Schattenklamm. Mia C. Brunner
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»Vielleicht war dieser Herr Vollmer, der Ermordete, ein Bekannter meines verstorbenen Schwagers«, sinnierte Jessica nachdenklich und ließ sich auf ihrem alten Platz am Esstisch nieder. Die Sache war äußerst mysteriös und warf so viele Fragen auf. »Wie viele Gespräche wurden denn mit der Hamburger Nummer geführt? Und vor allem … wann und wie lange wurde telefoniert?« Fragend sah Jessica erst Herrn Forster, dann Herrn Willig an.
»Meine liebe Frau Grothe«, erklärte Hauptkommissar Forster mit einem weisen und überheblichen Lächeln auf seinen Lippen. »Sie können sicher ganz wunderbar Bestellungen aufnehmen und ganz ausgezeichnet bedienen«, sagte er arrogant. »Mein Kollege und ich konnten uns von letzterem höchst persönlich überzeugen. Doch bitte, versuchen Sie nicht, sich Gedanken über etwas zu machen, von dem Sie überhaupt keine Ahnung haben.« Der Beamte erhob sich gemächlich vom Stuhl und sein Kollege Willig tat es ihm eifrig und ein wenig hektisch gleich.
»Machen Sie Ihre Arbeit und wir unsere, okay?«
Jessicas Blicke waren unerbittlich und wütend, doch sie schwieg und blieb sitzen.
»Ich erwarte Ihre Schwester morgen um 10 Uhr auf der Wache«, bestimmte der Hauptkommissar ernst und Jessica vermutete, dass er selten keinen Erfolg mit diesen Befehlen hatte. Er wirkte in diesem Moment respekteinflößend und stark. »Ich werde auch Frau Reuter zu der Telefonnummer befragen müssen. »Als Jessica immer noch keine Reaktion zeigte, lächelte Florian Forster wieder überheblich.
»Ich finde auch allein hinaus, bleiben Sie ruhig sitzen, Frau Grothe. Vielen Dank für Ihre Mühen und das Gespräch.«
Mit diesen Worten verschwand er durch die Haustür, ohne sich noch einmal umzudrehen, und nahm seinen Kollegen mit, der wie sein Schatten an ihm klebte.
Kapitel 4
Die kühle Oktoberluft und der leichte Nebel, der über den Wiesen aufstieg, tauchte die Landschaft in eine beruhigende Herbstidylle. Jessica Grothe lief entspannt, doch mit großen kräftigen Schritten am Ufer des Bachtelweihers entlang und genoss die Ruhe ebenso wie den leichten Nieselregen, der ihr ins Gesicht wehte und ihre aufgeheizte Haut etwas abkühlte. Beim Joggen im Freien konnte sie am allerbesten nachdenken. Das war schon immer so. Noch als Schülerin hatte sie mit diesem Sport begonnen und besonders vor schwierigen Klassenarbeiten hatte ihr die Muskelanstrengung und die frische Luft Entspannung und Energie gebracht. Nach dem ereignisreichen gestrigen Tag und dem Treffen mit Martin in der Kneipe konnte sie in der Nacht kaum schlafen, also hatte sie sich gleich, als es draußen wieder hell wurde, ihre Laufschuhe übergezogen und hatte das Haus noch vor den Kindern, und noch bevor ihre Eltern wach wurden, verlassen. Jetzt lief sie bereits seit eineinhalb Stunden und war auf dem Heimweg.
Es war schön gewesen, ihren ehemaligen Hamburger Kollegen Martin Hansen wiederzusehen. Er war auf der Durchreise nach Österreich gewesen, wo er seinen Urlaub bei den Schwiegereltern seiner Arbeitskollegin Renate verbringen wollte, und hatte sich kurzfristig entschieden, Jessica zu besuchen. Es fiel ihm anfangs unheimlich schwer, sein schlechtes Gewissen zu verbergen, und Jessica wusste nur zu genau, wie er sich fühlte. Auch sie hatte nach Wolfgangs Tod in Hamburg alle Kontakte abgebrochen und selbst gute Freunde nicht mehr an sich herangelassen. Jeder, der Wolfgang näher gekannt hatte, trug sein Päckchen und musste sehen, wie er mit diesem Verlust klarkam und ohne Wolfgang weiterleben konnte. Martin hatte Jessica berichtet, dass es nach wie vor noch keine weiteren wichtigen Erkenntnisse im Mordfall Reuter gab und die Ermittlungen immer träger verliefen. Die Polizei konzentrierte sich wieder mehr auf aktuelle Kriminalfälle und Wolfgangs Fall würde wohl als ungelöst in die Geschichte eingehen und in den unzähligen Akten im Keller der Dienststelle verschwinden.
Wie von allein liefen Jessicas Beine, und das dumpfe Trampeln ihrer Füße auf dem befestigten Schotterweg, der um den See herumführte, war neben dem leichten Sausen des Windes das einzige Geräusch um sie herum. Gleich würde sie wieder ein Stück an der Straße entlanglaufen müssen, dann ein kurzes Stück durch ein Wohngebiet und in weniger als 10 Minuten würde sie wieder zu Hause sein.
Der Besuch der zwei Beamten vom Vortag war ein weiteres Mysterium, mit dem sich Jessica während ihrer Joggingrunde beschäftigte. Nach wie vor war es ihr ein absolutes Rätsel, warum dieser ihr völlig unbekannte Mann, der so kaltblütig am letzten Samstag auf dem Baumarktparkplatz erschossen wurde, ausgerechnet ihre Hamburger Telefonnummer in seinem Handy gespeichert hatte. In der Montagsausgabe der Regionalzeitung war sogar ein Foto von diesem Herrn Vollmer abgebildet worden. Dieser Mensch war Jessica gänzlich unbekannt. Vielleicht konnte ihre Schwester heute auf dem Revier Licht in das Dunkel bringen. Vielleicht war es auch nur ein dummer Zufall. Auch die Telefonverbindungen in Wolfgangs Handy und die seines Festnetzanschlusses waren im letzten Jahr überprüft worden. Jessica musste, obwohl es ihr gänzlich widerstrebte, auch kurzzeitig wegen eventuellen Korruptionsverdachts ermitteln, doch wie Jessica bereits vermutete, bestätigte sich dieser Verdacht nicht. Ihr Schwager hatte absolut keine ungewöhnlichen Verbindungen aufrechterhalten. Auch Anrufe nach Süddeutschland hatte er in den letzten zwei Jahren seines Lebens nicht geführt. Die Beamten, die speziell für die Überprüfung der Telefondaten abgestellt worden waren, hatten keine derartigen Unregelmäßigkeiten oder unerklärlichen Fernverbindungen festgestellt. Hauptwachtmeister Reuter blieb auch nach seinem Tod ein angesehener und korrekter Beamter, der niemandem etwas schuldig geblieben war.
Wenige Minuten später joggte Jessica über die kleine Rasenfläche vor dem Endreihenhaus, bog um den großen Lorbeerbusch und verlangsamte ihr Tempo erst kurz vor der Kelleraußentreppe. Sie stieg die Stufen hinunter, schloss die schwere Metalltür auf und trat in den Kellergang und in das rechts angrenzende Badezimmer.
Als sie um Punkt 10 Uhr frisch geduscht und dick eingepackt in ihren alten grünen Frotteebademantel das Wohnzimmer betrat, traf sie nur auf ihren Vater. Er saß auf dem beigen Ledersofa, die Beine lässig übereinandergeschlagen und Kopf und Oberkörper hinter einer Zeitung verborgen.
»Guten Morgen, Jessica«, dröhnte sein tiefer Bass hinter der Tageszeitung hervor. »Dein Frühstück steht noch auf dem Tisch. Warst du Laufen?« Er klappte umständlich die viel zu große Zeitung zusammen und kam herüber, um sich gemeinsam mit seiner Tochter an den Esstisch zu setzen.
»Guten Morgen, Paps.« Jessica gab ihrem Vater einen Kuss auf die Wange. »Laufen beruhigt mich«, sagte sie nur, setzte sich und griff nach der Thermoskanne mit dem heißen Wasser. »Möchtest du auch noch einen Tee?«
»Gern.« Ohne Jessica aus den Augen zu lassen, schob er ihr eine leere Tasse entgegen und stützte dann seine Ellenbogen auf den Tisch und sein Gesicht in seine Hände. »Deine Mutter ist mit deiner Schwester zu diesem Hauptkommissar Forster gefahren, um ihre Aussage zu machen. Sie gehen im Anschluss noch durch die Stadt ein wenig Bummeln«, erklärte Herbert Grothe seiner Tochter, als diese sich fragend im Wohnzimmer umsah. Jessica lächelte. Ihr Vater hatte die erschreckend fantastische Gabe, Gedanken zu lesen. Zumindest hatte man als sein Gesprächspartner oft dieses Gefühl. Dabei besaß er einzig und allein eine ausgezeichnete Menschenkenntnis und das Talent, Gesten richtig zu deuten.
»Worum geht es denn eigentlich?«, fragte er schließlich, griff nach dem kleinen silbernen Löffel neben seiner Tasse und rührte fast gedankenverloren in dem heißen Teewasser herum. Der Faden des Teebeutels in seiner Tasse wickelte sich dabei immer mehr um den kreisenden Löffel, doch Herbert Grothe störte sich nicht daran.
Jessica berichtete ausführlich von den wenigen Erkenntnissen zu dem Baumarktmord, als würde sie wie in alten Zeiten einen eigenen Fall mit ihrem Vater besprechen und auf seinen Rat oder eine zündende Idee hoffen. Doch mit ihren schwammigen und ungenauen Angaben konnte auch der Hauptkommissar A. D. nichts anfangen.
»Scheint ein interessanter Fall zu sein«, grübelte Jessicas Vater mehr für sich. »Und wenn die Beamten solchen