Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit?. Mirjam Mous
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Er vergisst sein Publikum. »Welche Nachrichten?«
Ich halte ihm mein Camphone unter die Nase. »Die.«
»Die sind nicht von mir«, sagt er.
Ich schnaube.
»Guck selbst nach!« Er reicht mir sein Camphone.
Ich checke alle versendeten Nachrichten. Keine einzige ist an mich gerichtet.
»Hast du sie gelöscht?«, frage ich, nicht mehr ganz so sicher.
Er stöhnt. »Bist du paranoid, oder was? Du siehst doch, dass ich eine ganz andere Nummer habe.«
Ich kapiere gar nichts mehr. Wenn er nicht Mo ist, wer dann?
»Sorry«, murmele ich und gebe ihm sein Camphone zurück. »Hab ich mich wohl getäuscht.«
»Kein Problem«, sagt Xavi.
Idiotin, kann ich ihn denken sehen.
Während er sich von mir entfernt, pingt mein Gerät.
Wieder eine Nachricht von Mo: Sagte ich doch.
Holden
Ich habe mein Camphone auf eine Packung Klopapierrollen gelegt, gestützt von einer Streichholzschachtel, damit der Lichtstrahl schräg nach oben weist und ein Regal beleuchtet.
Zum ersten Mal steigt ein Fünkchen Hoffnung in mir auf. Der Boden ist leer. Die Matratze lehnt jetzt an der Wand. Ich muss nur noch das Regal unter die Öffnung in der Decke schieben und auf das oberste Brett klettern. Dort oben, so viel näher an der Außenwelt, habe ich bestimmt wieder Empfang. Vielleicht erreiche ich sogar den Rand des Lochs, kann mich hochziehen und hinausklettern.
Das glaubst du wohl selbst nicht, höre ich Papa sagen.
Ja, ich weiß, dass er tot ist. Und nein, ich bin nicht verrückt – auf jeden Fall nicht verrückter als die meisten Leute, auch wenn sie das in der Klinik von mir denken. Trotzdem höre ich Pa noch manchmal in meinem Kopf und dann rede ich in Gedanken mit ihm – wie manche Leute mit Gott oder Allah sprechen. Nur dass die nie zu einem Psychiater geschickt werden …
Ich hole tief Luft. Dann schraube ich meine Hände fest um die Regalstützen und zerre mit aller Kraft daran.
Mistding! Es bewegt sich keinen Millimeter.
Ich fege die Konservendosen runter, damit es leichter wird. Mit viel Getöse fallen sie zu Boden – bis auf eine blöde Büchse, die unbedingt auf meinem rechten Schuh landen muss.
Del Monte, 415 Gramm halbe Birnen im eigenen Saft.
Es fühlt sich so an, als hätte ein Hammer meinen großen Zeh geplättet. Ich denke an Doktor Wendy. An einem Nachmittag hat sie mich hundert Stressflaschen zerschlagen lassen, während ich auf alles und jeden fluchen durfte wie ein Kutscher.
»Scheißbirnen in fucking schwerem Saft!« Ich raffe die Dose auf und schmettere sie gegen die Wand.
Es hilft nicht die Bohne. Ich komme mir höchstens lächerlich vor.
Während ich mir große Mühe gebe, meinen pochenden großen Zeh zu ignorieren, umarme ich das Regal von der Seite. Ich schlinge die Arme um die beiden Stützen und verflechte meine Finger.
Ziehen.
Keine Bewegung.
Ich beuge mich mit vollem Gewicht hintenüber, aber das Ding ist wie festgeklebt. Um besser sehen zu können, nehme ich mein Camphone dazu.
Es ist noch schlimmer. Die Regalfüße stehen in einer Art Betonbett.
Meine Hoffnung schrumpft wie brennendes Papier. Welcher Idiot hat sich das ausgedacht? Jemand mit einer Phobie vor umfallenden Regalen? Derjenige braucht eine Therapie viel dringender als ich.
Der Schmerz in meiner Hüfte und in den Fußgelenken lodert wieder auf und plötzlich bin ich todmüde. Mit der Schuhkante schubse ich vorsichtig ein paar Dosen zur Seite, damit ich die Matratze wieder auf den Boden fallen lassen kann. Noch immer keuchend, setze ich mich hin, den Schlafsack als Kissen im Rücken.
Was soll ich denn jetzt machen?
Eine riesige Welle Selbstmitleid steigt in mir auf.
Stell dich nicht so an, sagt Pa. Das willst du doch? Abenteuer erleben?
Ich rolle die nächstliegende Konserve zu mir und betrachte das Etikett. Ananasscheiben. Echtes Essen. Wenn ich sowieso nicht mehr wegkann …
Mein Finger hat sich schon unter den Ring gezwängt. Ich ziehe den Deckel hoch.
Gelbliche Früchte in trübem Wasser mit einem überwältigend süßen Duft. Ich fange vorsichtig an und schlecke daran wie eine Katze. Die Flüssigkeit reizt meine Zunge und schreit meinem Hirn augenblicklich zu: Mehr! Gierig schöpfe ich die Scheiben aus der Dose und stopfe sie mir in den Mund. Die Ananas ist schlaff und weich und zerfällt. Meine Hände werden klebrig und der Saft tropft mir übers Kinn. Es ist mir egal. Ich esse und trinke, bis die Dose komplett leer ist.
Schon nach wenigen Minuten bereue ich es. Mein Bauch fühlt sich ekelhaft geschwollen an und ich sterbe vor Durst. Hoffentlich habe ich mich nicht vergiftet! Diese Konserven sind steinalt. Nervös checke ich mein ID-Bändchen, aber das gibt glücklicherweise weder einen Alarm von sich noch ungebetenen medizinischen Rat.
Ich drücke mich hoch und nehme eine Flasche Wasser, um den Kleb von Gesicht und Fingern zu spülen. Dann lasse ich mich wieder auf die Matratze fallen und trockne mir die Hände an der Hose ab. Wie lange kann man Wasser wohl aufbewahren?
In einem verlassenen Schutzkeller todkrank werden ist echt ein furchtbar schlechter Plan, mischt Pa sich ein.
Bei lebendigem Leib verbrennen auch.
Ich mache mir nicht die Mühe, das Haltbarkeitsdatum zu checken. Das hat dieses Wasser sowieso längst überschritten, genau wie alle anderen Sachen in diesem Keller. Ich trinke einen kräftigen Schluck. Es schmeckt normal, höchstens ein wenig muffig. Bevor es mir bewusst ist, trinke ich die halbe Flasche leer und rülpse – das können Eichhörnchen übrigens nicht!
So, das erleichtert. Jetzt noch den drückenden Hosenbund …
Während ich den obersten Knopf öffne, schlägt mein ID-Bändchen doch noch Alarm.
Rote Buchstaben leuchten auf. Therapie in fünf Minuten.
Ist das alles? Einen kurzen Moment hatte ich Angst, ich müsste wie Pa den Löffel abgeben.
Was nicht ist, kann noch werden, sagt seine Stimme in meinem Kopf.
Die grenzenlose Müdigkeit von eben überfällt mich wieder. Wer weiß, vielleicht kann ich nie wieder zu Doktor Wendy. Nie mehr zu wem auch immer. Und wie soll es dann mit Ma weitergehen?
Ich lege mich hin, ziehe den Schlafsack über mich und stelle mir vor, dass