plaudern. In Berlin hätte ein Schild über dem Führerhaus darauf hingewiesen, dass man den Fahrer während der Fahrt nicht anzusprechen hatte; außerdem favorisierte man einen Platz möglichst weit weg von den anderen. Hier dagegen saßen die Leute dicht beisammen. Bis auf einen Mann, der sich an der Stange festhielt, schienen die Fahrgäste allesamt im Rentenalter. Bei jeder Bodenwelle stießen die ergrauten Schädel hoch, und die Heizung blies unablässig den Geruch von Kernseife und feuchter Tapete nach hinten.

      Als Annas Blick zufällig den des Mannes traf, kniff er die Brauen zusammen und verengte die Augen. Mit der olivgrünen Cargohose und der aufgebauschten Daunenjacke entsprach er dem Klischee, das Städter von 40-jährigen Landeiern pflegten. Eine knallrote Basecap krönte sein Outfit. Anna schaute auf ihren Rucksack, bemerkte aber aus den Augenwinkeln, dass er sie unentwegt anglotzte. Lächerlich, dachte sie, kein

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