Mühlviertler Rache. Eva Reichl
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Читать онлайн книгу Mühlviertler Rache - Eva Reichl страница 6
»Zwei Füße und eine Hand«, antwortete Mirscher. Er legte den Plastiksack neben die enthauptete Leiche. »Jetzt fehlen nur noch der Kopf und die zweite Hand.«
Stern sah zu, wie die Männer der Spurensicherung das Seil durchschnitten, mit dem das Opfer an den Schienen festgebunden war und das bis jetzt den Körper an Ort und Stelle gehalten hatte. Der Leichnam entspannte sich daraufhin, als entwiche aus ihm Luft wie aus einer löchrigen Luftmatratze. Zwei Männer hievten den Toten in einen Sarg. Der Anblick erinnerte Stern an eine Puppe aus seiner Kindheit, der er den Kopf abgerissen hatte. Die Puppe hatte seiner Schwester gehört. Stern hatte den Kopf später mit einem Knödel aus Plastilin ersetzt – mit mehr oder weniger gutem Erfolg. Doch Plastilin würde hier nicht helfen. Die Männer verschlossen den Sarg und brachten ihn weg.
Stern schritt hinter ihnen her wie ein Trauergast bei einem Leichenzug, fehlte nur, dass er die Hände faltete und einen Rosenkranz betete. Und natürlich gab es keine örtliche Musikkapelle, die den Trauermarsch blies, wie es im Mühlviertel üblich war. An der Stelle, wo die Einsatzkräfte ihre Fahrzeuge abgestellt hatten, verließ er den Trauerzug und bog in Richtung Rettungswagen ab. Dort maß man dem Lockführer gerade den Blutdruck und versorgte ihn mit Kaffee. Nur zu gern tränke Stern jetzt auch Kaffee. Im Gegensatz zu dem unglücklich dreinblickenden Lockführer würde ihm das schwarze Gebräu sogar schmecken. Er unterließ es jedoch, danach zu fragen, und zückte seinen Dienstausweis. Sofort versteifte sich die Haltung des Mannes, der noch immer weiß im Gesicht war, als hätte er sich für einen Clownauftritt geschminkt. Bestimmt hatte er einen Schock erlitten. Stern lehnte sich neben ihm an die Trage.
»Ich bin Chefinspektor Oskar Stern vom Landeskriminalamt Oberösterreich. Können Sie schon darüber reden, was geschehen ist?«
Der Mann nickte. »Es ist kein Unfall gewesen«, stieß er heiser aus. »Das war Mord!« Der Mann sah Stern mit geweiteten Augen an, als sähe er einen Geist.
»Ich weiß. Erzählen Sie mir, was passiert ist.«
»Ich bin in Freistadt losgefahren. Durch die lang gezogene Kurve verliert man nicht viel an Geschwindigkeit, obwohl die Strecke nur bedingt einsehbar ist. Aber das ist im Normalfall kein Problem, wissen Sie, ist ja nicht wie im Straßenverkehr. Hätte ich gewusst, dass da einer liegt, wäre ich natürlich nicht so schnell gefahren.«
»Schon gut, es macht Ihnen keiner einen Vorwurf, Herr …«
»Meier. Manuel Meier.«
»Gut, Herr Meier. Was ist dann passiert?«
»Ich komme also dort um die Kurve und sehe ihn da liegen. Sie können sich nicht vorstellen, wie der mich angestarrt hat. Ich hab sofort eine Notbremsung eingeleitet, aber mit 70 Sachen ist das nicht einfach. Sie sehen ja selber, wo der Zug stehen geblieben ist.«
»Er hat also noch gelebt, bevor …«
»Ganz sicher! Diesen Blick werde ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen!«, rief Manuel Meier und richtete seine Augen gen Himmel, als könnte der Allmächtige seine Erinnerungen löschen.
Stern hingegen registrierte, dass der Mann demnach nicht bewusstlos gewesen war, wie sie zuvor spekuliert hatten, damit der Mörder ihn bequem an den Schienen hatte festbinden können. Er hatte dem heranrasenden Tod regelrecht ins Auge geblickt.
»Haben Sie an der Bahntrasse, am Rand der Strecke oder im Wald jemanden gesehen?«, hakte Stern nach.
»Sie meinen, außer den Toten?«
Stern nickte.
»Nein.«
»Sind Sie sicher?«
Manuel Meier überlegte kurz, bevor er antwortete: »Ich denke schon.«
In diesem Augenblick hörte Stern seinen Enkel rufen. »Opa!«
Nicht jetzt, dachte er und blickte sich nach Melanie und Tobias um. Während die Zwölfjährige vor Sterns Audi am Boden hockte und mit eingestöpselten Kopfhörern auf ihrem Smartphone herumwischte, war von Tobias nichts zu sehen.
»Opa!«, drang es erneut an Sterns Ohr, dieses Mal lauter.
»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick«, sagte der Chefinspektor zu Manuel Meier und stieß sich eine Spur zu heftig von der Rettungstrage ab, sodass diese ins Wanken geriet. Meier hielt sich mit einer Hand fest, damit er nicht herunterfiel, und verschüttete dabei den Kaffee, den er mit der anderen umklammerte.
»Entschuldigung«, brummte Stern, während sein Blick bereits die Umgebung nach seinem Enkel absuchte. Um das Kaffeemalheur mussten sich andere kümmern, denn von Tobias war nichts zu sehen. Weder entdeckte Stern ihn in der Nähe seiner Schwester noch am Waldrand oder in der Zufahrt zu dem kleinen Wäldchen. Wo steckte der Bengel bloß?, schoss es ihm durch den Kopf und auch, dass er für diesen Kinderkram eigentlich zu alt war. Er war der Großvater und nicht der Vater, der ganz andere Fürsorgepflichten hatte! Nur noch wenige Jahre trennten ihn von seinem wohlverdienten Ruhestand und einem Leben ohne Stress, Mord und Totschlag. Obwohl so ein Fall wie dieser seine hin und wieder aufkommenden Pensionierungsängste zu verdrängen vermochte, musste er zugeben: Auf eine ganz bestimmte Weise fühlte er sich dann wieder jung und fit. Und gebraucht.
»Opa!«
Stern folgte den Rufen seines Enkels. Sie führten ihn zur Bahntrasse hinunter. Als Stern klar wurde, was das bedeutete, beschleunigte er den Schritt.
»Tobias?«, rief er.
»Ich bin hier«, kam es zwischen Unmengen an Brennnesseln und Gestrüpp hervor. Stern blinzelte und trat noch ein paar Schritte näher. Dann entdeckte er das blaue T-Shirt seines Enkels inmitten des meterhohen Grüns.
»Tobias, was machst du da?«, fragte er erleichtert, als er den Jungen am Boden hocken sah. Gott sei Dank ein gutes Stück vom Tatort entfernt.
»Er sieht mich an«, sagte Tobias, die Augen starr nach vorn gerichtet.
»Wer sieht dich an?«, wollte Stern wissen und blickte auf seine Armbanduhr. Er musste schnell zurück und die Befragung des Lockführers fortsetzen.
»Der Waldgeist.«
»Es gibt keine Geister, Tobias. Du bist für diesen Schei… äh … für diese Märchen zu alt. Komm jetzt! Ich muss noch …«
»Warum macht er die Augen nicht zu?«, fragte Tobias weiter, ohne sich von der Stelle zu rühren.
»Dann könnte er dich ja nicht ansehen«, antwortete Stern gereizt, wandte sich ab und machte sich ohne seinen Enkel auf den Weg zurück zum Rettungswagen. Wenn Tobias Geisterjäger spielen wollte, dann sollte er das seinetwegen tun. Dort bei den Brennnesseln konnte ihm nichts passieren, außer er fiel in sie hinein. Das wäre zwar unangenehm und zöge bestimmt viele Fragen von Barbara nach sich, doch die wären schnell beantwortet. Irgendwie. Vielleicht sollte er den Sanitäter doch um einen Becher Kaffee bitten …
»Aber er ist doch tot.«
Abrupt blieb Stern stehen. »Wie? Tot?«
»Der Waldgeist. Er ist tot, oder etwa nicht?« Tobias starrte in die Brennnesseln, die hier eindeutig über all das andere Grünzeug die Oberhand gewonnen hatten und die ganze Gegend mit einem unangenehm juckenden Teppich überzogen. Stern machte kehrt und kam zu seinem Enkel zurück. Wegen der Brennnesseln blieb er mehrere Meter