Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit?. Mirjam Mous

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Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit? - Mirjam Mous Data Leaks

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Morgen an die Badezimmertür bollerte, rief ich ihr zu, sie sollte sich verpissen.

      Die epischen letzten Worte eines Dummkopfes.

      Offenbar bin ich kurz eingenickt.

      Nicht kurz, sondern länger als eine Stunde, wenn ich meinem ID-Bändchen glauben darf.

      Mein Bauch tut nicht mehr weh. Ich schlage den Schlafsack zur Seite und starre zur Decke hinauf.

      Die Wände rundum sind glatt und hoch, selbst mit Steigeisen und Seilen wäre das Hochklettern ein schweres Stück Arbeit.

      Vielleicht hing dort früher mal eine Strickleiter? Oder da hat eine Leiter gestanden, die nach all den Jahren verrottet ist? Aber wo sind dann deren Überreste? Das einzige Holz, das hier liegt, sind die verrotteten Bretter, durch die ich gebrochen bin und …

      Ich federe auf. Vielleicht ist das ja gar nicht der Ausgang!

      Im Licht meines Camphones zwänge ich mich hastig durch die hohen Regale. Habe ich etwas übersehen? Eine in die Felsen gehauene Treppe mit einer Geheimluke oder Stangen in der Wand, über die man hochklettern kann?

      Dort! Ich muss schon dreimal daran vorbeigelaufen sein, aber erst jetzt fällt es mir auf. Da hängt eine Art Plane. Sie hat die Farbe der Felswand, wodurch sie kaum auf‌fällt.

      Ich wünsche mir eine Treppe, eine Tür, einen Ausgang – ich schiebe die Plane zur Seite …

      Ein Tunnel!

      Dann erlischt plötzlich die Taschenlampe an meinem Camphone und es wird pechschwarz.

      Prissy

      Sobald ich zu Hause bin, clicke ich meinen Freundinnen: Camchat. Jetzt!

      Aber auch sie kennen niemanden namens Mo oder Mateo.

      »Ein seltener Fall von Cyberstalking«, sagt Anna.

      »Vielleicht ist es ja ein Pädophiler«, sagt Flow. »Die gibt es wirklich immer noch! Ich würde ihn anzeigen.«

      »Und wenn die Ordnungskräfte dann mein Camphone untersuchen wollen?«, protestiere ich. »Dann bin ich tagelang ohne.«

      »Meinst du echt?« Flow ist fast im Schockzustand. »Eher würde ich mir den kleinen Finger amputieren lassen!«

      »Mach es lieber, Pris«, sagt die vernünf‌tige Anna. Sie nestelt an einem ihrer hundert Ohrringe. »Deine Nummer hat er schon. Wer weiß, vielleicht entdeckt er ja auch noch, wo du wohnst, und dann wirst du ihn nie wieder los.«

      Brooklyn hat ihr Telefon aufs Waschbecken gelegt, damit sie ihren Lidschatten nacharbeiten kann; ich sehe sie nur noch von unten. Sie vermittelt mir das Gefühl, vollkommen unwichtig zu sein, und das kann ich nicht ausstehen.

      »Was meinst du?«, frage ich.

      Ihre Hand mit dem Applikator bleibt einen Augenblick in der Luft hängen.

      »Sofort blockieren, diesen Widerling.«

      »Was für eine gute Idee!«, ruft Flow, als hätte Brooklyn gerade eine neue Modelinie erfunden.

      »Das schon, aber …« Ich verschlucke den Rest meiner Worte. Sie würden es sowieso nicht kapieren.

      »Aber was?«, fragt Flow.

      »Nichts«, sage ich mit einem Kopfschütteln zum Display. »Danke, Mädels.«

      Ich beende den Chat und setze mich mit meinem Camphone aufs Bett. Wenn ich Mo blockiere, gibt es keinen Weg mehr zurück. Dann wird er für immer und ewig ein Mysterium bleiben.

      Ich hasse ungeklärte Mysterien.

      Mein Gerät verschwindet irgendwo in den Kissenstapeln hinter meinem Rücken. Die Bezüge haben Fransen, was jeder bei mir zu Hause lächerlich findet, aber Vloggerin Reese sagt, Kissenbezüge mit Fransen sind absolut hot, und sie weiß, wovon sie spricht. Also.

      Auf der Ablage unter meinem Spiegel lugt die Schachtel mit den Surprise-Yummys hervor, die ich gestern bekommen habe. »Mit Supergrüßen von Supershoot«, hatte der Kurier gesagt. Offenbar bin ich schon fünf Jahre dabei oder so. Oder sie finden meine Camfies einfach klasse.

      Ich nehme ein Yummy und kuschele mich wieder in die Kissen, während ich den 3-D-Projektor einschalte. Ein leises Summen füllt den Raum und dann spaziert Reese aus meiner Zimmerwand.

      »Hi!« Sie winkt mit beiden Händen und lächelt. »Schön, dass du mir wieder zuschaust. Heute reden wir über Happy Day.«

      Ich habe das Gefühl, ihr Lächeln ist nur für mich bestimmt.

      »Schwarze Kleider sind nichts für ein Fest«, sagt sie. »Hebt die mal lieber für die Beerdigung eurer Tante auf.«

      Düstere Musik ertönt.

      Ich denke an mein funkelnagelneues Eisköniginnenkleid. Ein weißes, zum Glück! Mit einer silbernen Tiara voller künstlicher Diamanten. Mama hatte es auf der Schnäppchenseite gefunden und laut Anprobe-App stand es mir fantastisch. Also haben wir es sofort bestellt.

      »Das Eisköniginnenkleid, das im letzten Jahr der große Hit war?« Reese bewegt ihren Zeigefinger hin und her. »Schön im Schrank lassen. Das geht gar nicht mehr.«

      Das gerade noch so großartig schmeckende Yummy wird plötzlich sauer.

      »Weiße Kleidung ist sowieso out.« Reese beugt sich vor und vertraut mir flüsternd an: »Und sehr empfindlich. Dabei kann doch gerade an Happy Day so viel schiefgehen. Jemand drückt dich aus Versehen gegen eine dreckige Wand oder du verschmierst dein Make-up. Auf einem weißen Outfit ist jedes Fleckchen wie ein Ausrufezeichen. Und dann sind alle Camfies mit dir für die Tonne!«

      Bei der Vorstellung allein wird mir schon übel.

      »Ich entscheide mich daher für …« Sobald Reese mit den Fingern schnipst, entrollt sich ein Banner von Colourcompany. »… die farbenfrohe Kollektion von …«

      Ein leises Klopfen. Meine Tür wird aufgeschoben und Mamas Kopf erscheint in der Öffnung. »Hast du eine Ahnung, wo Holden steckt?«

      »Woher soll ich das denn wissen?« Mit einem Auge schaue ich zu Mama, mit dem anderen zu Reese.

      »Jetzt bestellen und dein Kostüm kommt noch heute.«

      Ich muss Mama unbedingt rumkriegen!

      »Die Klinik hat angerufen, er ist dort nicht aufgetaucht.«

      Mama kommt ins Zimmer und hebt eine meiner herumliegenden Sandalen auf. »Es wird ihm doch nichts passiert sein?«

      Da haben wir es wieder. Auf einer Skala von eins bis zehn für Besorgtheit würde Mama eine Elf schaf‌fen. Für unglaublich nerviges Verhalten übrigens auch. Sie wischt durch die Luft und Reese verschwindet abrupt.

      »Ja, hallo!«, rufe ich wütend.

      »Sonst hörst du mir nicht zu.«

      »Tu ich doch. Aber

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