Schattenklamm. Mia C. Brunner
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»Wie heißt du? Du bist neu hier, oder?« Ein junger Mann beugte sich über den Tisch, um wegen der lauten Musik und dem Stimmengewirr von den Nachbartischen nicht allzu laut schreien zu müssen.
»Ja, ich bin neu. Sozusagen noch ganz frisch«, gab Jessica spontan zur Antwort, erinnerte sich dann wieder an die Ermahnungen ihres Chefs und zwinkerte dem Mann zusätzlich noch zu.
»Und wie heißt du?«, fragte der Mann erneut und grinste jetzt breit.
»Frag sie, ob sie einen Freund hat«, kam die Anweisung von links neben ihm. Ein etwas untersetzter Mittzwanziger boxte seinem Nachbarn grob gegen die Schulter.
»Ich heiße Jessica und nein, immer wenn ich hier arbeite, habe ich keinen Freund.« Den zweiten Teil ihrer Antwort richtete Jessica direkt an den dickeren Mann. »Und du?«
»Ich bin solo. Steh nicht so auf diesen Beziehungsquatsch«, verkündete er, lehnte sich lässig in seinem Stuhl zurück und fuhr sich arrogant mit der Zunge über die Vorderzähne. »Aber gegen ein wenig Spaß habe ich nichts.« Jetzt zwinkerte er Jessica zu.
Jessica lachte. »So viel geballter Manneskraft, wie du ausstrahlst, bin ich gar nicht gewachsen«, hauchte sie und versuchte ihrer Stimme gleichzeitig Bewunderung und eine leise Spur von Schüchternheit zu verleihen. Mit einer einzigen fließenden Bewegung griff sie nach dem letzten leeren Glas, drehte sich auf dem Absatz um und ließ diesen eingebildeten Schnösel einfach stehen.
Ein wenig wunderte sie sich immer noch darüber, wie leicht es ihr fiel, Situationen wie diese zu meistern, ohne vor Scham im Erdboden zu versinken oder vor Peinlichkeit kein Wort herauszubekommen. Schlagfertig war sie schon immer gewesen, doch mit derben Anmachsprüchen hatte sie als Kriminalbeamtin selten zu tun gehabt. Mit ihrer Uniform, ihrem Polizeiausweis und ihrer Dienstwaffe bekleidet, hatten Männer entweder genug Respekt vor ihr gehabt oder hielten sie für eine Furie, ein keifendes, abartiges Miststück, mit der man absolut keinen Spaß haben konnte. Jetzt hielten sie alle für ein dummes Blondchen ohne eigene Meinung, die nur darauf wartete, von heißen Verehrern erobert und genommen zu werden. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie sich wirklich hineinversetzen in all diese Frauen, die auf der Hamburger Reeperbahn aus den unterschiedlichsten Gründen anschaffen gingen. Trotz der Demütigungen, denen sie täglich ausgesetzt waren, trotz der Abhängigkeit von Freiern und dem eigenen Zuhälter gab ihnen das abartige und unterwürfige Begehren in den Augen der notgeilen Männer eine gewisse Art von Macht, eine Überheblichkeit und Stärke, die sie durchhalten ließ und die sie für ihren eigenen Selbstwert nur zu gut gebrauchen konnten. Wenn man die Sache aus ihrer Sicht betrachtete, waren sie diejenigen, die Macht ausübten und viel stärker waren als all die kleinen Schwächlinge, denen die herrschsüchtige Ehefrau zu Hause oder eigene solide Handarbeit einfach nicht ausreichte.
Zufrieden lächelnd schlenderte Jessica mit ihrem Tablett hinter den Tresen und stellte die leeren Gläser auf die Ablage neben dem Spülbecken. Sie verschaffte sich einen kurzen Überblick über den Gastraum und stellte fest, dass alle ihre Tische gut versorgt waren und nirgends auch nur ein annähernd leeres Glas zu sehen war. Jetzt, um kurz vor Mitternacht wurde es ruhiger in der Kneipe. Ruhig allerdings nicht im eigentlichen Sinne, denn der Geräuschpegel nahm im Laufe des Abends stetig zu, doch die Anzahl der Gäste war jetzt überschaubar, ab 23 Uhr konnte auch kein warmes Essen mehr bestellt werden und die Bedienungen hatten deutlich weniger zu tun. Um diese Uhrzeit saßen die meisten der Gäste auch nicht mehr an den Tischen, sondern direkt an der Theke. Die Arbeit im Thekenbereich erledigte fast ausschließlich Paula, eine junge, vollbusige und rothaarige Frau, die genau wegen dieser körperlichen Attribute vom Chef hier platziert worden war und bei den Kneipengästen hervorragend ankam. Sie plauderte und flirtete mit den Männern am Tresen und Jessica war sich sicher, dass der eine oder andere Gast auch mal mehr Service von ihr geboten bekam als nur einen tiefen Einblick in ihr allzu üppiges Dekolleté. Dennoch hatte sich Jessica von Beginn an ausgezeichnet mit Paula verstanden.
»Hi, Jess. Läuft alles gut?«, fragte die rothaarige Kollegin und begann, die mitgebrachten Gläser zu spülen.
»Alles prima, Paula. Jetzt wird’s ja auch etwas ruhiger.« Jessica ließ sich auf den kleinen Hocker plumpsen, der hinter der Theke stand. Sie wusste, dass Markus Mertens diese offensichtlichen Pausen nicht guthieß, doch da er heute nicht in der Kneipe war, nutzte Jessica die Gelegenheit, kurz ihre Beine auszustrecken und aus ihren Schuhen zu schlüpfen.
»Du, Jess?« Paula drehte sich zu ihr um, setzte ein beinahe sorgenvolles Gesicht auf und hob gleichzeitig fragend ihre Augenbrauen. Sie hatte eine ganz eigene theatralische Art, Dingen, und seien sie noch so unwichtig, durch einen dramatischen Gesichtsausdruck mehr Präsenz zu verleihen.
»Was denn?«
»Kannst du mich nachher mitnehmen? Mein Auto streikt schon wieder. Ich muss die olle Karre morgen wohl wirklich in die Werkstatt bringen.« Ein heftiges Kopfschütteln und ein Griff mit der Hand an ihre Schläfe unterstrichen auch dieses Mal die Dramatik eines Werkstattbesuches und das tragische Schicksal eines autolosen und damit verlorenen Mädchens.
»Klar.« Jessica schlüpfte in ihre Schuhe und stand auf. Es war nicht das erste Mal, dass sie Paula nach Hause brachte, und es war auch nicht gerade auf dem Weg, somit auch kein »Mitnehmen«, sondern eher ein unglaublicher Umweg, doch Jessica machte es gern. Sie liebte das Autofahren, besonders in der Nacht. Es gab ihr die Gelegenheit zum Nachdenken und Ruhe finden. Im Auto konnte Jessica prima entspannen.
Eine Stunde später saß Paula neben Jessica auf dem Beifahrersitz und plapperte fast ununterbrochen. Jessica konnte nach einem Abend in der Kneipe gar nicht verstehen, dass ihre Kollegin immer noch so ein Mitteilungsbedürfnis hatte. Man konnte doch annehmen, sie hätte seit Stunden nichts anderes getan, als zu reden, zu lächeln und zu flirten. Um 1 Uhr Nachts sollte man ruhig sein, die Dunkelheit genießen und nur noch das leise Brummen des Motors hören müssen. Auch das Radio blieb bei Jessica in der Nacht immer aus, obwohl sie sonst geradezu ein Musik-Junkie war, alte und neue Rocksongs liebte und auch in einer Lautstärke hörte, die für ihre Ohren nicht mehr gesund war. Genau aus diesem Grund brauchten ihre Ohren nachts ihre Ruhe.
Genervt schaltete sie in den dritten Gang runter und gab richtig Gas, als sie auf die B 12 fuhr, um nach Wildpoldsried zu kommen. Ihr BMW heulte zufrieden auf und beschleunigte beinahe ohne jeden Widerstand. Jessica lehnte sich entspannt in ihrem Sitz zurück und lächelte selig.
»Guck mal, Jess. Was blinkt denn da?« Verwundert deutete Paula mit dem Zeigefinger in die Dunkelheit vor ihnen, tippte sogar von innen gegen die Windschutzscheibe und schaute dann zu Jessica hinüber.
»Scheiße. Verdammter Mist. Ausgerechnet …!« Jessica trat auf die Bremse und reduzierte ihr Tempo auf ein angemessenes Maß. Die rot leuchtende Polizeikelle etwa 100 Meter vor ihr wies sie trotzdem an, in die Parkbucht einzubiegen und direkt hinter dem dort parkenden Streifenwagen, einem dunklen VW-Bus, anzuhalten.
»Was wollen die denn von uns?«, fragte Paula vorwurfsvoll und starrte wütend auf das Auto der Polizisten, obwohl das nun wirklich nichts für Jessicas überhöhte Geschwindigkeit konnte.
Jessica schaltete den Motor aus und ließ durch einen Knopfdruck die Scheibe auf der Fahrerseite hinunter. Kalte Nachtluft strömte in den warmen Innenraum und Paula schlang fröstelnd die Arme um ihren Körper.
»Einen schönen guten Abend, junge Frau. Sie wissen, warum wir Sie angehalten haben?« Eine ältlich aussehende Polizistin mit einem kantigen Gesicht und tiefen Falten auf der Stirn blickte streng und unerbittlich in den Wagen, schnüffelte dann, verzog angewidert das Gesicht und legte ihre rechte Hand auf ihre Dienstwaffe, die in einem Halfter an ihrem Gürtel hing. »Steigen Sie bitte aus. Haben Sie etwas getrunken?«, fragte sie.