68er Student. Torsten Ewert
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„Wer bist du?”
„Der Unbekannte.”
Ein Duell mit Todesserenade folgte. Der Gewalttätige wurde vernichtet.
Die noch blendende Abendsonne nach dem Dunkel des Kinos irritierte Peters Augen kurzfristig, ebenso der Duft aus Achingers Erbseneintopfpalast seine Nase. Hier wurden auch Verlierer gesättigt, wenn diese bei einem Glas Bier die kostenlos angebotenen Brötchen essen durften.
Peter schlenderte die Kantstraße entlang. Linkerhand entdeckte er einen Laden von Beate Uhse, der Gründerin des ersten Sexshop der Welt. Ein Blick in die Auslagen genügte; es fehlte ein Liebesobjekt zum Ausprobieren der angebotenen Utensilien. Am Savignyplatz lagen einige größere Lokale. Peter suchte jedoch nach einer Alltagskneipe, die Stammgäste umsorgte, bog in die Schlüterstraße ab und entdeckte auf der linken Seite das Wirtshaus Wuppke. Zwei große Fenster jeweils neben der Eingangstür gestatteten einen Einblick. Hinter dem linken Fenster war eine gut besetzte Theke zu sehen, rechts ein bebilderter Raum, dessen dunkle Holzvertäfelung und das Holzmobiliar einen urigen Eindruck vermittelten.
Eine Kultkneipe fand Peter, trat ohne zu zögern ein, kletterte auf den nächstbesten Barhocker und schaute sich um. Ein gemischtes, im Wesentlichen mit sich beschäftigtes, Publikum war anwesend. Ein kleiner zerknitterter Mann, der neben ihm thronte, nahm ihn in Augenschein. Mit Paul stellte er sich sofort vor, und auf Geselligkeit bedacht orderte er ungefragt zwei Bier und schlug Peter unverblümt vor, mit ihm zum Stutti, der Rotlichtidylle am Stuttgarter Platz, zu gehen. Im 77 Sunset Strip gäbe es die schönsten Mädchen. Hinter seinen verstaubten Brillengläsern funkelten zwei kleine Irrlichter.
„Komm mit, ich zahle. Habe heute meinen Wochenlohn bekommen, der kann draufgehen. Ich brauche ansonsten kein Geld, bin festangestellter Heizer in einer Dahlemer Villa, wohne im Keller und habe Kost und Logis frei.”
Peter war an eine Kellerassel geraten, die sich herausgewagt hatte, nach weiblicher Zuwendung gierte, nach heller Haut und fülligem Fleisch. Aber so wie er aussah, war die Hoffnung, geküsst zu werden, unwahrscheinlich und damit auch die Hoffnung dahin, dass aus ihm ein Prinz werden könne. Aber das schien ihm egal, sein Geld als Opfergabe gab ihm die Zuversicht auf weibliche Zuwendung.
„Sachte Kumpel, bleib auf dem Teppich. Putz deine Brille, geh zu einer Frisörin, unterhalte dich dort, wenn du herausgeputzt wirst. Vielleicht interessiert sich eine für dich. So wie du jetzt daherkommst, ist eine Kohlenzange zu schade, um dich damit anzufassen.”
Doch Paul, unbelehrbar, war entschlossen.
„Heute will ich den Anblick der Bardamen genießen. Um diese frühe Zeit widmen sie sich mir noch fast ausschließlich, ich weiß das. Du lässt dir etwas entgehen, und gleichzeitig können wir Freundschaft schließen.”
Peter wehrte ab. „Alles schön und gut, aber mir ist nicht daran gelegen zu sehen, wie du dein Geld verschleuderst. Aber sieh dich nur an üppigen Brüsten und strammen Schenkeln satt, ohne sie betatschen zu dürfen, träume den Rest der Woche davon, damit du im Heizungskeller überleben kannst, der dir die Kraft geraubt hat, an Alltagstagen deinen Mann zu stehen. Ein erster, besserer Versuch wäre es, mit der adretten Thekenbedienung hier zu plaudern, die auch sehr adrett ist und fast jeden Tag ansprechbar.”
Peters Bemühungen Paul zu dessen Vorteil zu bewegen, verliefen im Sande. Dieser glitt nach einem weiteren Bier vom Hocker, machte eine wegwerfende Handbewegung und folgte seiner triebhaften Begehrlichkeit. Wie die Sternschnuppe auch würde sein Geld verglühen und mit ihr sein Wunsch, geliebt zu werden. Was ihm blieb, war die Einsamkeit seines Kellerverschlages, bis der neue Wochenlohn ihn wieder ins Freie spuckte.
Zwei neu eingetretene junge Frauen hinter und neben Peter blickten sich unsicher um, reckten die Hälse, erkundigten sich bei ihm: „Gibt es hier etwas zu essen?”
Er wusste es nicht, erkundigte sich, eine Schiefertafel wurde ihm gereicht, das Angebot vermerkte Bouletten, Bockwurst und mit Käse überbackene Zwiebelsuppe, letztere als Spezialität des Hauses angepriesen. Diese Empfehlung kam an, auch Peter bestellte, durfte sich zu ihnen setzen.
Claudia und Rosi hießen die beiden. Gemeinsam löffelten sie ihre heißen Suppen, kamen ins Gespräch miteinander. Rosi mit unbändigem Kraushaar, offenem, energiegeladenem Gesicht, lachte, gestikulierte viel und sprudelte aus sich heraus. Sie studierte Geschichte, las marxistische Literatur und schwärmte von Rosa Luxemburg. Revolutionäres Rot überzog ihre Wangen, bildete den Kontrast zum makellosen Weiß der Zähne. Eifrig schüttelte sie ihre Haarpracht, nickte heftig beim Sprechen.
„Rosa wurde von soldatischen Reaktionären erschossen und in den Landwehrkanal geworfen. Ein trauriges Schicksal, und wir sollten ihrer gedenken, eine Hommage für die Herausragende vollbringen, eine Blume am Ort ihrer Vernichtung opfern.” Peter gab sich pathetisch.
Rosi schwieg augenblicklich beim Gedanken an das gruselige Ende ihres Idols. Eine unvorhergesehene Schweigeminute folgte. Dann rief Rosi hingerissen und begeistert dazu auf, an den Ort aufzubrechen, und zwar sofort.
„Du weißt wo?”
Doch Claudia, ein fransiger Kurzhaarschopf mit ernster Miene, funkte dazwischen: „Nichts da, heute keine obskuren Abenteuer mit Erinnerung an Grausamkeit und Mord, du hast mir den Abend versprochen.”
Schluss war es mit Peters Absicht, in unseliger Umgebung Held und Beschützer zu werden. Claudia drängte zum Aufbruch.
„Überlegt es euch, vielleicht ein andermal.”
Wehmütig warf Rosi Peter einen letzten Blick zu, der ganz im Widerspruch zu der abwertenden Handgeste von Claudia stand.
Peter nahm die U-Bahn nach Tempelhof. In der heimischen Eckkneipe lehnten zwei angetrunkene Männer am Tresen, echte Proletarier wie aus dem Bilderbuch, für die zu kämpfen sich lohnte. Der eine groß mit dickem Bauch, derbem rotem Gesicht, breiter Nase, lauter, dröhnender Stimme, der andere klein und kräftig, das Gesicht ein zerfurchter Acker. Sie nahmen Peter in Augenschein.
„Keine Frage, du bist ein Student, ein Randalinski.”
„Nein, Schlosser.”
„Dann sag mir, was ein M3 ist?”
„Ein Maschinengewehr.”
„Falsch, zweiter Versuch, du hast keine Ahnung.”
„Ein metrisches Gewinde, 3mm.”
Dem Dicken verschlug es die Sprache.
„Diesmal hat er recht, ich glaub ihm trotzdem nicht. Er sieht aus wie ein Student, aber egal, trinken wir. Eine Runde auf mich!”
Sie verbrüderten sich mit ein paar weiteren Bieren, bis Peter es erachtete, vom Tag ermattet, nach Hause zu gehen.