Zurück im Zorn. Christoph Heiden
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Jetzt, wo Eva für alle Zeit fort war, hatte er nicht einmal mehr Zucker im Haus. Er blieb in der Küche stehen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Nachdem die Männer ihn aufs Sofa verfrachtet hatten, mussten sie ihm den Kotzeimer und die Wasserflasche hingestellt haben. Anscheinend war auf der Fahrt hierher ihre Brutalität einer seltsamen Art von Fürsorge gewichen. Der besorgte Bürger als verkannter Samariter. In Willys Kopf folgte ein ganzes Daumenkino an Bildern: Robert Beck sinkt vor dem Sofa in die Hocke, taxiert ihn wie ein betäubtes Tier und isst dabei ein Stück Pflaumenkuchen. Er sagt: »Willy, mein Alter hat dich gemocht und er hat Respekt vor dir gehabt. Aber du musstest ja freidrehen.« Er beißt von dem Kuchen ab und kaut genüsslich. »Das mit deiner Frau tut uns allen Leid. Ich kenne niemanden, der sie nicht in Ehren hält. Schon deswegen solltest du dich am Riemen reißen. Denk einfach an Eva.«
Als Beck sich erhebt, presst Willy einige kaum verständliche Worte hervor, er spricht von Feuer und dem Teufel in persona. Ohne seine Warnung in irgendeiner Weise zu kommentieren, sagt Beck: »Den Haustürschlüssel werfen wir durch den Briefschlitz. Schlaf erst mal deinen Rausch aus.«
Willy verspürte das dringende Bedürfnis, den Kuchen auf der Stelle wegzuschmeißen. Er wollte einen neuen Teig anrühren, neue Pflaumen entkernen, etwas machen, das nicht von dreckigen Pfoten besudelt war. Er langte nach den Tabletten, und sein Blick fiel auf den Kalender neben dem Kühlschrank. Über dem Foto einer schneebedeckten Landschaft stand in fetten Buchstaben: JANUAR. Vielleicht würde er im Netto eine Schale Pflaumen aus Übersee kriegen, Pflaumen, so klein und mickrig wie Lammhoden und zu einem Preis, für den das Wort Wucher erfunden wurde. Schließlich blieb sein Blick an dem einzigen Datum hängen, das mit einem Kreuz markiert war. Der 24. Januar, ein Sonntag. Er senkte die rechte Hand auf seine Wampe und befühlte die Hämatome.
»Bald wird das erste Haus brennen«, sagte er zu Eva. »Und dann werden sie sehen, wer im Recht ist. Die ganze verdammte Bagage.«
Manchmal hilft nur Gewalt
Anna stand in der geräumigen Küche, wo sie einmal die Woche mit den Kindern einen Kochnachmittag veranstaltete. Ihre Schultern hingen herab, ihr Rückgrat war zu einer Sichel gekrümmt und ihr Blick haftete sehnsüchtig auf der Kaffeemaschine. Obschon sie gestern Abend an die 15 Kilometer gelaufen war und nach drei Folgen »Buffy« noch einem Hörspiel gelauscht hatte, war sie erst gegen 3 Uhr eingeschlafen, und das für nur wenige Stunden.
Über die Durchreiche hinweg konnte man aus der Küche in den offenen Bereich blicken. Mike, die Putzkraft des Klubs, hatte seine Box laut aufgedreht und schwang den Wischmopp übers Linoleum. Er war um die 40, trug eine Latzhose und bändigte seine dünnen langen Haare mit einem Stirnband, wodurch er einem Tennisspieler aus den 80ern ähnelte. Anna beobachtete, wie sein Rücken sich hob und senkte, wie seine sehnigen Arme den Wischmopp vor- und zurückwuchteten. Zack, zack und wieder zack. Viel zu schnell für ihre müden Sinne.
»Mike?«
Er stützte sich auf den Stiel und schaute in die Küche.
»Tasse Kaffee?«
»Jetzt?«
»In fünf Minuten.«
»Klar, gerne.«
Sie lehnte sich gegen die Anrichte, verschränkte die Arme und ließ sich von dem Gluckern der Kaffeemaschine und Mikes Musik berieseln. Gil Scott Heron sang, dass es nicht leicht sei, frei zu sein, dass niemand gesagt habe, es würde leicht werden. Anna konnte sich nicht erinnern, wann sie hier das letzte Mal so zeitig aufgeschlagen war. Der Klub öffnete erst in vier Stunden, und von Mikes Arbeit hatte sie bisher nur Notiz genommen, wenn Sonja irgendwas zu bemängeln gehabt hatte. Anna versuchte, sich sein Leben außerhalb des Jugendklubs vorzustellen. Garantiert war es ein einfaches Leben mit einfacher Struktur und einfachen Regeln, mit einer Vergangenheit, die sich ohne große Mühe säubern und glatt polieren ließ. Zack, zack und alles rein. Natürlich wusste sie, dass dieses Bild ihrer eigenen Sehnsucht geschuldet war; im Grunde hatte sie keine Ahnung von seinem Leben.
»Mike?«
»Ja.«
»Den Kaffee mit Milch oder Zucker?«
Aus der zweiten Etage drang das Klingeln des Telefons herunter. Sie bemühte sich, es zu ignorieren, und zog zwei Tassen aus dem Schrank. Eigentlich war sie nicht hier, und darüber wussten alle Kollegen, die Mitarbeiter vom Träger, das Jugendamt, wer auch immer Bescheid. Mike stellte die Musik ab, stützte sich auf den Mopp und starrte sie an, bis sie ihn im Scherz fragte, ob er nicht rangehen wolle. Dann gab sie sich einen Ruck, stieg die Treppe hoch, bemerkte vor der Tür, dass sie den Schlüssel vergessen hatte, trottete wieder hinunter und wieder hinauf.
»Jugendfreizeiteinrichtung ›Blaue Oase‹.«
Keine Reaktion.
»Majakowski hier.«
Weiterhin Stille.
»Hallo-o?«
»Hallo«, kam es wie ein Echo zurück.
Sie setzte sich, schlug die Beine übereinander und stütze einen Ellbogen auf den Oberschenkel. »Majakowski am Apparat?«
»Majakowski am Apparat«, wiederholte der Anrufer.
»Echt lustig, ganz ehrlich.«
»Echt lustig, ganz ehrlich.«
»Versuch’s mal beim Krisendienst. Ich lege jetzt auf.«
»Das würde ich nicht tun.«
Statt sich durch jähes Gelächter zu verraten, fragte der Anrufer ernst und bestimmt, ob sie den Brief erhalten habe. Anna schnappte reflexartig nach Luft; von einem Moment auf den anderen schien das Büro frei von Sauerstoff, als sei der ganze Raum mit dem schalen Atem anderer Menschen gefüllt, mit dem Odem unsichtbarer Geister. Sie erhob sich und wankte zum Fenster.
»Ich habe dich was gefragt«, sagte der Anrufer.
Nachdem sie das Fenster geöffnet hatte, sog sie die Winterluft in ihre Lungen und strich sich gleichzeitig die Benommenheit aus dem Gesicht. Mit bemüht freundlicher Stimme bat sie ihn, das sein zu lassen.
»Was denn sein lassen?«, fragte der Unbekannte wie jemand, dem die Antwort bestens vertraut war.
»Diese Briefe«, entgegnete Anna. »Die Drohungen. Alles.«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil ich sonst die Polizei rufe.«
»Das wirst du schön sein lassen.«
Sie stellte den Lautsprecher des Telefons an und begann, nach ihrem Handy zu suchen; vielleicht konnte sie das Gespräch heimlich aufzeichnen. In der Absicht, ihn hinzuhalten, fragte sie ihn, was er damit bezwecke.
»Das macht mich geil, Anna.«
»Meine Familie zu bedrohen?«
»Das ist bloß der Anfang.«
»Okay, schreiben Sie Ihre Briefe und rufen Sie mich meinetwegen an. Aber lassen Sie meine Familie aus dem Spiel.«
»Wir sind hier nicht bei Wünsch-Dir-Was,