Schattenklamm. Mia C. Brunner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Schattenklamm - Mia C. Brunner страница 2
Gerade als er ein frisches Hemd aus seinem Spind zog, klingelte sein Handy.
Nach einem kurzen verwunderten Blick auf das Display lächelte er zufrieden.
»Hallo Schatz«, begrüßte er seine Frau und knöpfte sein Hemd auf. »Alles in Ordnung?«
»Ja, mein Mausebär. Ich wollte nur deine Stimme hören«, kam ihr klingender Sopran durch das Telefon. Wolfgang liebte ihre glockenhelle Stimme. Seine Frau sang die Worte mehr, als dass sie sie sprach, und das gefiel Wolfgang sehr. Sie verbreitete so immer Freude und gute Laune. Er war gesegnet, eine solche Frau gefunden zu haben, und oft wunderte er sich, wie er dieses Glück verdient hatte.
Lächelnd machte er sich auf den Weg ins angrenzende Badezimmer, legte das saubere Hemd vorsichtig auf eines der Waschbecken und zog sich das schmutzige aus.
»Ich vermisse dich auch«, hauchte er mit tiefer, brummender Stimme, weil er wusste, wie sehr seine Frau das liebte. »Was hältst du davon, wenn ich hier die Zelte abbreche und gleich nach Hause komme?« Doch dann fiel ihm ein, dass auch seine Frau heute auf einer Weihnachtsfeier war und seine Kinder den Abend mit ihrer Tante verbrachten. »Bist du noch mit Jutta und Sylvia unterwegs?«
»Ja, wir sind im Apollo! Doch ich habe mich auf die Toilette verzogen, um mal kurz mit dir zu sprechen. Himmel, die spielen hier heute nur so doofe Weihnachtsmusik. Ist nicht zum Aushalten. Es ist ja nicht so, dass man in den Geschäften schon seit Wochen mit diesem Mist vollgedröhnt wird«, jammerte sie und ihre Stimme hallte vom Echo des gefliesten Raumes, in dem sie gerade stand. »Wenigstens hier hat man seine Ruhe.«
Wolfgang lachte. »Ja, ich bin auch gerade im Bad«, erklärte er. »Weihnachtsmusik ist echt ätzend.«
Eine kurze Pause entstand, dann seufzte seine Frau plötzlich und er hörte sie sagen: »Ich haue hier auch ab. Ich werde meinen Mädels einfach vorlügen, mir wäre nicht gut, und dann komme ich nach Hause. Treffen wir uns dort in einer halben Stunde?«, flüsterte sie verführerisch, wartete seine Antwort aber nicht ab und legte einfach auf.
Das war typisch für seine Frau, dachte Wolfgang lächelnd. Und genau diese Art von Spannung, diese unterschwellige Erotik, die immer wieder aufflammte, hielt ihre Beziehung spannend und aufregend. Ja, dieser Abend versprach nett zu werden. Zufrieden warf er das mit Ketchup befleckte Hemd auf ein weiteres freies Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf. Erstens wollte er die noch feuchten Ketchupflecken auswaschen und zweitens sich selbst kurz frisch machen. Warum sollte er kostbare Zeit zu Hause mit Duschen verschwenden, wenn er doch gleich mit den wichtigen Dingen beginnen konnte und noch dazu angenehm riechen würde! Er drückte mit dem Ellenbogen auf den Seifenspender und ein Schwall giftgrüner Seife ergoss sich über seine Hand. Achseln, Hals und Brust wurden kräftig eingeseift und mit klarem Wasser abgespült. Zum Abtrocknen gab es leider nur diese kleinen Papierhandtücher, doch im Umkleideraum würde er sicher noch ein Handtuch finden. Als er den Waschraum verlassen wollte, schwang plötzlich die Tür weit auf und er sprang erschrocken einen Schritt zurück, um einer gebrochenen Nase oder einer Beule auf der Stirn vorzubeugen.
Verwundert starrte er den Eindringling an. Schließlich gewann er seine Fassung wieder.
»Du? Was machst du denn hier?«, fragte er, entspannte sich aber schließlich merklich und lächelte.
Sein Gegenüber schaute ihn ernst an. Keine Spur von einem Lachen, doch jede Menge Hass und Wut im Blick.
Wolfgang Reuter war verunsichert und vergaß in diesem Augenblick sogar sämtliche in seiner Ausbildung gelernten und immer wieder erfolgreich angewendeten Redetaktiken, wenn er Verbrechern gegenüberstand. Verbrechern? So ein Quatsch. Das hier war schließlich kein Verbrecher, das hier war …
Scheiße!
Eine Pistole blitzte vor ihm auf und zielte genau auf seine Brust, genau auf den Punkt, den der Ketchupfleck vor Kurzem noch so blutrot markiert hatte. Es war eine SIG Sauer, eine gängige Dienstwaffe, die zur Ausrüstung jedes Polizisten gehörte. Langsam wurde er panisch.
»Hallo, Wolfgang«, tönte die Stimme seines Gegenübers beinahe dröhnend an sein Ohr. Ein Strom von Adrenalin donnerte durch seine Venen und er hatte das dringende Bedürfnis zu fliehen, doch er rührte sich nicht. Ihm wurde heiß und er spürte sein Herz heftig und hämmernd in seinem Hals schlagen. Schweiß brach ihm auf der Stirn aus und er trat langsam einen Schritt zurück. »Lange nicht gesehen!«
»Was soll das? Das willst du doch nicht wirklich tun«, brachte der Polizist in ihm schließlich hervor und der einfache Mann in ihm fragte verzweifelt: »Warum?« Seine Stimme überschlug sich beinahe vor Angst und er begann fast hemmungslos zu zittern. Langsam und um Fassung bemüht schüttelte er den Kopf, doch von dem Eindringling, der Person, die nicht in dieses Badezimmer gehörte, kam nicht der Hauch einer Reaktion. Dann lächelte sie überlegen und arrogant.
»Das hättest du nicht tun dürfen, Wolfgang«, sagte sein Gegenüber und Aggressivität und Hass schwang in seiner Stimme mit. Doch nicht diese Art von Hass, die wütend und unkontrolliert war, dieser Hass, der Menschen Fehler machen ließ, weil sie bei ihren Reaktionen nicht auf den Ausgang ihrer Handlungen achteten, die Art von unkontrollierter Wut, die nur noch zu Reaktionen fähig war und keinen klaren Gedanken mehr zuließ. Hier sah und spürte Wolfgang eiskalten und absolut berechnenden Hass. Diese Aktion hier im Badezimmer war bis ins Detail durchdacht, geplant und würde gerade deshalb auch garantiert ausgeführt werden.
»Bitte«, flehte er schließlich, als sich der bösartige Gesichtsausdruck seines zukünftigen Mörders nicht änderte. Aus starken eiskalten Augen wurde er angestarrt und so weiter an die harte hellblau geflieste Wand getrieben. Sein nackter Rücken presste sich gegen die kühlen Fliesen, doch er nahm die Kälte nicht wahr, sondern konzentrierte sich darauf, seinen Herzschlag wieder ruhig zu bekommen und seine Stimme wiederzufinden. Er musste reden. Solange er redete, würde sein Gegner nicht schießen.
»Warum? Was bringt dich dazu …«, stöhnte er dieses Mal. Jedes Wort, das seine Lippen verließ, war schwer wie Blei und es kostete ihn große Mühe, es überhaupt hinauszubekommen. Angst und Panik schnürten ihm die Kehle zu und seine Gedanken überschlugen sich. Er fand keine Erklärung, keinen noch so kleinen Grund für seine ausweglose Lage. Er fühlte sich zu Unrecht bedroht. Das hier war einfach nicht richtig.
»Was mich dazu bringt?« Er hörte hämisches Lachen und erkannte diese Stimme nicht wieder. Die dreckige Verachtung und die lodernd heiße Wut vergifteten die Raumluft und ließen ihn schwer nach Atem ringen. Sein Blick trübte sich, das Bild der Waschbecken und Toilettentüren verschwamm vor seinen Augen und erst jetzt begriff er, dass er weinte. Wieder schüttelte er den Kopf, als könnte er seinen Gegner so beruhigen, doch dieses Verhalten beruhigte nicht einmal ihn. Instinktiv griff er nach seinem Handy, das neben dem sauberen Hemd auf dem Waschbeckenrand lag. Kurz überlegte er, ob er damit werfen sollte, ob diese Aktion seinen Angreifer ablenken würde, ob er so seinen Gegner überwältigen könnte, doch er dachte diesen Gedanken nicht zu Ende. Nicht, weil es vielleicht keine gute Idee gewesen wäre, sondern weil ganz andere Gedanken sein Gehirn blockierten und den Wunsch nach Flucht komplett verdrängten.