Schattenklamm. Mia C. Brunner
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Als ehemaliger Kriminalhauptkommissar war Jessicas Vater erschüttert über den Mord an einem Kollegen. Obwohl er seit guten fünf Jahren im Ruhestand war, nahmen ihn solche Schreckensmeldungen nach wie vor unheimlich mit und er wollte über den Stand der Ermittlungen ausführlichst unterrichtet werden. Dass er, genau wie seine Tochter, keinen Hinweis auf den Mörder sehen und finden konnte, nahm ihn beinahe genauso mit wie der eigentliche Verlust seines geliebten Schwiegersohnes. Herbert Grothe war Kriminalbeamter mit Herz und Seele. Seine Beliebtheit im Revier und seine immer professionelle Arbeit machten es Jessica nicht leicht, in seine Fußstapfen zu treten. Dennoch musste sie zugeben, dass wohl vor allem der gute Name und die empfehlenden Worte ihres Vaters ihren eigenen raschen Karriereaufstieg gefördert hatten. Mit 29 Jahren bereits zur leitenden Hauptkommissarin ernannt zu werden, war selten und ungewöhnlich. Nicht wenige ihrer Kollegen beneideten sie damals, doch sie strafte alle Zweifler Lügen, indem sie genau wie ihr Vater sauber, präzise und erfolgreich arbeitete.
Ihr Vater hatte ihren Ausstieg aus dem Polizeidienst nicht gutgeheißen. Für ihn war ihre Aufgabe ein Zeichen von Schwäche und entsprach in keiner Weise seinem persönlichen Lebensmotto. Jessicas Vater war der Meinung, dass nur sehr wenige Menschen tief in ihrer Seele so gut waren, dass sie sich in ihrem Leben nicht anstrengen mussten, um auf dem rechten Weg zu bleiben. Die meisten Menschen hatten dunkle Flecken auf der Seele und mussten sich tagaus, tagein bemühen, ihre schlechte Seite zu unterdrücken, um wirklich gut zu bleiben.
Und Jessica hatte mit ihrem Ausstieg aus dem Polizeidienst einen Schritt in die falsche Richtung getan. Sie sah an den enttäuschten Augen ihres Vaters und seinem durchdringenden Blick, dass sie seiner Meinung nach den größten Fehler ihres Lebens gemacht hatte. Doch gesagt hatte er nie etwas. Rein äußerlich hatte er ohne Murren ihre Fehlentscheidung scheinbar respektiert.
»Guck mal, Opa«, plapperte Svenja weiter, die ihren Großvater durch die Terrassentür in den kleinen Garten gezogen hatte und jetzt mit ihm vor dem dunklen und leeren Beet am Gartenzaun stand, »hier schlafen die kleinen Tulpen.« Dann sah sie ihren Opa mit großen runden Kinderaugen an und lächelte ihm entgegen. »Und da hinten soll die Sandkiste für mich und Tobi stehen.« Sie deutete mit ihrem kleinen Zeigefinger an den Rand der gefliesten Terrasse und erinnerte ihren Opa an das Versprechen, das er ihr noch in Hamburg gegeben hatte.
Herbert Grothe brach in schallendes Gelächter aus. »Das hast du also nicht vergessen!«, polterte er, hob seine Enkeltochter hoch in die Luft und drückte sie dann fest an sich. »Gleich morgen gehen wir in den Baumarkt und kaufen dir und deinem Bruder die versprochene Sandkiste. Ihr müsst mir aber helfen, sie aufzubauen, okay?«
»Klar, Opa. Das machen wir.«
Klaus Vollmer verließ als einer der letzten den Baumarkt, in dem er seit mehreren Jahren arbeitete. Er zog seinen alten Lederblouson fest um seinen Körper und schloss die Druckknöpfe über seiner Brust. Der Reißverschluss war seit Langem schon kaputt, doch er hatte weder das Geld für eine Reparatur noch konnte er sich eine neue Jacke leisten. Zu Hause warteten drei kleine Kinder und eine Ehefrau, die selbst kein Geld verdiente. Sein Ältester war letzte Woche gerade vier Jahre alt geworden und alle drei Kinder brauchten noch intensive Betreuung und kosteten jede Menge.
Doch bald würde es ihnen allen besser gehen.
Noch immer fröstelnd, stapfte Klaus Vollmer über den leeren Parkplatz zu seinem alten Ford, der am äußersten Rand parkte und das einzige Auto in diesem Bereich des großen Platzes war. Er zog seine Zigaretten aus der Jackentasche, ein Feuerzeug aus der Gesäßtasche seiner dreckigen Jeans und blieb kurz stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Trotz der Flutlichtbeleuchtung war der Parkplatz um diese Uhrzeit bereits recht dunkel und umso weiter er sich vom Gebäude weg bewegte, umso schummriger wurde die Umgebung. Er parkte immer ganz am Rand und in dieser abgeschiedenen Ecke. Niemand sollte zu aufmerksam werden auf seine alte Rostlaube, die wirklich schon bessere Tage gesehen hatte, ihm aber treu und ohne Murren auch in ihrem hohen Alter noch ihren Dienst erwies. Doch bald würde er sich ein besseres Auto zulegen können. In der einen Hand seine brennende Zigarette, in der anderen seinen Autoschlüssel, ging er weiter auf den Ford zu. Er freute sich auf sein Zuhause, auf sein Sofa, das kalte Feierabendbier und das Abendessen.
Dann bemerkte er neben der Fahrertür seines Autos die dunkle Gestalt. Wie lange stand sie schon dort?
»Hallo? Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Klaus Vollmer ohne jeglichen Argwohn und hob zusätzlich grüßend die Hand mit dem Schlüsselbund.
»Ja, das können Sie tatsächlich«, begrüßte ihn die Person an seinem Auto und hob ebenfalls zum Gruß die Hand. Die Stimme klang hohl, etwas arrogant und passte überhaupt nicht zu diesem Menschen. Sie war beinahe furchteinflößend. Bei diesen Gedanken schüttelte Klaus Vollmer lächelnd den Kopf. Natürlich würde ihm hier nichts passieren. Niemand hatte einen Grund, ihm etwas zu tun. Er sah nicht aus, als hätte er Geld und seine alte Karre war noch weniger wert als seine kaputte Jacke. Trotzdem blieb er erschrocken wie versteinert einige Meter vom Auto entfernt stehen, als er diesen Menschen eiskalt und verbittert lachen hörte.
»Ja, Sie können mir tatsächlich behilflich sein, lieber Herr Vollmer«, wiederholte die Person dieses Mal flüsternd, doch nicht, um die Nachtruhe nicht zu stören, sondern um der eigenen Stimme Dramatik und eine unterschwellige Drohung zu verleihen. Beinahe theatralisch hob die dunkle Gestalt beide Hände gen Himmel und seufzte.
Klaus Vollmer kroch die Angst fröstelnd und unaufhaltsam über seinen Rücken, seinen Nacken und direkt in sein Gehirn. Dieser Mensch, der ihm gegenüberstand, war durch und durch böse. Er konnte die Augen nicht erkennen, denn sie lagen im Schatten eines dunklen Hutes, doch der etwas schief zu einem hämischen Grinsen verzogene Mund flößte ihm Panik ein.
»Was … wie kann ich Ihnen helfen?« Er wählte die Worte mit Bedacht und hoffte, er könne mit Ruhe und Selbstbeherrschung nicht nur seine Furcht bekämpfen, sondern auch die Situation zu seinen Gunsten ändern. »Ich habe absolut nichts, was Sie interessieren könnte«, fügte er hinzu und bereute sogleich seine Aussage, denn sein Gegenüber lachte erneut, dieses Mal beinahe belustigt, doch eiskalt.
»Oh doch, Herr Vollmer. Sie haben etwas, das mir gehört, und ich lasse mir nichts wegnehmen«, sagte die Stimme ruhig und bedächtig. »Niemals würde ich so etwas zulassen. Sie sind mir im Weg, Herr Vollmer. Sie … müssen weg!«
Als Klaus Vollmer sich auf dem Absatz umdrehte und zu rennen begann, wusste er im ersten Moment noch nicht, warum er so reagierte. Sein Verstand versuchte krampfhaft, ihm Gründe für diese merkwürdige Begegnung zu geben, doch ihm fiel absolut nichts ein, das ihm derartige Reaktionen verständlich machen konnte. Seine Flucht war eine absolut instinktive Handlung und auch diese Reaktion vermochte er nicht zu deuten. Bereits wenige Schritte später hallte die hämische Lache seines Angreifers erneut in sein Ohr und würde ihn verfolgen, bis er wieder nahe genug am Gebäude des Baumarktes und damit in Sicherheit und im Licht war. Schall war schneller, als er jemals würde laufen können, doch auch dieser gottverlassenen Stimme versuchte er zu entkommen und rannte jetzt noch schneller. Dann plötzlich dröhnte die Luft um ihn herum donnernd und brüllend und übertönte alles andere. Alle Lichter um ihn herum erloschen schlagartig und er hatte plötzlich das Gefühl zu fliegen, abzuheben und endlich frei von jeder Angst zu sein. Danke, er war gerettet.
Trotz der zwei Personen mehr im Haus verliefen die nächsten Tage ruhig und entspannt. Das lag vor allem daran, dass Susanne ihre Eltern, so oft es nur ging, zu Ausflügen mit den Kindern überredete und die Nachmittage deshalb immer still und friedlich waren. Jessica