Über Vernunft und Offenbarung in Ibn Taymiyyas Denken. Yusuf Kuhn

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Über Vernunft und Offenbarung in Ibn Taymiyyas Denken - Yusuf Kuhn Studien zur Kritik der Philosophie im islamischen Denken

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und Verheißungen witzlos wäre. Darauf geht Özervarli aber nicht mehr näher ein.

      Özervarlis Schlussbemerkung bringt keine wesentlichen neuen Punkte. Es sei nur noch darauf hingewiesen, in welchen Denkern er Nachfolger von Ibn Taymiyya sieht: Ibn Qayyim al-Dschawziyya (gest. 751/1350), Ibn al-Wazīr (gest. 840/1436, Jemen) Muhammad asch-Schawkānī (1760-1834, Jemen), Muhammad Iqbal (1876-1938, Indien). Und vor allem sieht er unter modernen muslimischen Denkern den wahren Erben von Ibn Taymiyyas traditionalistischem Rationalismus in Musa Dscharullah Bigiev (1875-1949, Kazan).

      Die zuletzt angerissenen Themen können als Ausblicke verstanden werden, die einer näheren und ausführlichen Behandlung bedürfen. Özervarli selbst ist in einem Aufsatz der Frage der fitra nachgegangen, in dessen Titel das Thema folgendermaßen bezeichnet wird: Göttliche Weisheit, menschliches Handeln und die fitra in Ibn Taymiyyas Denken.9

      1 M. Sait Özervarli, The Qur’anic Rational Theology of Ibn Taymiyya and his Criticism of the Mutakallimun, in: Yossef Rapoport and Shahab Ahmed (Hg.), Ibn Taymiyya and His Times, Oxford: OUP, 2011, S. 78-100.

      2 Siehe Yossef Rapoport and Shahab Ahmed (Hg.), Ibn Taymiyya and His Times, Oxford: OUP, 2011.

      3 Siehe Ibn Taymiyya, Madschmūʿ fatāwa schaykh al-islām Ahmad ibn Taymiyya, Hg. ʿAbd ar-Rahman b. Muhammad b. Qasim und Muhammad b. ʿAbd ar-Rahman b. Muhammad, Beirut: Dar ʿAlam al-Kutub, 1983, 3: 339.

      4 M. Sait Özervarli problematisiert den Begriff der Theologie nicht, daher sei hier ebenfalls davon abgesehen.

      5 Diese wie auch die folgenden Seitenangaben in Klammern beziehen sich auf: M. Sait Özervarli, The Qur’anic Rational Theology of Ibn Taymiyya and his Criticism of the Mutakallimun, in: Yossef Rapoport and Shahab Ahmed (Hg.), Ibn Taymiyya and His Times, Oxford 2011 (OUP), S. 78-100.

      6 Ibn Taymiyya, Darʾ taʿaruḍ al-ʿaql wa-n-naql aw muwāfaqat ṣaḥīḥ al-manqūl li-ṣarīḥ al-maʿqūl, Hg. M. R. Sālim, 11 Bände, Riyadh: Dār al-Kunūz al-Adabiyya, 1979.

      7 Siehe Muhammad Asad, Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar, Aus dem Englischen übersetzt von Ahmad von Denffer und Yusuf Kuhn, Düsseldorf, 2009.

      8 Siehe Koran 3: 7 in der Übersetzung von Muhammad Asad: »Er ist es, der dir von droben diese göttliche Schrift erteilt hat, Botschaften enthaltend, die klar in und durch sich selbst sind, – und diese sind die Essenz der göttlichen Schrift – wie auch andere, die allegorisch sind. Nun gehen jene, deren Herzen zum Abweichen von der Wahrheit geneigt sind, demjenigen Teil der göttlichen Schrift nach, der in allegorischer Weise ausgedrückt worden ist, suchen aus (was bestimmt) Verwirrung (erzeugt) und suchen seine endgültige Bedeutung (auf willkürliche Weise zu erlangen); aber keiner außer Gott kennt seine endgültige Bedeutung. Darum sagen jene, die tief im Wissen verwurzelt sind: "Wir glauben daran; das Ganze (der göttlichen Schrift) ist von unserem Erhalter – wiewohl sich dies keiner zu Herzen nimmt außer jenen, die mit Einsicht versehen sind.« (Siehe Muhammad Asad, Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar, Aus dem Englischen übersetzt von Ahmad von Denffer und Yusuf Kuhn, Düsseldorf, 2009, S. 106-107.)

      9 Siehe M. Sait Özervarli, Divine Wisdom, Human Agency and the fiţra in Ibn Taymiyya’s Thought, in: Birgit Krawietz and Georges Tamer (Hg.), Islamic Theology, Philosophy and Law. Debating Ibn Taymiyya and Ibn Qayyim al-Jawziyya, Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2013, S. 37-60.

       3

      Vernunft, Offenbarung und die Rekonstitution der Rationalität: Ibn Taymiyyas Darʾ ta ʿārudh

       3.1 Vorbemerkung

      Dieser Text ist eine referierende Zusammenfassung und Vorstellung des Buches Reason, Revelation & the Reconstitution of Rationality: Taqī al-Dīn Ibn Taymiyya's (d. 728/1328) Darʾ Taʿāruḍ al-ʿAql wa-l-Naql or ‚The Refutation of the Contradiction of Reason and Revelation‛, von Carl Sharif El-Tobgui.1 Der vollständige Titel lautet ins Deutsche übertragen:

      Vernunft, Offenbarung & die Rekonstitution der Rationalität: Taqī ad-Dīn Ibn Taymiyyas (gest. 728/1328) Darʾ taʿarudh al-ʿaql wa an-naql oder »Die Widerlegung des Widerspruchs von Vernunft und Offenbarung«.

      Kürzlich ist die Dissertation als Buch veröffentlich worden unter dem Titel Ibn Taymiyya on Reason and Revelation. A Study of Darʾ taʿāruḍ al-ʿaql wa-l-naql (Ibn Taymiyya über Vernunft und Offenbarung. Eine Studie des Darʾ taʿāruḍ al-ʿaql wa-l-naql).2

       3.2 Einführung

      Mise en scène (Szenerie)

      Es ist das Jahr 1300. Syrien erzittert vor der mongolischen Invasion. Die meisten Einwohner sind bereits aus Damaskus geflohen. Währenddessen sitzt einer der berühmtesten Bürger dieser Stadt, Ibn Taymiyya, im Kerker der Zitadelle von Kairo und schreibt und schreibt, solange der Nachschub an Papier und Tinte anhält. Er war zu einer Gefängnisstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt worden wegen angeblich anthropomorpher Vorstellungen vom Wesen Gottes. Dies konnte einen so kraftvollen und mutigen Denker jedoch nicht abhalten, seinen geistigen Kampf mit spitzer Feder fortzuführen.

      Die Kampflinien waren schon lange zuvor gezogen worden. Nahezu sieben Jahrhunderte waren vergangen, seit der Prophet des Islam Gottes endgültige Botschaft der Menschheit überbracht hatte. Diese Offenbarung war das Wort Gottes. Ihre Botschaft war klar und ursprünglich. Gott war al-haqq, die wahre Wirklichkeit. Er war auch al-khāliq, der Schöpfer der Himmel und der Erde und allem, was darin ist.

      Gott hat auch den Menschen erschaffen und auf die Erde gesetzt, damit er seinem Herrn diene und gute Werke verrichte, bis er eines unvermeidlichen Tages den Tod kostet. Dann lässt Gott ihn, Körper und Geist, wiederauferstehen, um Rechenschaft über Glauben wie Taten abzulegen und gerichtet zu werden. Das war den Menschen offenbart worden, und daran glaubten sie mit Herz und Verstand.

      Doch das Wort Gottes wurde im Laufe der Jahrhunderte langsam, aber beständig von äußeren Einflüssen überdeckt, die manchen muslimischen Denker zu überwältigen drohten. Die Übersetzungen wissenschaftlicher und vor allem philosophischer Texte aus dem Griechischen ins Arabische seit dem frühen 3./9. Jahrhundert führten zu einem Zustrom allerlei neuer und eigentümlicher Ideen ins muslimische Denken. Die Werke von Aristoteles und verschiedenen neuplatonischen Denkern über Logik, Epistemologie und Metaphysik stießen auf Begeisterung und Ablehnung zugleich. Denn sie boten ein umfassendes und ausgearbeitetes Weltbild, das seine Überzeugungskraft nicht zuletzt aus dem Versprechen schöpfte, der Vernunft selbst zu entspringen.

      Aber warum sollte es überhaupt Grund zur Sorge geben? Ersucht der Koran selbst nicht die Muslime an vielen Stellen, nachzudenken, zu überlegen, ihren gottgegebenen Verstand zu gebrauchen, um das Geheimnis ihres Daseins zu ergründen? »Wollen sie denn nicht ihren Verstand gebrauchen?« (Koran 36: 68); »Wollen sie denn nicht verstehen?« (Koran 4: 82); »… auf dass sie nachdenken mögen.« (Koran 7: 176).

      Doch was tun, wenn sich dabei herausstellen sollte, dass die vernunftgegründeten Lehren der Philosophen über Mensch, Welt und Gott dem, was Gott selbst, der Schöpfer von Mensch, Himmel und Erde offenbart hat, nicht entsprechen oder gar widersprechen? Die Vernunft, so lehrt Aristoteles, erkennt, dass Gott ein vollkommenes Wesen ist. Nun, dem mögen alle zustimmen. Aber die Vernunft, so Aristoteles weiter, urteilt zudem, dass ein vollkommenes Wesen auch vollkommen einfach, unteilbar und nicht-zusammengesetzt sein muss. Während also die Offenbarung Gott mancherlei Eigenschaften, Qualitäten oder Attribute zuschreiben mag – wie etwa hayy (lebendig), dschabbār (mächtig),

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