Der Mörder. Georges Simenon
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Sein Herz klopfte, in der Brust spürte er die Beklemmung, vor der er sich so sehr fürchtete, und er musste mehrere Minuten regungslos bei ihnen verharren, die Hand auf die linke Brustseite gepresst.
Um sich umzubringen, hätte er ein neues Magazin einlegen müssen.
Und dann? …
Ein Gedanke herrschte vor: Schutter war tot!
Ein anderer hatte sich dazwischengedrängt: Wenn Schutter nun tot war, war es dann noch notwendig, dass er selbst auch starb?
Die beiden Leichen lagen nicht weiter als einen Meter vom Schilf des Kanals entfernt. Der Mond war hervorgekommen und strahlte so hell, wie er nur in eisigen Winternächten strahlen kann.
Kuperus atmete mehrmals tief durch, warf seinen Revolver ins Wasser und bereute es sogleich, denn er hatte ihn nicht weit genug geworfen.
Und wenn schon!
Er sah auf die Uhr. Er hatte genug Zeit, um …
Er brauchte nur die beiden Leichen hineinzustoßen. Alice atmete nicht mehr. Sie schien die Augen geschlossen zu haben, vielleicht sah es im Mondlicht auch nur so aus.
Er machte sich ans Werk, damit er es bald hinter sich hatte, und er kicherte beim Gedanken an die Akademie … Und bevor Schutter im Wasser war, zog er ihm die Brieftasche heraus.
Er war betrunken, nach allem, was er getrunken und getan hatte. Doch statt ihn übermäßig zu erregen, flößte ihm die Trunkenheit eine unerwartete Ruhe ein.
Zum Beispiel warf er im Vorübergehen die Brieftasche in einen anderen Kanal, der noch älter und verkommener war als der erste, und er war umsichtig genug, einen Stein in die Brieftasche zu stecken.
Er hatte nur einen Gedanken: Sich ins Café Onder de Linden zu begeben, wo sicher noch vier oder fünf Gäste Billard spielten. Er würde etwas trinken. Er hatte Durst. Er stellte sich ein gewaltiges Bierglas vor, das die Form eines Champagnerkelches hatte.
Er durchquerte einen Außenbezirk. Er dachte nicht an die Zukunft, nicht einmal an den nächsten Tag.
Dann fiel ihm die Fahrkarte ein, die er am Bahnhof von Sneek nicht abgegeben hatte. Das war ihm schon früher passiert. Man wusste so genau, wer aus diesem Zug steigen würde, dass der Beamte manchmal gar nicht auf seinem Posten war; oder aber Kuperus verließ den Bahnhof durch das Restaurant, um keinen Umweg machen zu müssen.
Er aß die Fahrkarte auf!
Er war vollkommen betrunken. Er hätte sich auf der Erde wälzen können. Oder vor Freude schreien. Oder weinen.
Was ihn in die Wirklichkeit zurückrief, war der Rathausplatz mit Schutters Haus und, weiter hinten, den fahlen Lichtern des Onder de Linden.
Er sah auf die Uhr. Er war kaum eine Viertelstunde später dran, als wenn er direkt vom Zug gekommen wäre.
Unter einer Gaslaterne sah er auf seine Hände. Weil Schnee lag, waren sie sauber geblieben.
Er trat ein. Er wusste, welche Atmosphäre von Wärme und Behaglichkeit ihm entgegenschlagen würde. Er wusste, dass der Kellner, der alte Jef, der schon seit dreißig Jahren da war, herbeieilen würde.
»Guten Abend, Herr Doktor.«
»Guten Abend, Jef. Sind die Herren noch da?«
Noch so eine Tradition! Er hörte die Kugeln rollen und aufeinander prallen, aber er fragte stets:
»Sind die Herren noch da?«
Worauf Jef jeweils erwiderte:
»Schönes Wetter in Amsterdam?«
»Es geht nichts über unser Friesland«, hatte er darauf zu antworten.
Und er tat es. Alle Riten wurden eingehalten, wozu auch sein Eintreten in den Billardsaal gehörte, und zwar auf Zehenspitzen, weil der Architekt, in Hemdsärmeln, gerade eine Karambolage vorbereitete.
Stummes Händeschütteln mit den anderen Spielern. Die Karambolage gelang.
»Was macht Amsterdam?«
»So weit gut! Die Kanäle dort sind nicht einmal zugefroren …«
Er erkundigte sich nach dem Spielstand, während er den beiden am Billardtisch stehenden Schiedsrichtern zusah.
»Zählt die Partie für die Meisterschaft?«
»Aber sicher!«
»Ich werde mich ebenfalls anmelden müssen!«, verkündete er.
Er hatte noch nie an einer Meisterschaft teilgenommen. Es war ins Blaue hineingeredet. Er wollte irgendetwas sagen, und es drängte ihn hinzuzufügen:
»Das nächste Mal werde ich mich ernsthaft um den Vorsitz bemühen …«
An einer der Säulen aus dunklem Eichenholz hing die eingerahmte Tafel mit Schutters Namen in Rot und den anderen in Schwarz. Sie waren nur zu fünft in diesem behaglichen, mit polierten Möbeln und tiefen Sesseln eingerichteten Café, wo der Schaum an den Gläsern auf die Bierdeckel hinunterrann.
Pflichtgemäß hatte man ihm sein Bier gebracht, in einem großen Kelch wie dem, von dem er gerade geträumt hatte; er trank ihn in einem Zug aus und murmelte:
»Noch einen …«
»Keine Neuigkeiten?«, fragte er abermals mechanisch.
»Keine …«
Er hatte seine Mappe auf einem Tisch abgelegt. Normalerweise blieb er eine Viertelstunde, bevor er nach Hause ging, in der nahen Straße am alten Kanal.
Vom Kino nebenan war leise Musik zu hören; man hatte deswegen eine Eingabe verfasst, denn sie störte manche Spieler.
Plötzlich lächelte Kuperus in sich hinein. Ihm fiel ein, dass niemand sich darüber gewundert hatte, ihn an einem Dienstag statt am Mittwoch zu sehen. Denn am ersten Dienstag im Monat konnte er ja gar nicht hier sein!
Er hatte sie hinters Licht geführt! Man hatte ihn gesehen und dabei gedacht:
›Mittwoch!‹
Er trank das zweite Glas und verlangte einen Genever.
»Ich habe Neuralgien …«, rechtfertigte er sich.
Warum sich in die grausame Wirklichkeit zurückstoßen lassen? Es war besser, sich vorzustellen, dass er gleich nach Hause zurückkehren und seine Frau dort nicht antreffen würde. Das Dienstmädchen Neel würde ihm aufmachen.
Im Nachthemd! Das war fast sicher, denn da sie ihn nicht erwartete, hatte sie sich um diese Zeit längst hingelegt.
Er hatte sie schon im Nachthemd gesehen. Angefasst hatte er sie noch nie, wegen der möglichen Komplikationen …
Aber jetzt?
Vielleicht am nächsten,