68er Student. Torsten Ewert

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68er Student - Torsten Ewert

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in Tempelhof, beziehungsweise seine Unterkunft, befand sich in einem hinfälligen Gebäudekomplex der Firma Rilke, die im Parterre des Vorderhauses ihre Büroräume hatte und gleich darüber im Dachgeschoss über mehrere Wohnkammern verfügte. Hier lebten außer ihm noch Lupo und Schweinebacke, die zur Kernmannschaft des Betriebes gehörten, ein Transportunternehmen mit Fuhrpark im Hinterhof und angeschlossener Autowerkstatt. Letztere war beim Anblick der altersverschlissenen Flotte zweifellos notwendig. Zusätzlich wurden in der Werkshalle alte Autos ausgeschlachtet, deren unbrauchbar gewordene Gerippe auf dem Hof herumlagen, und noch fahrtaugliche Wagen wieder auf Vordermann gebracht. Den Abschluss der Restaurierung bildete eine oberflächliche Lackierung, im betriebseigenen Jargon Händlerlackierung genannt, die dem alten Wagen neuen Glanz verlieh. Für den Verkauf dieser aufgepeppten Wagen war Geschäftsinhaber Rilke zuständig, ein kleiner, dicker und lebhafter Mann, überwiegend in abgetragene Alltagsklamotten gekleidet, stets jovial aufgelegt, mit vertrauensvollem, buschigem Oberlippenbart, listigen Äuglein und vereinnahmendem Lächeln. Immer mal wieder, wenn er im dunklen Anzug erschien, war jedem klar, dass dieser Rosstäuscher einen Gerichtstermin wahrnahm, um in ahnungsloser Unschuld zu bekunden, dass die beklagten Mängel des Autos keinesfalls ihm anzulasten seien, er habe als Händler den Wagen nur weiterverkauft.

      Bronco, der Lacker war für die Lackierungen zuständig, ein uriger, muskulöser Geselle mit aufgezwirbeltem Oberlippenbart und wilder Löwenmähne, der Star der Belegschaft. Raubeinig und lauthals gab er auf dem Hof den Ton an. Im zwielichtigen Milieu Halbstarker, Rocker und leichter Mädchen, wo man auf seine körperliche Unversehrtheit achten musste, suchte er in seiner Freizeit das zumeist sexuelle Abenteuer.

      Da ihm Peter als intelligenter Mensch geeignet erschien, sein Umfeld zu bereichern, lud er ihn zu einer Spritztour in seinem chromblitzenden, rosaroten Cadillac mit ausladenden Heckflossen und aufklappbarem Verdeck ein, sein berechtigter und unverkennbarer Stolz. Nach einigen Kneipenbesuchen mit dreister sexueller Anmache hielt Bronco Peter auch für geeignet, das Steuer zu übernehmen, da er bereits zu viel getrunken hatte. Peter war allerdings auch nicht mehr ganz nüchtern.

      Das Malheur ereignete sich an einer Kreuzung. Mit falsch eingelegtem Rückwärtsgang und kräftigem Gasgeben schoss der Cadillac nach hinten in ein nachfolgendes Taxi, und ein erschrockener Bronco brüllte wutentbrannt: „Der Tölpel ist uns aufgefahren.”

      Der Fahrgast im Taxi war zufällig ein Freund von Bronco. Sie fielen sich im Zeichen der Wiedererkennung um den Hals, und er bestätigte ohne zu zögern der Polizei Broncos Beschuldigung. Peter, alkoholbedingt nicht mehr ganz seiner Sprache mächtig, sagte zu seinem Schutze nichts, gab sich geschockt. Ein am Boden zerstörter Taxifahrer blieb zurück.

      Ein paar Tage später kroch Peter während der Vernehmung auf dem Polizeirevier, um Richtigstellung des Unfalls bemüht, reumütig zu Kreuze. Aber genauso wie ihn die erlittene Scham gegenüber dem Polizisten kränkte, traf ihn Broncos Spott über seine dämliche Ehrlichkeit. Der musste nun auf eigene Kosten sein Fahrzeug wieder herrichten und verschwendete keine Gedanken mehr darauf verschwendete, ihn noch einmal einzuladen. Aber dies war ganz in Peters Sinne.

      Die Hinfälligkeit eines Rilke-Autos hätte Peter einkalkulieren sollen, als er leichtsinnig für allerdings nur 100 DM einen noch nicht aufgemöbelten VW Käfer erwarb. Nach einigen selbst durchgeführten Reparaturen an den Achsschenkeln war der Wagen zwar fahrtüchtig, fiel aber einer Polizeistreife durch mangelnde Verkehrssicherheit bei der Signalgebung auf. Auch im Hinblick auf den etwas heruntergekommenen Eindruck des Wagens und trotz des Protestes „immer auf die Kleinen“ bestanden die Ordnungshüter auf einer unmittelbaren technischen Untersuchung. Deren Ergebnis führte zur Stilllegung des Wagens und Rückkehr auf Rilkes Betriebshof.

      Rilke, daraufhin angesprochen, zuckte nur gleichgültig mit den Schultern, „so etwas kann passieren“.

      Sich mit dem Gegebenen abzufinden, war auch die Denkweise von Lupo, Peters strohblonder Mitbewohner am Ende des Wohnflures, dessen gescheiteltes Haupthaar weit in die Stirn eines länglichen und knochigen Gesichts fiel und mit einer Handbewegung weggewischt werden konnte. Warum sich aufregen, Tatsachen hinterfragen, wenn sich doch nichts ändern ließ? Von seinem Rufnamen, wer auch immer ihn erdacht haben mochte, wusste er stolz zu erzählen, dass er sich vom lateinischen lupos ableitete und ihn berechtigte, sich als Leitwolf einer Mannschaft verwegener Möbelpacker anzusehen, die mit grüngelb lackierten Kleinlastern, versehen mit dem Schriftzug ihres Besitzers Rilke, im Transportgeschäft ihrer Arbeit nachging.

      Leidenschaftlich gern kochte Lupo für alle und soff dabei bis der Rausch ihn niederzwang. Diesen schlief er anschließend in seinem Zimmer aus, das außer dem Gerichtsvollzieher, vor dem er den Fernseher versteckte – er besaß sonst nichts von Wert, kein – Fremder je betreten hatte. Stark, wie er war, galt seine Vorliebe Klaviertransporten, und selten wurde er in der Hoffnung betrogen, dass sich mit jedem erklommenem Stockwerk das Trinkgeld, von ihm genussvoll Schmalz genannt, jeweils erhöhte. Entsprechend glänzten seine triefblauen Augen.

      Bei Umzügen wurde der fremde Fernseher von ihm solange in Verwahrung genommen, bis die Rechnung beglichen war.

      Als einziger besaß er keinen Führerschein. Schweinebacke, der weitere Mitbewohner im Flur, war sein Fahrer. Sich seines Spitznamens zu erwehren, hatte dieser aufgegeben, auch im Hinblick darauf, dass er in gewisser Weise zutraf.

      „Gut, dass du kommst, kannst heute Nacht mit mir auf Zeitungstour gehen. Ab drei Uhr zwei Stunden Zeitungspacken verteilen, Schweinebacke ist ausgefallen, Lohn wie üblich.”

      „Dann leg ich mich noch ein Stündchen aufs Ohr. Weck mich.”

      Wenig später erfolgte ein knochenhartes Anklopfen. „Los geht’s.” Das Stimmengewirr und Motorengebrumm vom Hof war unüberhörbar.

      Drei Lkw fuhren Kolonne. Peter am Steuer des letzten wieder hellwach nach dem starken Kaffee, den Lupo gekocht hatte, der sich sichtlich vergnügt auf dem Beifahrersitz räkelte und fahrlehrerhaft nervte: „Rechts, links abbiegen, geradeaus, bremsen, Gas geben, grüner wird’s nicht. Pass auf. Halt Kontakt.”

      Allmählich interessierte es Peter wohin die Fahrt ging.

      „Kochstraße, Zeitungsviertel.”

      „Springer? Kenne sonst keinen Verlag dort.” Und tatsächlich, in der Stadtbrache Kreuzbergs tauchte das höhnisch herausfordernde Hochhaus an der Berliner Mauer mit langgezogenem, hellerleuchtetem, hochmodernem Druckereigebäude auf.

      „Fahr die Einfahrt runter und zwischen den hohen Zäunen hindurch”, kommandierte Lupo.

      „Bist du eigentlich verrückt, mich hierher mitzunehmen? Springerverlag, in den Augen der Studenten das Böse schlechthin!”

      „Stell dich nicht so an, tust mir einen Gefallen, Sippenhaftung.”

      Eingeklemmt zwischen anderen LKW, im gleißenden Scheinwerferlicht, luden sie an der Rampe Stapel der gebündelten Sonntagszeitung auf. Knappe Zurufe erfolgten. Die Packen flogen auf die Pritsche. Lupo richtete ein Verteilsystem ein, schloss die Plane und sprang wieder auf den Beifahrersitz. Abfahrt, erneut zwischen hohen Zäunen hindurch auf die Straße. Die Scheinwerfer fraßen sich durch die Nacht. Im Zickzack ging’s durch die Stadt: Kreuzberg, hoch in den Wedding, Halt an Kiosken, Restaurants, Hotels, Einkaufshallen, und jeweils ein, zwei oder mehrere Bündel flogen vor die Eingangstüren. Mit der Geschicklichkeit eines Affen vollführte Lupo sein Werk.

      „Fertig, geschafft, nach Hause.”

      „Wenn wir den ganzen Kladderadatsch in die Spree geschmissen hätten, meine linken Freunde hätten gejubelt, und ich wäre in ihrer Achtung gestiegen.”

      „Dafür gibt’s kein Geld, und du hättest Ärger bekommen.”

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