Plädoyer für eine realistische Erkenntnistheorie. Jürgen Daviter

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Plädoyer für eine realistische Erkenntnistheorie - Jürgen Daviter

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Verknüpfung verschiedener Gedanken oder Ideen des Geistes‚ und wenn sie im Gedächtnis oder in der Einbildung erscheinen‚ führt eine die andere in gewissem Grade methodisch und regelmäßig ein.“ (EHU‚ S. 53) Und: „Mir scheint es nur drei Prinzipien der Ideenassoziation zu geben‚ nämlich Ähnlichkeit‚ Berührung in Raum und Zeit sowie Ursache oder62 Wirkung.“ (EHU‚ S. 55.) Hume hält die Beziehung von Ursache und Wirkung für „die aufschlussreichste‚ denn nur durch dieses Wissen sind wir in der Lage‚ Ereignisse zu beherrschen und die Zukunft zu bestimmen“ (EHU‚ S. 61).

      Die darauf folgenden erkenntnistheoretischen Ausführungen beschäftigen sich schließlich mit der genannten alles entscheidenden Frage‚ ob die kausalen Assoziationen mehr sein können als „für uns der wirkliche Zement des Universums“‚ mehr also‚ als dass wir ohne sie unser Leben auch nicht im mindesten beherrschen und gestalten könnten. Können wir vielmehr Kausalbeziehungen so sicher erkennen‚ dass sie allgemein gültige Naturgesetze beschreiben?63

      Für den Abschnitt IV deutet Hume mit dessen Überschrift bereits ‚Skeptische Zweifel an den Tätigkeiten des Verstandes“ an‚ denen er sehr bald eine seiner zentralen erkenntnistheoretischen Einsichten folgen lässt. „Alles Tatsachen betreffende Denken scheint auf der Beziehung von Ursache und Wirkung zu beruhen. Einzig mittels dieser Beziehung können wir über die Evidenz unseres Gedächtnisses und unserer Sinne hinausgehen.“ (EHU‚ S. 81.) „Wollen wir somit eine zufriedenstellende Erklärung für das Wesen jener Evidenz erhalten‚ die uns der Tatsachen versichert‚ dann haben wir zu untersuchen‚ wie wir zur Kenntnis von Ursache und Wirkung gelangen. Ich wage es‚ die Behauptung als allgemeingültig und keine Ausnahme duldend aufzustellen‚ dass die Kenntnis dieser Beziehung in keinem Fall durch Denkakte a priori gewonnen wird‚ sondern ausschließlich aus der Erfahrung stammt‚ wenn wir nämlich feststellen‚ dass bestimmte Gegenstände beständig zusammen auftreten.“ (EHU‚ S. 83.) Mit den Denkakten a priori verwirft Hume also die Möglichkeit‚ aus reinem Verstand heraus Kausalität zu erkennen.

      Das Beispiel einer Billardkugel‚ die beim Anstoß durch eine andere in Bewegung gesetzt wird‚ dient Hume als Beleg für diese grundsätzliche Behauptung. Er meint‚ bei so bekannten Phänomenen wie diesem würden wir uns leicht einbilden‚ die aus dem Anstoß entstehende Bewegung „bloß durch die Tätigkeit unserer Vernunft‚ ohne Erfahrung‚ entdecken“ zu können (EHU‚ S. 87). Doch Hume bleibt dabei: „Der Geist kann unmöglich jemals die Wirkung in der vermeintlichen Ursache finden …. Die Wirkung ist nämlich von der Ursache völlig verschieden und kann folglich niemals in ihr entdeckt werden. Die Bewegung der zweiten Billardkugel ist ein von der Bewegung der ersten völlig verschiedenes Ereignis; auch ist in der einen nichts vorhanden‚ was den geringsten Hinweis auf die andere gäbe.“ (EHU‚ S. 87 f..) Hume betont‚ dass auch andere Vorstellungen‚ z. B. dass die zweite Kugel nach dem Anstoß liegen bleibt oder gar die erste wieder zurückrollt‚ widerspruchsfrei denkbar seien. Wo die unterschiedlichsten Bewegungen denkbar seien‚ wäre es vollkommen willkürlich‚ a priori eine von ihnen zu bevorzugen. (EHU‚ S.89.) Allein aus dem erfahrungsunabhängigen Denken heraus können wir also die Wirkung nicht erkennen.

      So kommt Hume zu folgendem Zwischenergebnis: „Wenn man fragt: Was ist die Natur aller unserer Überlegungen‚ die sich mit Tatsachen befassen?‚ dann scheint die richtige Antwort zu sein‚ dass sie auf der Beziehung von Ursache und Wirkung beruhen. Fragt man wiederum: Welches ist die Grundlage all unserer Überlegungen und Schlussfolgerungen‚ die sich mit dieser Beziehung befassen?‚ so kann man mit einem Wort erwidern: Erfahrung.“ Daran anschließend stellt Hume aber fest: „Wenn wir aber … fragen: Welches ist die Grundlage aller Schlüsse aus der Erfahrung?‚ so ist darin eine neue Frage enthalten‚ deren Lösung und Erklärung schwieriger sein dürfte.“ (EHU‚ S. 95.) Was immer wir über den tatsächlichen Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu wissen glauben‚ so hatte Hume festgestellt‚ können wir nur aus Erfahrung wissen. Nun will er also klären‚ ob wir denn überhaupt dieser allein möglichen Basis alles unseren Tatsachenwissens vertrauen können.

      Hume demonstriert dieses Problem am Beispiel des Brotes: Wir haben es gegessen‚ und es hat uns ernährt. Wenn wir es erneut essen‚ erwarten wir „mit Gewissheit gleiche Ernährung und Stärkung. Das ist ein Vorgang im Geist oder im Denken‚ von dem ich gern den Grund wissen möchte… Hinsichtlich der früheren Erfahrung kann eingeräumt werden‚ dass sie direkte und sichere Informationen nur über solche bestimmten Objekte und jene bestimmte Zeitspanne geben kann‚ von denen sie Kenntnis hatte. Weshalb diese Erfahrung jedoch auf die Zukunft und auf andere Objekte ausgedehnt werden sollte‚ die‚ soweit uns bekannt ist‚ nur dem Anschein nach gleichartig sein mögen: dies ist die Hauptfrage‚ auf der ich beharren möchte.“ (EHU‚ S. 99.) „Die folgenden beiden Sätze sind weit davon entfernt‚ dasselbe zu besagen: Ich habe festgestellt‚ dass ein solcher Gegenstand stets von einer solchen Wirkung begleitet wurde‚ und‚ Ich sehe voraus‚ dass andere Gegenstände‚ die dem Aussehen nach gleichartig sind‚ von gleichartigen Wirkungen begleitet sein werden. Ich werde bereitwillig zugeben‚ dass der eine Satz aus dem anderen zu Recht abgeleitet werden kann‚ ja‚ ich weiß in der Tat‚ dass er stets so abgeleitet wird. Behauptet man aber‚ dass diese Ableitung durch eine Kette von Schlussfolgerungen erfolge‚ so wünsche ich‚ dass man mir diese Schlussfolgerungen vorführt…. Es bedarf eines Mittelbegriffs‚ der den Geist in die Lage versetzt‚ eine solche Ableitung durchzuführen‚ wenn sie tatsächlich durch Denken und Begründen durchgeführt werden sollte. Was dieser Mittelbegriff ist‚ übersteigt … meine Einsicht‚ und seine Existenz nachzuweisen obliegt jenen‚ die behaupten‚ es gebe ihn wirklich….“ (EHU‚ S. 99f.; zur Erläuterung des „Mittelbegriffs“ s. die bald folgenden kommentierenden Bemerkungen unter 2..)

      In diesem Zusammenhang verweist Hume auf die übliche Unterscheidung in zwei Arten von Denken: „demonstratives oder solches‚ das Beziehungen zwischen Ideen betrifft‚ und … Tatsachen und Existenz betreffendes“ (EHU‚ S. 101). Hume hatte schon früher darauf verwiesen‚ dass Beziehungen zwischen Ideen durch reines Denken - oder‚ wie er gesagt hatte: „durch eine Kette von Schlussfolgerungen“ - demonstriert‚ d. h. bewiesen werden können: Gesetze der Geometrie‚ Algebra und Arithmetik sind „entweder von intuitiver oder demonstrativer Gewissheit“ (EHU‚ S. 79). In Bezug auf das Tatsachenwissen lehnt Hume ein demonstratives Beweisverfahren ab: „Mag der Gang der Dinge bisher auch noch so regelmäßig gewesen sein‚ so kann das allein‚ ohne ein neues Argument oder eine neue Folgerung‚ nicht beweisen‚ dass es auch in Zukunft so bleiben werde.“ Er ist davon überzeugt‚ „dass alle Naturgesetze und alle Wirkungen von Körpern ausnahmslos nur durch die Erfahrung erkannt werden“ können (EHU‚ S. 87). Und er verweist darauf‚ dass ihm als Philosophen keine Lektüre hätte dabei helfen können‚ diese Schwierigkeit (nämlich ohne Erfahrungen auszukommen) zu beheben. (EHU‚ S. 109.)

       Es ist an der Zeit für ein paar kommentierende Bemerkungen.

      1. Mit dem Problem‚ aus noch so vielen Erfahrungen gleicher Art nicht ableiten zu können‚ dass es davon auch künftig keine Abweichung geben wird‚ hat Hume - ohne je diesen Begriff zu benutzen - das Problem des Induktionsschlusses aufgeworfen und für unlösbar erklärt. Kant hat etwas später versucht‚ für dieses Problem doch noch eine Lösung zu finden‚ und ist - nach herrschender Ansicht - daran gescheitert. Popper (s. das VIII. Kapitel über den Kritischen Rationalismus) hat zwar von sich gesagt‚ die Lösung des Induktionsproblems gefunden zu haben‚ doch beruht seine ganze Erkenntnistheorie geradezu darauf‚ Humes Skeptizismus grundsätzlich zu akzeptieren; Poppers „Lösung“‚ so zukunftsweisend sie erkenntnistheoretisch auch war - nicht nur‚ was die rationale Begründung einer wissenschaftlichen Methodologie angeht -‚ besteht denn auch nicht in dem Nachweis der Möglichkeit sicherer Erkenntnis von Naturgesetzen. Und es ist heute immer noch keine Lösung bekannt: Der induktive Schluss von der Vergangenheit auf die Zukunft gilt aus guten Gründen als logisch und empirisch unmöglich.

      2.

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