Syltleuchten. Sibylle Narberhaus

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Syltleuchten - Sibylle Narberhaus

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      »Hallo, Mama! Wie geht es dir?«

      »Mir geht es gut, danke. Ich hoffe, bei euch ist alles in Ordnung?«

      »Ja, alles bestens«, beantwortete ich ihre Frage. »Was gibt es Neues?«

      Eigentlich hatte meine Mutter erst vor ein paar Tagen angerufen, daher war ich verwundert, dass sie sich nach so kurzer Zeit erneut meldete. Öfter als einmal pro Woche telefonierten wir in der Regel nicht, es sei denn, es gab etwas Dringendes.

      »Sieht es bei euch auch schon nach Frühling aus? Hier kommen überall die Tulpen durch. Jetzt fehlen noch ein paar warme Tage, und die ersten Sträucher bekommen Blätter. Das wird aber auch langsam Zeit nach diesem endlosen kalten Winter. Ich kann es kaum erwarten.«

      »Ja«, erwiderte ich kurz.

      Doch ehe ich mehr sagen konnte, fuhr meine Mutter fort: »Papa war neulich beim Arzt. Heute hat er das Ergebnis der Blutuntersuchung bekommen. Es ist alles in Ordnung. Sein Cholesterinwert ist viel besser geworden. Wir haben doch unsere Ernährung umgestellt, hatte ich dir ja erzählt. Du weißt, die Sache mit dem neuen Kochbuch. Papa wollte mir erst nicht glauben, dass das was bringt. Jetzt hat es sich bestätigt. Und heute Nachmittag haben uns die Schreibers zum Kaffee besucht. Henriette und Günter waren vier Wochen auf den Kanarischen Inseln und sind letztes Wochenende wiedergekommen. Sie haben eine Menge Fotos mitgebracht. Mir schwirrt noch der Kopf. Günter hatte alles auf so einem tragbaren Computer dabei. So einen hast du doch auch, zum Aufklappen.«

      »Ja, Mama, einen Laptop.«

      »Genau, Günter ist doch so ein Technikfreak. Henriette sagt, er macht nichts mehr ohne dieses Ding. Wir sind da nicht so modern. Jedenfalls hat es ihnen dort sehr gut gefallen. Sie meinten, wir sollten das unbedingt auch in Betracht ziehen. Besonders in dieser trüben Jahreszeit wäre das Balsam für die Seele. Aber du kennst ja deinen Vater, den kriege ich nie lange von Zuhause weg. Außerdem steigt er ungern in ein Flugzeug. Ich hatte übrigens Apfelstrudel gemacht. Den magst du doch auch gerne. Wenn du nicht so weit weg wohnen würdest, hätte ich für dich auch einen gemacht. Henriette hat er jedenfalls sehr gut geschmeckt. Sie wollte sogar das Rezept haben, obwohl sie sehr selten selber backt.«

      Meine Mutter war in ihrer Berichterstattung kaum zu bremsen. Ich fragte mich, wie sie so schnell reden konnte, ohne dabei viel Luft holen zu müssen. Und dann diese abrupten Themensprünge. Was kam wohl als Nächstes?

      »Ja, Mama, das ist alles sehr interessant, aber du rufst doch nicht an, um mir das alles zu erzählen, oder?«, hakte ich vorsichtig nach. »Das hätte auch Zeit gehabt.«

      Ich ahnte, dass meine Mutter mir zwar irgendetwas mitteilen wollte, aber gleichzeitig nicht mit der Sprache herausrücken wollte. Eine böse Vorahnung beschlich mich, vermutlich wurde es gleich unangenehm.

      »Stimmt, Anna, das ist nicht der eigentliche Grund meines Anrufes.« Sie räusperte sich. »Heute Mittag hatte ich einen Anruf. Du kommst sicher nicht von alleine drauf. Du wirst bestimmt nicht begeistert sein, wenn ich es dir sage.«

      »Mama! Sag endlich bitte, warum du anrufst! So schlimm wird es schon nicht sein.«

      Langsam war ich mit meiner Geduld am Ende.

      »Marcus hat heute Vormittag bei uns angerufen. Dein Vater war gerade unterwegs zum Arzt und anschließend zur Apotheke«, ließ sie mich wissen und machte eine Pause, um meine Reaktion abzuwarten.

      »Marcus?«, wiederholte ich, um ganz sicher zu gehen, dass ich mich nicht verhört hatte. »Und was wollte er?« Ich ahnte nichts Gutes.

      Marcus und ich waren lange Zeit ein Paar gewesen, wollten heiraten und eine Familie gründen. Doch eines Tages hatte ich ihn mit einer anderen Frau in unserem Bett überrascht. Daraufhin hatte ich mich sofort von ihm getrennt und war aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Es war nicht das erste und einzige Mal gewesen, dass er mich betrogen hatte, aber das Maß war voll. Ich war nicht mehr gewillt, ihm diese ›Versehen‹, wie er sie nannte, zu verzeihen. Daher wunderte es mich umso mehr, dass er sich ausgerechnet bei meinen Eltern meldete, da ich seit fast zwei Jahren keinen Kontakt zu ihm hatte. Unsere Wege hatten sich endgültig getrennt, und es gab nichts mehr zu sagen. In meinem Leben gab es nicht die kleinste Nische mehr für ihn. Ich hatte lange genug unter der Trennung gelitten und damit abgeschlossen.

      »Er wollte dir einige Dinge zukommen lassen, die er beim Aufräumen gefunden hat. Und irgendeine Unterschrift braucht er von dir. Dabei geht es um eine Versicherung, hat er gesagt«, berichtete meine Mutter.

      »Hm«, erwiderte ich skeptisch, »ich kann mich nicht erinnern, um welche Versicherung es sich handeln könnte. Wir hatten damals alles gekündigt, was wir zusammen abgeschlossen hatten. Naja, er kann euch die Sachen bei Gelegenheit vorbeibringen. Dann könnt ihr sie mir das nächste Mal mitbringen, wenn ihr nach Sylt kommt.«

      »Es schien aber sehr dringend zu sein. Er hat von einer Frist gesprochen, die bald endet. Daher habe ich ihm deine Adresse gegeben, damit er dir das Dokument so schnell wie möglich schicken kann.« Meine Mutter senkte schuldbewusst ihre Stimme.

      »Wie bitte? Ach, Mama! Wieso hast du das gemacht? Es geht ihn nichts an, wo ich lebe. Das sollte er gar nicht unbedingt wissen.«

      »Es tut mir leid, Anna«, entschuldigte sich meine Mutter kleinlaut. »Ich wollte doch nur, dass du keinen Ärger wegen dieser Frist bekommst. War vielleicht doch keine so gute Idee, oder?«, fügte sie beschämt hinzu.

      »Nein, Mama, war es wirklich nicht«, sagte ich leicht verärgert, »aber jetzt ist es sowieso zu spät. Mach dir keine Vorwürfe, er wird schon nicht gleich persönlich vor der Tür stehen. Du hast ihm aber hoffentlich nicht erzählt, dass ich ein riesiges Haus geerbt habe, oder? Mama?«

      »Nein, natürlich nicht, was denkst du von mir. Ich habe ihm lediglich erzählt, dass du auf Sylt wohnst und es dir sehr gut geht. Und, dass du einen sehr netten Freund hast. Das ist schließlich kein Geheimnis, oder? Das konnte ich doch ruhig erzählen.«

      »Nein, natürlich ist es kein Geheimnis, aber mehr muss er nicht wissen.« Ich seufzte. »Dann kann ich mich wohl darauf einstellen, dass ich demnächst Post von Marcus bekomme. Also, Mama, dann grüß mal Papa von uns und bis bald«, sagte ich und blickte in Richtung der Treppe, die Nick in diesem Moment herunterkam.

      Einige der alten Holzstufen knarrten, wenn man sie betrat. Nick hatte seine Polizeiuniform gegen Freizeitkleidung getauscht und war frisch geduscht. Er zog fragend die Augenbrauen hoch, als er mich mit dem Hörer am Ohr sah. Aber ich winkte nur beruhigend ab und schüttelte leicht den Kopf.

      »Ja, mein Kind. Grüße auch an Nick und Pepper natürlich. Marcus wird schon nichts Unangenehmes schicken. Mach dir nicht so viele Gedanken.«

      Mit diesen Worten legte meine Mutter auf. Ich atmete schwerfällig aus.

      »Was ist los?«, wollte Nick wissen und kam auf mich zu. »Ist etwas passiert?«

      »Ach, das war meine Mutter. Sie hatte heute einen Anruf von Marcus. Du weißt, mein Exfreund. Sie hat ihm dummerweise unsere Adresse gegeben, weil er angeblich dringend eine Unterschrift in einer Versicherungsangelegenheit von mir benötigt. Keine Ahnung, worum es geht«, erwiderte ich und legte meine Arme um seinen Hals.

      Er roch betörend gut nach seinem Duschgel, und sein fast schwarzes Haar war noch nass.

      »Versicherung?«, betonte Nick misstrauisch.

      »Warten wir es ab. Ich laufe

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