68er Student. Torsten Ewert
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Der Film verursachte mindestens zwei bis drei Dutzend ärztliche Traumabehandlungen, je nach Schweregrad der zugefügten Verletzungen entweder ambulant oder stationär, aber das nur nebenbei. Die Protagonisten nahmen es in Kauf.
Sofort am nächsten Tag schlug er den Weg zum Bezirkskrankenhaus nach Neukölln ein, die nächstgrößere Klinik, und sprach bei der Oberin vor, einer gestandenen, aber freundlichen Matrone in tadelloser Schwesterntracht und mit weiß gestärktem Häubchen, unter dem die grauen Haare zu einem Dutt verdreht waren. Zwei gütige Augen musterten ihn dabei, wie er unsicher und befangen sein Anliegen vortrug. Ihr Kopfnicken bestärkte ihn darin, ungezwungener zu werden.
„Natürlich, Sie können sofort anfangen. Ich habe auch schon eine interessante Abteilung im Kopf, die Neurochirurgie. Professor Aalhus ist ein sehr netter und freundlicher Chef.”
Peter dachte an den gestrigen Film, sicherlich wäre Aalhus mit seinem Können im Wilden Westen ein brauchbarer Mann gewesen.
„Erscheinen Sie nächsten Montag pünktlich 7 Uhr hier im Büro, für die Einkleidung und um den Vertrag zu unterschreiben. Geld wird nicht gezahlt, Sie sind aber gegen Fehlverhalten versichert.”
Ein ergebendes Nicken. Von ihrem mütterlichen Charme beeindruckt, gelang ihm zum Abschied ein angedeuteter Diener.
Zu Dienstbeginn, nach einigen Anweisungen und zu befolgenden Regeln durch die Oberin belehrt, wurde er Schwester Bärbel von der Männerstation, einer erfahrenen Mitarbeiterin wie die Oberin sie lobte, übergeben, die sich sofort nach seinen pflegerischer Vorerfahrung erkundigte. Dabei musterte sie Peter mit strengen Augen und ernstem Gesicht, geprägt durch jahrelange und verantwortungsvolle Tätigkeit. Sein verneinendes Kopfschütteln wurde kommentarlos hingenommen. Der ihr zugeteilte Anfänger entfachte wenig Begeisterung. Resigniert nahm es Peter zur Kenntnis, er würde schon beweisen, dass er der Arbeit gewachsen war. So schwer konnte es auch nicht sein, Patienten zu waschen, sie zu betten, ihnen Essen zu bringen, sie auf den Topf zu setzen, sie zur Toilette und den Untersuchungen zu begleiten.
Nachdem er sich umgezogen hatte, trottete er Schwester Bärbel, die energisch voranschritt und am Ende eines Flures die Tür zu einem größeren Raum aufstieß, hinterher. Überrascht nahm Peter ein Dutzend halbnackter, bewusstloser Männer zur Kenntnis, alle, sofern nicht durch einen turbanähnlichen Verband verdeckt, mit kahlgeschorenen oder stoppelhaarigen Schädeln und an diversen piepsenden Geräten angeschlossen. Ein intensiver Geruch nach Desinfektionsmitteln lag in der Luft und raubte ihm den Atem. Nein, hier war keine wohlwollende Atmosphäre freundlich lächelnder, dankbarer Patienten, sondern ein wahrhaftiges die Sinne betäubendes Gruselkabinett, das Peter augenblicklich in die Knie zwang. Eine Vorwarnung wäre sicherlich angebracht gewesen. Ein Schwindel bemächtigte sich seiner, die Umgebung versank im Nebel, die Geräusche entrückten in weite Ferne, seine Knie wurden butterweich. Der Türrahmen war die letzte Hilfe.
„Verdammt.”
Nur nichts anmerken lassen, tief durchatmen, keine Schwäche zeigen.
Über seine Leichenblässe, den hier liegenden Patienten ähnlich, wurde kaltblütig hinweggesehen.
„Reine Routinearbeit, wir werden die Patienten neu betten.”
Deren Versorgung erfolgte mit klaren Anweisungen nach einem definierten Protokoll: entblößen, säubern, drehen, säubern, ein neues Stecklaken ausrollen, zudecken.
Eine heftige Hustenattacke erschütterte hin und wieder einen der Bewusstlosen, grüngelber Schleim flog aus der Beatmungskanüle auf die Bettdecke. Auch jetzt brachte Peter seine ganze Kraft auf, um nicht selber zum Patienten zu werden, die Blamage zu vermeiden. Er musste dem Schrecken der Krankheit trotzen.
Nach zwei Stunden hatten sie ihre Arbeit bewältigt.
„Pause, ein Kaffee gefällig?”
Ein wortloses Nicken, dankbar nahm er den dargebotenen Stuhl an.
„Das war schon starker Tobak.”
Die Spannung verflog. Ekel, das wurde ihm bewusst, gehörte zum Beruf. Aber auch später beschlich Peter immer noch ein unangenehmes Gefühl beim Absaugen des eitrigen Schleimes mit dem Schlauch aus den Lungen, häufig durch dessen Fremdkörperreiz begleitet von heftigen, abwehrenden Hustenattacken des Komatösen.
Nach und nach bekundete Schwester Bärbel, mit seiner Arbeit zufrieden zu sein und erlaubte ihm, wenn die Gelegenheit es ergab, bei Operationen zuzuschauen.
Vom glattrasierten Schädel wurde die Kopfschwarte gelöst und beiseite geklappt, im Halbmond Löcher in den Schädelknochen gebohrt und die verbliebenen Knochenbrücken mittels eines eingeführten Sägedrahtes durchtrennt, bis der Schädelknochen entfernt werden konnte. Dann erfolgte der Schnitt durch die harte Hirnhaut, ebenfalls zur Seite geklappt und festgenäht, darunter kamen die weichen Hirnhäute mit den sichtbaren Windungen des Gehirnes zum Vorschein, der Sitz des jetzt ausgeschlossenen menschlichen Geistes.
„Skalpell bitte.” Der operative Eingriff begann. Filigrane, langwierige chirurgische Arbeit.
Zuletzt Verschluss der Hirnöffnung und den Patienten kommen lassen.
Auf der Allgemeinstation zählte zu den pflegerischen Aufgaben, das Messen von Puls und Blutdruck, auch das Abfragen der Patienten nach ihrem Schlaf, dem Appetit und ihrer Verdauung. Besonders ältere Menschen waren übergebührlich auf diese Bedürfnisse fixiert. Das Essen war von der Küche vorgegeben, zum Ein- und Durchschlafen halfen Tabletten, auch für die Verdauung. Aber Letzteres verlangte auch immer mal wieder aktives Handeln und dabei kam es darauf an, bei diesem sorgenträchtigem Thema mit der notwendigen Ernsthaftigkeit vorzugehen und aufmunterndes Lachen zu vermeiden, das als sich lustig machen missverstanden werden konnte. Mit Geschick und entsprechender Würde setzte Peter alsbald Klistiere und beherrschte den erlösenden hohen Schwenkeinlauf, wenn alles andere versagte. In Anerkennung seines Bemühens spendierten die von dieser Arbeit entbundenen Schwestern Kaffee und Kuchen und freuten sich über Peters Eifer. Es war ihm ein Bedürfnis, ihnen in diesem Sinne zu beweisen, wie er ihren, mitunter niedrigsten Bedürfnissen nachkommenden, Beruf schätzte.
Ebenfalls, wenn auch verhalten, ihrer Art entsprechend, aber zunehmend wohlwollender, sprach Schwester Bärbel, von seinem Eifer angetan, ihm Mut zu, bei der Stange zu bleiben und ein guter Arzt zu werden.
„Du solltest Neurochirurg werden, hast geschickte Hände“, nickte sie anerkennend.
„Um den Sitz der Seele zu finden, würde ich es machen. Aber ich glaube, das ist mehr die Aufgabe eines Psychiaters.“
„Egal, auch das traue ich dir zu.“
Peter staunte, tatsächlich, hier war jemand, der ehrlich von ihm überzeugt zu sein schien, ihn bestätigte, der sich gerne seinen Selbstzweifeln hingab. Er spürte plötzlich eine Verbundenheit mit diesem ansonsten so verschlossenen Wesen, und gegen seinen Willen konnte er nicht anders, als Schwester Bärbel beim Abschied zu umarmen. Das Leuchten in ihrem ansonsten so herben Gesicht machte ihn glücklich.
Er fühlte sich auf dem richtigen Weg.
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