Mühlviertler Rache. Eva Reichl

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Mühlviertler Rache - Eva Reichl

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der Büsche etwas Farbiges von Tobias’ Kleidung hindurchblitzen sah. Doch da war nichts.

      Nach weiteren zwei Minuten rief er erneut. »Mach schon, Tobias! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«

      »Hier hat jemand seinen ganzen Plunder abgeladen«, kam es aus den Büschen retour.

      »Ich bin nicht beim Umweltschutz, Tobias. Ich bin bei der Mordgruppe des Landeskriminalamtes und muss nun endlich zum Tatort«, antwortete Stern gehetzt.

      »Ich meine ja nur.« Tobias’ Schopf tauchte zwischen dem Gestrüpp auf und kam endlich näher. Stern fühlte sich bei seinem Anblick erleichtert. Einerseits, weil dem Jungen nichts passiert war – er hätte ja rückwärts eine Böschung hinunterstürzen und sich das Bein brechen können –, andererseits, weil sie nun endlich weiterfahren konnten.

      »Für den Müll sind andere zuständig«, erklärte er seinem Enkel in einem ruhigeren Tonfall, während Tobias über die Leitplanke zurück auf den Pannenstreifen kletterte. Dort hielt er seinem Großvater die Packung mit den Taschentüchern hin. Eines war übrig geblieben.

      »Behalte es«, sagte Stern und schob den Jungen durch die hintere Autotür hinein auf die Sitzerhöhung. Als der Sicherheitsgurt eingerastet war, eilte er um den Wagen herum und pflanzte seinen eigenen Hintern auf den Fahrersitz, schaltete die Warnblinkanlage aus und gab Gas. Nach wenigen hundert Metern bremste er wieder. Die nächste Ausfahrt musste er nehmen. Der Audi rollte von der Schnellstraße und fuhr nach dem Kreisverkehr auf der Prager Straße Richtung Freistadt. Auf der rechten Seite befand sich ein riesiges Plakat der Mühlviertler Wiesn, welche dieser Tage in Freistadt stattfand. Darauf wurde mit traditionellem Brauchtum, volkstümlicher Musik und hiesigen Schmankerln geworben. Doch der Todesfall dürfte nichts mit dem Volksfest zu tun haben, Bormann hatte schließlich die Schienen erwähnt. Irgendwo entlang der Bahnstrecke zwischen Freistadt und Summerau liege der Tote, hatte er am Telefon gesagt.

      Links ließen sie das Landeskrankenhaus der Stadt hinter sich und erreichten endlich die als Kultur- und Braustadt bekannte Mühlviertler Provinzmetropole. Jetzt mussten sie noch den Tatort finden.

      In Freistadt bog Stern auf die Leonfeldner Straße ein und erblickte kurz darauf auf der linken Seite den Bahnhof. Hier waren sie richtig. Er folgte der Straße und behielt die dazu parallel verlaufenden Gleise im Auge.

      »Gleich verschwinden sie unter der Straße«, machte Tobias wenig später seinen Großvater aufmerksam, dass sie auf eine Brücke zusteuerten. »Vielleicht ist er ja gesprungen, der Tote … Ich meine, als er noch nicht tot gewesen ist.«

      »Tobias!«, fuhr Melanie ihren Bruder an, da ihr schon allein bei der Vorstellung, was sie dort vorfänden, wenn ihr Bruder recht hatte, übel wurde.

      »Das wissen wir noch nicht«, versuchte Stern, die Kinder zu beruhigen. Er verringerte die Geschwindigkeit. Auf der Brücke hielt er an, schaltete Blaulicht und Warnblinkanlage ein und stieg aus. Über das Geländer warf er einen Blick auf die Bahntrasse hinab.

      »Also, gesprungen ist er schon mal nicht«, sagte Tobias, der plötzlich neben ihm auftauchte und auf ein Meer aus blau blinkenden Lichtern, etwa einen halben Kilometer entfernt auf der Bahntrasse, starrte.

      »Nein, gewiss nicht. Aber du darfst deiner Mutter auf gar keinen Fall etwas davon erzählen«, verlangte Stern.

      »Ist doch klar, Opa. Die macht dich sonst zur Sau.« Tobias grinste.

      Und Stern seufzte. »Ab in den Wagen mit dir.«

      Er startete den Motor und ließ den Audi von der Brücke rollen. Wenige Meter danach zweigte rechts ein Weg ab. Davor hatte sich allerdings ein Stau gebildet, da das blau blinkende Lichtgewitter am Ende des Weges die Aufmerksamkeit aller Autofahrer auf sich zog. Viele Köpfe wurden aus den Fenstern gereckt, um zu ergründen, was bei den Gleisen vor sich ging. Immer wieder sah Stern Handys, die aus den Autos gehalten wurden, um Fotos vom Geschehen zu machen. Ein schnelles Vorankommen war unmöglich. Ein Polizist versuchte, die Schaulustigen zum Weiterfahren zu bewegen – mit mäßigem Erfolg, wie Stern feststellte. Er drückte auf die Hupe. Dann noch einmal. Das wiederum veranlasste einen SUV-Fahrer zu einer nicht jugendfreien Geste. Im Schritttempo näherte sich Sterns Audi der Abzweigung. Als er sie endlich erreichte, nickte Stern dem Polizisten zu, dem der Schweiß auf der Stirn stand, deutete auf das Blaulicht auf seinem Wagen und drückte seinen Dienstausweis gegen die Seitenscheibe. Der Uniformierte warf einen flüchtigen Blick darauf und gab den Weg zu der Bahntrasse für ihn frei.

      »Wow!«, kommentierte Melanie den Tumult nahe dem Wald und machte Fotos mit ihrem Smartphone. Mehrere Polizeiwagen, ein Rettungsauto, der Kleinbus der Spurensicherung, ein Leichenwagen, dazwischen jede Menge Menschen in Uniform und Zivilkleidung. Sie alle waren hier versammelt, um ein Verbrechen aufzuklären. Also war es doch kein Selbstmord, dachte Stern und auch, dass die Sache wohl länger dauern würde.

      »Ist ja voll geil!«, rief Tobias, der sich mit seinem Oberkörper zwischen die Vordersitze schob, um besser sehen zu können.

      »Dieses Wort sagt man nicht«, ermahnte Stern seinen Enkel. »Außerdem ist jemand gestorben. So etwas ist nie geil. Schreib dir das hinter die Ohren.«

      »Das hab ich nicht gemeint, Opa, sondern die vielen Polizeiautos!« Tobias deutete durch die Windschutzscheibe, in der sich das blau blinkende Licht brach und zuckend ins Wageninnere fiel.

      »Schon klar«, brummte Stern und parkte den Audi gleich hinter Webers Wagen.

      »Was sollen wir jetzt tun?« Melanie hatte aufgehört, Fotos zu knipsen, und drückte ihre Nase am Seitenfenster platt.

      »Ihr könnt euch die Beine ein wenig vertreten, dort drüben.« Stern deutete auf den Waldrand gleich neben dem Weg, der weit genug von den Einsatzkräften entfernt zu sein schien und nahe genug, um ein Auge auf die Kinder zu haben. »Ihr geht auf gar keinen Fall da runter!« Sein ausgestreckter Finger wies nun auf die Gleise, wo die Kollegen der Spurensicherung in ihren weißen Overalls geschäftig hantierten. Stern machte unter ihnen Gruppeninspektorin Mara Grünbrecht und Gruppeninspektor Hermann Kolanski aus. Wie zu erwarten, waren sie vor ihm eingetroffen. Vor ihnen kniete Dominik Weber, der Gerichtsmediziner. Der Raser von der S10. »Ihr dürft die ganze Zeit mit euren Handys spielen. Ich werde es eurer Mutter nicht verraten«, sagte Stern, führte den Zeigefinger an seinen Mund und gab vor, diesen mit einem imaginären Schlüssel zu versperren.

      »Du meinst, wir verraten dich nicht bei Mama, weil du uns hierher mitgenommen hast«, stellte Tobias richtig. Er hielt seiner Schwester grinsend die Hand hin und die schlug ein.

      Stern seufzte. Wie hatte er sich nur in die Gewalt von zwei Kindern begeben können? Auch wenn sie sein eigenes Fleisch und Blut waren, jetzt quetschten sie ihn aus wie eine reife Zitrone. »Ist schon recht. Hauptsache, ihr stellt keinen Unsinn an.« Stern stieg aus dem Wagen und nahm den schmalen Trampelpfad, welcher von den Einsatzkräften bereits ausgetreten worden war, durch das Gestrüpp hinab zu den Bahngleisen. Er warf noch einen Blick zurück zu seinen Enkelkindern, ob sie seinen Anweisungen Folge leisteten, denn wenn nicht, würde er sie von einer Polizistin bewachen lassen müssen, Staatsressourcen hin oder her. Doch Tobias und Melanie winkten ihm brav wie Lämmer zu.

      Als Stern die Trasse erreichte, sah er den rötlichen Schimmer auf den Schienen und der Schüttung. Das Opfer musste viel Blut verloren haben, das sich auf dem kurzen Stück der Bahnstrecke verteilt hatte. Irgendwo dort lag der Leichnam.

      »Grüß Gott, Chef!«, hieß Mara Grünbrecht ihren Vorgesetzten am Tatort willkommen und strich auf einer Seite ihre schulterlangen dunkelbraunen Locken hinter das Ohr. Kolanski, wie immer mit schwarzer Lederjacke und Sonnenbrille unterwegs, deutete mit der

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