Mühlviertler Rache. Eva Reichl

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Mühlviertler Rache - Eva Reichl

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er auf dem Rücken eines Pferdes sitzen und Zügel in der Hand halten.

      »Pass auf! Du hast gleich 190 Pferde unterm Hintern.« Stern startete den Motor und ließ den Audi vom Parkplatz des Landeskriminalamtes rollen.

      »Hüüü!«, rief Tobias übermütig. Doch sein Eifer legte sich bereits nach wenigen Kilometern. Trotz der 190 Pferdestärken unter der Motorhaube des Audis lag die Geschwindigkeit, mit der sie aus Linz hinausfuhren, stets mindestens 20 Stundenkilometer unter der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Als sie an der fraglichen Stelle auf der S10 kurz vor Freistadt ankamen, war Tobias längst eingeschlafen.

      3. Kapitel

      Chefinspektor Oskar Stern kletterte an jener Stelle über die Leitplanke der S10, wo am Vormittag Tobias ein stilles Örtchen gesucht und auch gefunden hatte – aber anscheinend nicht nur das. Die Aktentasche samt Inhalt, auf die der Neunjährige gestoßen war, könnte nach Sterns sechstem Sinn dem kopflosen Opfer gehören. Wie sie allerdings in das Gebüsch gekommen war, war Stern ein Rätsel. Vor allem, wer sie dort abgelegt hatte und weshalb, wollte ihm nicht richtig in den Sinn.

      Stern folgte dem Weg, wie er ihn im Gedächtnis hatte, dass Tobias ihn genommen hatte, und achtete auf den Boden. Schließlich wollte er nicht in die Hinterlassenschaft seines Enkels treten. Bei den Büschen knapp 20 Meter hinter der Leitplanke wurde er fündig. Dort lag tatsächlich ein schwarzer Aktenkoffer. Er war aufgeklappt, deshalb hatte Tobias den Kugelschreiber und das Feuerzeug an sich nehmen können. Daneben befanden sich ein Handy und ein Notizblock, die wohl beim Aufprall des Koffers auf dem Boden herausgeschleudert worden waren. Stern trat näher, bückte sich und suchte in seiner Jacke nach einem Taschentuch. Damit legte er die herausgefallenen Gegenstände zurück in den Koffer, verschloss ihn und wickelte das Papiertuch um den Bügel, damit er ihn anfassen konnte. Abschließend ließ er den Blick umherschweifen, ob noch etwas am Boden lag, was von Interesse sein könnte. Aber zwischen Plastikflaschen und Fast-Food-Verpackungen fiel ihm nichts mehr ins Auge, was mit dem Fall zu tun haben könnte. Er trat einen Schritt zur Seite und wollte zum Wagen gehen, als ihn ein matschiges Geräusch erstarren ließ. Er richtete die Augen zu Boden, hin zu seinen sündhaft teuren Kalbslederschuhen.

      »Scheiße!«, fluchte Stern, was in diesem Fall buchstäblich zutraf. Mit seinem rechten Fuß war er in eine Wurst aus Exkrementen getreten, die nur zum Teil mit braungefärbten Taschentüchern bedeckt gewesen war. Er hob das Bein und betrachtete die Misere. Die Taschentücher klebten samt Kotrückständen an seiner Sohle. Stern versuchte, alles im Gras abzuwischen, wurde aber trotzdem das Gefühl nicht los, dass zumindest ein Rest davon haften blieb, sosehr er sich auch bemühte. Er schlurfte wie jemand, der ein verletztes Bein hinter sich her schleifte, zum Pannenstreifen, überstieg die Leitplanke und öffnete den Kofferraum. Leise, wie er hoffte, um Tobias nicht zu wecken. Aus einem Karton entnahm er zwei Handschuhe, streifte sie über und untersuchte den Aktenkoffer, den er bereits nach einer Minute als Eigentum des Mannes identifizierte, dem ebenso der Kugelschreiber und das Feuerzeug gehörten: Dr. Jonas Belfuss. Mehrere Briefe und Gerichtsakten steckten in der Aktentasche, das Handy, von dem Tobias erzählt hatte, Kopfhörer, mehrere Plastikkugelschreiber, die der Anwalt anscheinend als Werbegeschenke verteilt hatte, und Visitenkarten. Auf denen stand, dass der Besitzer Dr. Jonas Belfuss hieß, Rechtsanwalt für Strafrecht, insbesondere für Scheidungen, war und in der Sonnbergstraße in Freistadt eine Kanzlei hatte. Wenn jetzt noch die DNA, die entweder am Handy durch Hautschuppen oder auf den Kopfhörern durch Ohrenschmalz zu finden war, mit jener der kopflosen Leiche übereinstimmte, kannten sie die Identität des Opfers.

      Zufrieden legte Stern die Aktentasche in den Kofferraum, zog die Handschuhe aus, warf sie hinterher und knallte den Kofferraumdeckel zu. Erst dann fiel ihm wieder ein, dass Tobias noch immer auf der Rücksitzbank schlief … oder geschlafen hatte.

      »Opa?«, hörte er die Stimme seines Enkels auch schon.

      »Ich bin hier.« Stern öffnete die Fahrertür.

      »Du hast mich gar nicht geweckt«, sagte Tobias beleidigt, als er mitbekam, dass alles längst vorüber war.

      »Ich dachte … du würdest …« Stern brach ab. Dass sein Enkel bei der Suche gern dabei gewesen wäre, war ihm natürlich klar. Aber da hätte er möglicherweise Spuren vernichtet, deshalb war es Stern gelegen gekommen, dass Tobias geschlafen hatte. »Weißt du was? Du bekommst trotzdem einen Sheriffstern, schließlich hast du mich auf diese Spur gebracht. Ich hab den Aktenkoffer schon geholt, und er scheint wertvolle Hinweis zu enthalten«, sagte er stattdessen.

      »In echt?« Tobias schien das Ablenkungsmanöver nicht zu durchschauen, und wenn doch, war ein Sheriffstern als Entschädigung für ihn wahrscheinlich mehr als genug.

      »Echt.« Stern ließ sich auf den Fahrersitz fallen.

      »Versprichst du mir das mit dem Stern?« Tobias hatte sich abgeschnallt, quetschte sich durch den Spalt zwischen den Vordersitzen und streckte seinem Großvater die Hand entgegen.

      »Ich verspreche es.« Stern schlug ein und staunte wieder einmal darüber, wie er sich von einem Kind zu derartigen Aussagen überreden ließ. Wo sollte er in Österreich einen echten Sheriffstern auftreiben? Österreich war nun wirklich alles andere als der Wilde Westen. Wenngleich ihn jetzt, wo er darüber nachdachte, auch die Tötungsmethode – Anseilen auf Schienen, Enthaupten und Gliedmaßen entfernen – ein wenig an diese Epoche im 19. Jahrhundert westlich des Mississippis erinnerte.

      »Was ist in dem Aktenkoffer?«, wollte Tobias wissen.

      »Ach, lauter so Anwaltskram. Den sollen sich meine Kollegen genauer ansehen.«

      »Was ist ein Anwalt?«

      »Ein Anwalt ist einer, der dich vor Gericht vertritt und dafür sorgt, dass du zu deinem Recht kommst«, antwortete Stern, betätigte den Blinker und reihte sich in den Verkehr ein, wohl wissend, dass diese Erklärung nur zum Teil zutraf. Manche Anwälte waren weitaus mehr damit beschäftigt, die Wahrheit unter den Teppich zu kehren und ihre Mandanten so schadfrei wie möglich zu halten, wenn diese gegen das Gesetz verstoßen hatten. Darüber konnte er aufgrund seines Jobs genügend Zeugnis ablegen.

      *

      Als Stern und Tobias wieder im Landeskriminalamt ankamen, fand der Chefinspektor sein Büro verwaist vor. Melanie? Wohin war die Zwölfjährige verschwunden? Panik keimte in ihm auf.

      »Du wartest hier«, sagte er zu Tobias und eilte über den Flur zum Büro seiner Kollegen. Auf halbem Weg machte er kehrt, kam zurück, packte Tobias an der Hand und schleifte ihn hinter sich her. Nicht, dass der Junge ihm auch noch verloren ging. Im Büro der Kollegen saßen nur Mirscher und Kolanski und starrten auf ihre Bildschirme. »Habt ihr Melanie gesehen?«

      Die Beamten verneinten.

      »Wo ist Grünbrecht? Vielleicht weiß sie, wo …« Stern machte ein paar unbeholfene Gesten, die ausdrücken sollten, was er nicht aussprechen wollte. Nämlich, dass er nicht wusste, wo sich die Schutzbefohlene befand, die unter seine Obhut gestellt worden war.

      »Keine Ahnung, wo Grünbrecht steckt. Vor einer halben Stunde war sie noch da«, antwortete Kolanski, der die Vermisstenanzeigen durchackerte.

      »Hier!« Stern stellte den Aktenkoffer auf Mirschers Schreibtisch. »Den haben Tobias und ich gefunden. Wenn wir Glück haben, gehört er unserem Opfer und wir wissen endlich, wer er ist. Lasst ihn und den Inhalt von der Spurensicherung auf Fingerabdrücke und DNA-Spuren untersuchen.«

      »Ja, Chef«, sagte Mirscher, stand auf und schickte sich an, mit dem Koffer das Büro zu verlassen.

      »Und du weißt

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