Tochter der Inquisition. Peter Orontes

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Tochter der Inquisition - Peter Orontes

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das weit in Jos’ Leben zurückreichte. Damals, vor mehr als vierzig Jahren, war es gewesen. Da hatte es schon einmal so begonnen. Mit einem Mönch und zwei Waffenknechten. Sie hatten seine Frau und seine Tochter geholt. Und am Ende von allem waren Qual und Feuer und Tod gestanden. Und eine nie enden wollende Trauer.

      »Herr, hilf und gib uns allen Kraft!«

      Mit einem mächtigen Schwung ließ Jos das Zeitenrad in seinem Kopf wieder in die Gegenwart zurückwirbeln. Er stellte die Mistkarre einfach ab und schlurfte, so schnell er es vermochte, zum geräumigen Haupthaus hinüber.

      »Sie kommen, Peter. Gleich … gleich werden sie da sein!« Nicht nur das Gebrüll des Knechtes, auch der laute Knall, mit dem die Tür hinter Jos ins Schloss fiel, ließen Peter Seimer samt Frau und Kindern regelrecht zusammenfahren. Insbesondere die beiden Jüngsten, Konrad und Lea, die gerade ihren morgendlichen Brei löffelten, sahen verstört zu Jos empor, der mit fahlem Gesicht und zitternden Gliedern am Tisch neben dem Vater stand; Lea, die Kleinste, fing an zu weinen.

      Der Bauer sprang auf. »Aber Jos, was soll das? Wer wird gleich da sein?«, fragte er ungehalten.

      »Komm! Komm mit und sieh selbst«, stieß Jos hervor und war mit einem leise gemurmelten »O, mein Gott!« auch schon wieder zur Tür draußen.

      Peter Seimer folgte dem Knecht auf den Hof hinaus. Dort gab es eine Stelle, von wo aus der Weg, der zu seinem Anwesen führte, ein gutes Stück weit eingesehen werden konnte. Er blickte den Abhang hinunter – und fühlte eisige Starre in sich hochsteigen.

      »Gott sei uns gnädig – die Wölfe des Antichristen«, stieß er entsetzt hervor. Gleichzeitig fragte er sich, wie die, die da heranritten, von seiner Zugehörigkeit zu denjenigen wissen konnten, die man als Ketzer ansah. Hatte irgendjemand während der Gerichtsverhandlung Verdacht geschöpft, weil er um das Leisten des Eides herumgekommen war?

      Wie eine von Wölfen bedrohte Schafherde jagten die Gedanken durch Seimers Kopf. Dennoch wusste er sofort, welche Entscheidung er zu treffen hatte.

      »Schnell, Jos, du weißt, was nun geschehen muss. Wir gehen genau so vor, wie wir es tausendmal geübt haben. Du holst das Getäusche und ich bringe die Kleinen ins Versteck – nicht, dass sie sich verplappern.«

      »Ja, aber …«

      »Kein Aber. Los, komm schon! Bis sie hier sind, vergeht noch ein wenig Zeit. Gut, dass die anderen vom Gesinde nicht da sind; so brauchen wir uns nicht auch noch um sie zu kümmern.«

      Sie hasteten ins Haus zurück. Während Jos in einer der Kammern verschwand, in die man vom Gang aus gelangte, eilte der Bauer in die Stube, in der Lisbeth und die Kinder versammelt waren. Ein Blick genügte, um seine Frau sowie Marie und Josef, die älteren der vier Kinder, sofort den Ernst der Lage begreifen zu lassen.

      Peter wandte sich an seine beiden Jüngsten. »Konrad und Lea, kommt her zu mir«, bat er, darum bemüht, trotz der Aufregung so sanft wie möglich zu sprechen.

      Die Kinder sprangen von der Bank und traten zu ihrem Vater.

      Peter Seimer ging in die Hocke und legte den Arm um sie. »Hört genau zu, was ich euch sage. Wir werden jetzt Verstecken spielen. So wie wir es immer getan haben. Josef geht mit euch hinunter, er bleibt bei euch. Ihr wisst, ihr müsst mucksmäuschenstill sein, und ihr dürft erst wieder herauf­kommen, wenn ihr das Klopfzeichen hört. Wie oft ertönt das Zeichen, Lea?«

      Die Kleine sah ihren Vater mit großen Augen an. Dann stampfte sie mit dem Fuß viermal auf den Boden. »So viele Male«, sagte sie. Dann aber fügte sie ängstlich hinzu: »Diesmal ist es böse, Vater, nicht wahr?«

      Betroffen musterte Peter Seimer zuerst Lea, dann Konrad. Der Junge hatte zwar nichts gesagt, dennoch spiegelte sich auch in seinen Augen das Wissen um die Gefahr, in der sie schwebten.

      Der Bauer fühlte einen Kloß in seiner Kehle aufsteigen. Er drückte die beiden fest an sich und strich ihnen zärtlich übers Haar. »Es wird bestimmt alles gut«, kam es gepresst über seine Lippen. »Und nun geht mit Josef. Ich geh voran und mach euch die Luke auf.« Er nickte seinem Zweitältesten aufmunternd zu, worauf Josef seine beiden Geschwister energisch an die Hand nahm und dem Vater durch den Hinterausgang ins Freie folgte. Nur wenig später waren sie in dem geräumigen Schuppen verschwunden, in der die Schnitzwerkstatt untergebracht war. In dem kellerartigen Raum, der sich unter der Werkstatt verbarg, hofften die Kinder inständig darauf, dass ein viermaliges Klopfen sie bald wieder nach oben rufen möge.

      »Herr im Himmel, bitte hilf …«

      Peter sandte ein Stoßgebet zum Himmel und versuchte bewusst jeden Eindruck von Unruhe zu vermeiden, als er aus dem Haus trat und langsam auf die Reiter zuging, die soeben herbeigetrabt kamen. Erst ganz nah vor ihm brachten sie ihre Pferde zum Stehen.

      »Seid Ihr der Besitzer dieses Hofes?«

      Einer der beiden Bewaffneten hatte die Frage gestellt, sie klang herablassend, aber nicht unfreundlich. Der andere sah ihn neugierig an, wie Peter aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm. Der Blick auf den Mönch blieb ihm vorerst verwehrt, da er sich unmittelbar hinter den beiden befand.

      »Ich bewirtschafte ihn. Er gehört zum Besitz des Klosters zu Garsten.«

      »Euer Name?«

      »Peter Seimer, Herr.«

      »Peter Seimer, Ihr werdet der Kirche sicherlich gern einen Dienst erweisen wollen, nicht wahr?«

      Dem Bauern schnürte es den Hals zu. Sie kommen zur Sache, dachte er, doch außer einem Nicken war er zu keiner Antwort fähig.

      Der Fragesteller ließ seinen Rappen etwas zur Seite tänzeln und gab so den Blick auf den dritten Reiter frei, dessen Gewandung ihn unzweifelhaft als Cölestiner auswies.

      »Ihr seht hier unseren hochwürdigsten Herrn Petrus Zwicker vor Euch, Inquisitor der ketzerischen Verderbtheit, ausgesandt von seiner Eminenz, Georg von Hohenlohe, dem Bischof zu Passau, um den Umtrieben des Teufels, der hier in der Gegend viele Anhänger besitzt, ein Ende zu bereiten«, stellte der Waffenknecht seinen Herrn förmlich vor.

      Peter Seimer erschrak bis in die Grundfesten seiner Seele. Der Inquisitor! Nicht sein Abgesandter, nicht nur einer seiner geistlichen Handlanger war gekommen, um ihn zu holen; o nein, er stand dem Leitwolf höchstpersönlich gegenüber.

      Der Bauer sah zu ihm auf – und verspürte plötzlich das Gefühl, als ob ein Stück Eis über seinen Rücken strich. Er musste zugeben, dass der hochgewachsene Cölestiner eine respekteinflößende Erscheinung war. Der kurz gestutzte schwarze Bart und der sorgfältig gepflegte Haarkranz gleicher Farbe, der die Tonsur rahmte, sowie die römisch geformten Züge gaben dem Gesicht etwas Vornehmes, Unnahbares. So sahen manche der geschnitzten und gemalten Heiligenfiguren aus, die vielerorts die Kirchen schmückten – wären da nicht die kühn gebogene Nase und der stechende Blick der Augen gewesen, unnatürlich groß und grün und wie dazu geschaffen, sich bis auf den Grund der Seele hinabzubohren.

      Ein Geier, schoss es Peter durch den Sinn. Trotz der bedrohlichen Situation rief der Anblick des Inquisitors den Künstler in ihm wach. Hätte er den Auftrag bekommen, einen Raubvogel mit menschlichem Antlitz zu schnitzen – genau so hätte er aussehen müssen.

      Tief verbeugte er sich. »Seid herzlich willkommen auf unserem Hof, hochehrwürdiger Herr. Ich stehe Euch selbstverständlich gern zu Diensten. Was kann ich für Euch tun?«, hörte er sich wie aus weiter Ferne sagen und wunderte sich über die Festigkeit seiner Stimme. Sie ließ

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