Der Mörder. Georges Simenon
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Mörder - Georges Simenon страница 3
»Hier, Peter! …«
Um ein Haar hätte er dem Steward zehn Gulden gegeben. Doch es fiel ihm ein, dass man darüber reden würde. Er gab ihm nur einen, und das war zehnmal das dobbeltje vom normalen Trinkgeld.
Der Rest der Strecke von Stavoren nach Sneek war noch besser voraussehbar. Zwei Abteile erster Klasse. Er hatte immer ein Abteil für sich allein. Man kannte ihn. Es war so gut wie reserviert.
Er ging von Bord, überquerte die Gleise und bestieg sein Abteil, das Raucherabteil, denn er rauchte Pfeife.
»Guten Abend, Herr Kuperus …«
Kuperus fuhr seit Jahren mit solcher Regelmäßigkeit auf dieser Strecke, dass der Beamte fälschlicherweise annehmen musste, es sei Mittwoch und nicht Dienstag.
Die Stationen wurden ausgerufen:
»Hindeloopen! …«
Dann:
»Workum! …«
Was der Mann so aussprach: Woooorekum …
Schließlich Sneek mit seinem stillen, sauberen und freundlichen Bahnhof, von wo er gewöhnlich den Weg zum Marktplatz einschlug. Zu dieser Stunde war dort alles dunkel, bis auf die Fenster des Cafés Onder de Linden.
Der Sitz der Billardakademie! Auf dem Heimweg ging er immer dort vorbei. Er trank ein letztes Bier. Er wurde gefragt:
»Was gibt’s Neues in Amsterdam?«
Und er berichtete von den Neuigkeiten, die er gerade in der letzten Ausgabe des Telegraaf gelesen hatte …
Ein Zufall warf alles über den Haufen. Hindeloopen und Workum wurden wie üblich durchfahren. Ein paar Minuten vor der Ankunft in Sneek musste der Zug aber wegen etwas Unvorhergesehenem die Fahrt verlangsamen und sogar ganz anhalten.
Es war so viel Reif auf den Scheiben, dass Kuperus nicht nach draußen schauen konnte. Er öffnete die Tür, sah den Schornstein einer Käserei und ein Netz halb zugefrorener Kanäle, und er wusste, wo er war.
Bis zu Schutters Bungalow waren es nicht einmal fünfhundert Meter.
Er überlegte nicht. Er nahm seine Mappe – eine automatische Geste, die er auch unter den dramatischsten Umständen nicht unterlassen hätte. Er stieg aus, rutschte die Böschung hinunter und kam unten an, während der Zug wieder anfuhr.
Über den weiteren Verlauf der Ereignisse zu sprechen ist fast unmöglich. Doktor Kuperus hatte beschlossen, alles zu Ende zu bringen. Es war so gut wie zu Ende. Zu Ende für alle drei, für Schutter (der mit Vornamen Cornelius hieß), für Alice (die den Namen Kuperus trug) und für Hans Kuperus selbst.
Der Beweis war der Revolver, der ganz kalt, als wäre er aus Eis, in seiner Tasche lag. Es ging nicht um einen flüchtigen Gedanken. Er hatte ein Jahr lang überlegt. Er wusste, was er tat.
Rings um ihn Schnee und Schatten, die von den größtenteils stillgelegten Kanälen kamen. Ein Licht in der Dunkelheit, das einzige, das Licht von Schutters Bungalow.
Er war also da! Es war also alles gewissermaßen im voraus beendet.
Nachdem der Zug, roten Feuerschein in den Himmel speiend, verschwunden war, marschierte er los. Er war nun nicht mehr weit vom Haus entfernt und ging behutsamer weiter, damit der hartgefrorene Schnee, der hier viel dicker lag als in Amsterdam, nicht knirschte.
Es war so kalt, dass er sich fragte, ob sein Zeigefinger nicht zu klamm wäre, um den Abzug durchzudrücken.
Die Stadt war weit weg: Ihre Lichter verwandelten sich in der Luft in einen gelblichen Lichthof.
Schutter brüstete sich damit, dass er alle Frauen haben konnte! Alice gehörte auch dazu! Alice kam in den Bungalow wie die anderen!
Er konnte sich mühelos davon überzeugen. Man vertraute so sehr auf die einsame Lage, dass man es nicht für nötig hielt, die Jalousien zu schließen.
Kuperus näherte sich geräuschlos, drückte die Stirn an die Scheibe und erblickte seine Frau im Unterrock. Sie trank etwas, während Schutter seine Krawatte band.
Es war ein hübscher Raum. Kein Schlafzimmer, sondern eine Art Atelier mit Fotos von Schutter. Schutter in allen Ländern der Welt und in allen Aufmachungen. Auf einem Tisch Gläser mit Likör.
Alice zog sich wieder an, als habe sie sich dort schon immer angezogen! Sie redete! Er hörte nicht, was sie sagte. Er sah nur die Personen. Der Mann rauchte eine von jenen Zigaretten, die er sich direkt aus Ägypten kommen ließ, womit er gerne prahlte, und die doch nicht besser waren als gewöhnliche holländische Zigaretten.
Die Mappe unterm Arm war ihm lästig, aber Kuperus ließ sie nicht los. Er spürte, dass er sie jetzt nicht loslassen durfte. Er musste ganz und gar er selbst bleiben.
Was sagten sie? Sie plauderten einfach miteinander, ohne Koketterie, wie ein altes Liebespaar. Vor dem Spiegel, der ihr vertraut zu sein schien, legte sie ein wenig Puder auf.
Sie musste ihrem Partner Vorwürfe machen, vielleicht eine Eifersuchtsszene, denn ein bitterer Zug trat auf ihr Gesicht und ein mattes Lächeln auf das des Mannes.
Er steckte seine Perle an seine Krawatte. Er hätte es für entwürdigend gehalten, keine Perle zu tragen.
»Das Geschenk eines Maharadschas …«, hatte er in der Billardakademie gesagt.
Die Bewegungen beschleunigten sich. Alice wollte offensichtlich gehen. Beide gingen auf die Tür zu. Kuperus fror. Er hatte den Handschuh von seiner rechten Hand gezogen, und diese Hand war steif gefroren.
Finsternis. Alle Lampen auf einmal ausgeschaltet. Die Tür, die Schutter sorgfältig wie ein Kleinbürger verschloss, während seine Begleiterin wartete …
War das vielleicht der richtige Moment?
Obwohl er den Finger am Abzug hatte, schoss der Doktor nicht.
Und das Paar ging weg, betrat den Treidelpfad, der seit langem nicht mehr benutzt wurde, denn er führte an einem von Röhricht überwucherten Kanal entlang, auf dem keine Schiffe mehr verkehrten.
Sie gingen untergehakt … Mondschimmer am Himmel …
Kuperus ging hinter ihnen her, holte auf …
Er schoss noch immer nicht. Sein Zeigefinger klebte an dem eiskalten Stahl. Vielleicht hatte er sich schon zu lange mit diesem Gedanken beschäftigt und sich auf alles eingestellt?
Denn er hatte sich darauf vorbereitet, in den Bungalow hineinzugehen, sogar eine Ansprache zu halten …
Zwei Schatten bewegten sich vor ihm … Er war zehn Meter von ihnen entfernt … Es war Alice, die alles Weitere auslöste, die stehen blieb und sich voller Unruhe umwandte. Und um sie zu beruhigen, drehte sich der andere ebenfalls um.
Da schoss Kuperus … Einmal … Zweimal … Noch einmal, weil Schutter nicht ganz hingestürzt, sondern nur in die Knie gesunken war.