Rurschatten. Olaf Müller
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»Chauvi-Arsch!«, knallte es ihm entgegen.
Schade, dachte er, diese Emanzen mit dreifachem Nachnamen kontrollieren bestimmt auch noch beim Schnackseln, ob alles politisch korrekt abläuft. Er lachte über seinen Machowitz und ging auf die Rathausterrasse zum holländischen Wirt. Bach, Rütters, Goldbach, Utzerath, Johnny, Rurschatten. Alles gehörte irgendwie zusammen.
»Einen Crémant. Eiskalt, bitte.«
Er schaute auf den Dom. Mit gebeugtem Gang huschte der Dompropst aus der Ritter-Chorus-Straße über den Platz, müde vom Beten, sinnend über Spenden und Sünden, Gebote und den Gesang der Domsingschüler. Fett kannte den alten Herrn aus der Zeitung, ein begnadeter Bettler für den Dom, an dem es immer etwas zu reparieren gibt. Ablassgelder willkommen: für ein Kirchenfenster oder eine Sitzbank oder beides. Der Propst glitt wie auf Schlittschuhen über den Platz in Richtung Markt. Seine Füße waren unter der Soutane nicht zu sehen. Fett sinnierte über Rathaus und Dom, Politik und Glaube, dahinter der Marktplatz. Dreiecksverhältnisse: Politik, Religion, Wirtschaft. Alles dicht gedrängt. Dreieckig auch viele Plätze seit der Zeit Karls des Großen. Die Zahl drei ging ihm durch den Kopf: Entweder Alemannia Aachen, Mönchengladbach oder FC Köln, so waren die Vorlieben im Fußball verteilt. Der Dreiländerpunkt fiel ihm ein.
Als der Dompropst aus seinem Blickfeld verschwand, dachte er an seine Zeit als Messdiener: »Nach dem Mahl nahm er den Kelch, dankte wiederum, reichte ihn seinen Jüngern und sprach: Nehmet und trinket alle daraus, das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird.« Bong, Fett hatte wieder an der falschen Stelle auf den Gong geschlagen oder die Schellen geschüttelt. Der Pfarrer warf ihm zornige Blicke zu. Immer in der Frühmesse, da versagte Fett. Einfach zu früh. Er schellte, die Omas, mit schief gelegtem Kopf, standen rasch auf und prompt hatte er den Salat. Dann folgte eine Backpfeife in der Sakristei oder die Ohren wurden lang gezogen.
»Blut, das für euch und für alle vergossen wird.« Fett hatte genug Blut gesehen, völlig sinnlos vergossenes Blut. Ihn fröstelte bei den Erinnerungen an die Zeit als Messdiener. Ungern begleitete er den Pfarrer in die Landesklinik. Auch dort stand eine Kirche, allerdings für die behinderten Menschen, die während der Messe in der dunklen Kirche unheimliche Geräusche machten. Keiner der Messdiener sehnte sich danach, dort auf den Gong zu schlagen. Fett, der immer zu den kleinsten Messdienern zählte, stolperte in seinem Gewand durch den dunklen Bau und war immer froh, wenn er draußen war. Nun nahm er statt des Kelchs das Glas Crémant, dankte der Kellnerin und leerte den eiskalten Schaumwein in einem Zug. Leichte Gefühle der Blasphemie stiegen in ihm auf. Er dachte an den schlagenden Pfarrer, die lieblose Behandlung, und schon wurde ihm besser. Die blasphemischen Gedanken verschwanden.
Major van Bellen
Am nächsten Tag fuhr Fett zu einem der letzten Kommandanten von Camp Vogelsang: Major van Bellen. Er wohnte jetzt in Kelmis, La Calamine, direkt hinter der Grenze zu Aachen. Ein feiner, drahtiger Herr, Schnurrbart, durchtrainiert, Ordnung im Haus und ein Jaguar vor der Tür. Major van Bellen hatte die Auflösung des Camp Vogelsang vorbereitet und fast 25 Jahre seines Lebens dort verbracht. Fett wollte wissen, warum da unten in Jägersweiler die Hütten benutzt werden durften, obwohl sie im Sperrgebiet lagen. Rütters, Goldbach, Bach – vielleicht steckte mehr dahinter. Zumindest wollte er rasch Klarheit erlangen, um ansonsten andere Spuren zu verfolgen.
»Bonjour, Monsieur Fett. Entrez, entrez. Kommen Sie herein. Ja, ja. Vogelsang und Jägersweiler. Das wird mich bis zum Ende begleiten.« Major van Bellen erzählte sofort drauflos.
»Ich will mal so sagen, effektiv war das eine Missachtung der Regeln. Also dieses Jagdhaus und die zweite Bude da bei Jägersweiler, Sie wissen. Habe ich aber so übernommen. Mein Vorgänger, Colonel Rouland, der hat mich mal beiseitegenommen. Da war ich gerade angekommen. Staatsgeheimnis, très sécret, raunte er und schob mir einen Genever rüber. Ich mochte lieber Cognac. Na ja, also rein damit. Das ist nun mal so. Sagte er mit tiefem Blick in meine Augen. Diese Goldbach-Hütten bleiben, und wenn wir dort Atombomben testen müssen. Compris? – Natürlich, compris. Ich war gerade Hauptmann, er Colonel, und ich hatte den dritten Genever im Stehen erledigt. Kopfschuss. Keine Fragen. Ruhe. Silence. Sonst gibt es ein Problem. Also wir mussten nur den Goldbach anrufen, um ihm die Zeiten der Schießübungen mitzuteilen. Zweimal die Woche flogen 15,5 Zentimeter Artilleriegeschosse über die Hütte Richtung Dreiborn. Das war’s. Ansonsten konnte er jagen, wen oder was er wollte. Frauen, Hirsche, Füchse, Rehe, Hasen. War uns egal. Auch die Police Militaire war instruiert. Und pünktlich zur Weihnachtszeit trafen ein Karton Martell und fünf Kisten Moselwein bei mir ein. Für das Offizierskasino, versteht sich. Von Goldbach.«
Van Bellen roch leicht nach Cognac und hörte nicht mehr auf. Liesel Bach, nein, kenne er nicht. Schöne Frau? Alexander Rütters, nie gehört.
»Nur David Goldbach. Der tauchte bis, ja bis wann tauchte der mit Jagddackel und Gamshut eigentlich auf?« Er müsse passen. Das Gedächtnis. Und dann all die Granaten. Marke Martell, er lachte rachitisch, steckte sich eine Zigarre an.
»Sie auch?«
»Nein danke.«
Ob er etwas über Goldbachs jüdische Vergangenheit gehört habe?
»Jüdische Vergangenheit, Quatsch. Nein, nichts. Prost. Auf den Frieden. Aber diese Jagdhütte. Klasse Liebesnest. Sie wissen schon. Hervorragend. Wenn nicht gerade die Granaten drüber flogen. Könnte aber einen gewissen Reiz haben, oder?«
Van Bellen grinste und schüttete sich das Glas mit einem Zug in den Hals.
»Granaten-Nummer«, legte er nach. Und schüttelte sich. »Das ist zu gut. Goldbach, genannt die Granate.«
Er hatte Tränen in den Augen. »Excusez-moi.«
Er wischte sich die feuchten Augen. »Mon dieu«, seufzte er. »Der schiebt da drin die Nummer, und wir feuern die Begleitmusik. Das ist gut. Staatsgeheimnis! Rums, bums.«
»Sagt Ihnen das Wort Rurschatten etwas, Major?«
»Rurschatten?« Van Bellen schüttelte sich immer noch.
»Rurschatten. Absolument rien. Rien. Aber Schatten, lieber Herr Commissaire, Schatten hatten wir genug. Schatten im Sommer, im Winter und Schatten der Nazis, grausige Schatten, oui, die hatten wir. Und manche davon begleiten uns immer noch, wir werden sie nicht los, wie der na, der Schlemi«, sagte er mehr zu sich als zu Fett.
»Schlehmil, ›Peter Schlehmils wundersame Geschichte‹, ein Märchen von Adelbert von Chamisso. Er verkauft seinen Schatten an den Teufel und wird von den Menschen gemieden«, sagte Fett etwas nachdenklich zu dem erstaunten Major.
»Merci. Vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen, Major. Vielleicht komme ich noch einmal retour, wie man in Aachen sagt. Sie wissen ja alles über Vogelsang. Sagen wir mal, fast alles. Nicht wahr. Also. Auf bald.«
Er verließ das Haus des Majors nachdenklich und hungrig.
Fett kam nicht weiter. Es häuften sich immer mehr Geheimnisse an. Nachdem er eine Portion erstklassiger Fritten mit Mayonnaise verputzt hatte, fuhr er mit seinem Alfa Romeo zurück nach Aachen. Nichts. Absolument nichts.
Das Goldbach-Feuerwerk
»Der tote Goldbach.« Oberkommissar Kuckertz versuchte, sich zu erinnern, blätterte durch die Akten. Es war Anfang September, immer noch heiß.
»Ach ja. Der Scheiß. Ein blöder