Grillparzerkomplott. Hermann Bauer
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War damit etwa Katja Winkler gemeint? Unwillkürlich war es Davids erster Gedanke, dass es um sie ging. Der Mann, der telefonierte, saß weiter vorn mit dem Rücken zu ihm.
»Nein, sie ist nicht gekommen … Gehört wohl zu ihrer Taktik … Ich hätte es mir gleich denken können.« Der Mann redete leise, aber David verstand trotzdem erstaunlich viel. Deshalb, weil ihn die Sache interessierte? Er beugte sich ein wenig nach vorn.
»Du brauchst keine Angst zu haben. … Ich lasse mir das nicht gefallen. … Dieses Mal nicht. … Ich werde ihr das Maul stopfen, ein für alle Mal. …« Der Mann wurde eine Spur heftiger, nahm sich dann jedoch wieder zurück. Für einen Augenblick schien es David, er wolle sich umschauen, ob ihm jemand zuhörte. Schließlich tat er es doch nicht.
Was er sagte, klang für David ziemlich bedrohlich. Ich muss wissen, wer das ist, ging es ihm durch den Kopf. Da stand der Mann auch schon auf und wandte sich zum Gehen. Richtig, er hatte ein paar Minuten vorher bezahlt. Aber wie hatte er ausgesehen? Jetzt rächte sich Davids Gleichgültigkeit den griesgrämigen Gesichtern der Kaffeehausgäste gegenüber. Er konnte sich nur mehr flüchtig an das äußere Erscheinungsbild des Mannes erinnern. Längeres schwarzes Haar, das über den Kragen hing, aber nicht bis zu den Schultern ging, das sah man jetzt noch. Und sonst? Eine dicke Sonnenbrille hatte er auf. Die trugen ja alle Menschen, die etwas zu verbergen hatten. Ein dünner Schnurrbart, die Lippen ebenfalls eher dünn. Das war’s dann auch schon. Alter? Keine 40 mehr, aber sicher noch keine 60. Kleidung? Jetzt dunkelblauer Mantel, vorher vermutlich graues Sakko. Ergab insgesamt keine zufriedenstellende Personenbeschreibung. David hätte sich ohrfeigen können.
Als er nach vor stürmte, um sich den Mann noch einmal genauer anzusehen, war dieser bereits durch die Tür hinaus verschwunden. Leopold hätte sich in einem solchen Fall wahrscheinlich an die Verfolgung gemacht, aber David, der erst seit Kurzem im Schopenhauer arbeitete, konnte sich so etwas nicht leisten. Er musste den Unbekannten wohl oder übel ziehen lassen.
Was blieb, waren Vermutungen über das rätselhafte Gespräch, das er aufgeschnappt hatte. Hatten sie tatsächlich jener älteren Dame gegolten, der David gelegentlich die Einkäufe hinauftrug? Wer wollte ihr Böses und warum? Sollte David ihr etwas darüber mitteilen, wenn er sie das nächste Mal sah? Oder schickte sich das denn doch nicht?
Er beschloss, es auf die Situation ankommen zu lassen. Aber zunächst ergab sich keine Gelegenheit dazu, da sich Katja Winkler während der nächsten Tage nicht im Schopenhauer blicken ließ.
Kapitel 3
Dienstag, 16. Oktober
Dann war sie plötzlich wieder da. Sie wirkte jedoch so desinteressiert, dass David sich nicht traute, ihr etwas über den seltsamen Zwischenfall zu erzählen. Sie trank ein Glas Rotwein, ging gleich wieder und schaute ihn beim Zahlen nicht einmal an.
Am nächsten Tag rief sie vormittags im Schopenhauer an und verlangte David zu sprechen. »Mir geht es schlecht. Ich kann heute nicht ins Kaffeehaus kommen«, eröffnete sie ihm. »Ich habe deshalb eine große Bitte an dich. Ich habe Lebensmittel im Supermarkt bestellt. Wenn du deinen Dienst beendet hast, sind sie fertig zum Abholen. Bring sie mir bitte wie gewohnt in meine Wohnung. Das tust du doch für mich, oder?«
»Selbstverständlich, gnä’ Frau«, zeigte sich David erbötig. »Ich hoffe nur, ich komme nicht ungelegen, wenn Sie sich nicht gut fühlen.«
»Aber geh, du störst doch nie«, versicherte Katja ihm. »Im Gegenteil! Und es soll dein Schaden nicht sein.«
»Machen Sie sich bitte keine Umstände«, beeilte sich David zu sagen. Katjas Worte erinnerten ihn an die Halskette, die er ihr unbedingt zurückgeben musste. Doch davon wollte er am Telefon nichts erwähnen. Er nahm sich stattdessen vor, konsequent zu bleiben, ihr höflich, aber bestimmt mitzuteilen, dass derartige Zuwendungen den erlaubten Rahmen überschritten, und sich von ihr unter keinen Umständen in eine verfängliche Situation bringen zu lassen.
David holte also nach seinem Dienstschluss Katjas Einkäufe aus dem Supermarkt, die dort schon für ihn bereitstanden. Es war deutlich weniger als bei den letzten Malen, aber schließlich fühlte sie sich nicht gut. Da brauchte sie wohl nur das Nötigste. Ob sie bettlägerig war? Beinahe tat sie David ein bisschen leid.
Er ging zu dem Haus in der Semperstraße, das er bereits kannte, läutete an und meldete sich durch die Gegensprechanlage. Sofort wurde ihm aufgemacht. Als er im zweiten Stock ankam, war die Tür bereits offen. Trotzdem klopfte David kurz an, um sich anzukündigen, und trat mit einem »Ich bin’s, Frau Winkler« ein.
Was ihm dabei sofort auffiel, war die merkwürdige Stille in der Wohnung. Vielleicht schlief Katja. Aber nein, das konnte nicht sein, sie hatte ihn doch eben hereingelassen. Egal, er wollte sich nicht lange aufhalten. Eigentlich genügte es, wenn er die Einkaufstasche im Vorzimmer abstellte und wieder ging.
Da erinnerte David sich an die Halskette. Die musste er Katja Winkler noch zurückgeben. Sie sollte wissen, dass er ihr Geschenk nicht annahm. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als kurz ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Es war ihm jedoch unangenehm, in der Wohnung nach ihr zu suchen. »Frau Winkler?«, rief er deshalb fragend.
Als sie nicht antwortete, nahm er sich ein Herz und ging ein paar Schritte weiter. Im Wohnzimmer war alles leer, nicht einmal die übliche Flasche Rotwein stand auf dem Tisch. Also schaute er ins Schlafzimmer daneben. Dort lag sie, aber nicht im Bett, sondern auf dem Boden. War ihr etwa schlecht geworden?
David blickte in den gequälten Ausdruck ihres Gesichtes, die weit aufgerissenen Augen. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie tot war. Er wollte sich zu ihr niederbeugen, da spürte er einen Schlag auf den Kopf und ihm wurde schwarz vor den Augen.
*
Als David Panozzo wieder zu sich kam, dröhnte sein Schädel. Für einen Augenblick hoffte er, alles sei nur ein böser Traum gewesen. Doch Katja Winklers Leiche vor ihm belehrte ihn rasch eines Besseren. An den Malen an ihrem Hals erkannte er, dass sie stranguliert worden war. Sie war nur mit einem blauen Morgenmantel, Slip und BH bekleidet.
David fuhr mit der Hand über seinen Kopf. Jemand hatte ihn niedergeschlagen, so viel stand fest – mit aller Wahrscheinlichkeit der Mörder oder die Mörderin. Er oder sie hatte sich offensichtlich noch in der Wohnung befunden, als David mit der Einkaufstasche hereingekommen war, hatte ihm sogar die Tür geöffnet. Ihn schauderte.
Wie lang war er da gelegen? Genau ließ sich das nicht feststellen, da er vorher nicht auf die Zeit geachtet hatte, aber sicher einige Minuten. An der bedrückenden Situation hatte sich jedenfalls nichts geändert. Irgendwo tickte eine Uhr, sonst war es vollkommen still. Katja Winklers Augen starrten ins Leere, und doch kam es David vor, als ob sie ihn fixierten. Ihr Mund, der im entscheidenden Augenblick nicht mehr zum Atemholen gekommen war, sah aus, als hätte er noch etwas sagen wollen, Worte, die nun endgültig erstickt blieben. David Panozzo merkte, wie schwach seine Füße waren. Am liebsten hätte er sich für unbestimmte Zeit wieder auf den Boden gelegt. Er sollte wohl die Polizei verständigen. Aber dazu fehlte ihm der entscheidende Mumm. Wenn er den Notruf betätigte, würde man ihm sicher mitteilen, er solle sich nicht vom Fleck wegrühren, bis die Beamten eingetroffen seien. So lange hielt er es aber allein neben der Leiche nicht aus.
»Wenn Leopold jetzt hier wäre, wäre alles einfacher«, sagte David zu sich. Gemeinsam mit ihm und seinem Kollegen von der Rezeption hatte er im Hotel Floridus schon einmal ein Mordopfer entdeckt. Dabei hatte er