Plädoyer für eine realistische Erkenntnistheorie. Jürgen Daviter
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Grundzüge des Gottesbeweises in der rationalistischen Philosophie laufen immer darauf hinaus‚ von einem Begriff Gottes‚ der dessen reale Existenz einschließt‚ auf die Existenz Gottes in der Wirklichkeit zu schließen‚ also aus einem gedanklich konstruierten Begriffsinhalt einen real existierenden Begriffsumfang abzuleiten. Kant hat später eine solche Möglichkeit in einer fundamentalen Kritik der Gottesbeweise mit überzeugenden Argumenten kategorisch abgelehnt.45
(3) Die Sonderstellung des cogito‚ ergo sum
Vor ihrer Veröffentlichung hatte Descartes seine Meditationen Zeitgenossen zur Lektüre gegeben. Ihre Kritik ist bekannt‚ weil Descartes sie mit seinen eigenen Antworten dazu seinen Meditationen zur Veröffentlichung anhängte. Gewicht hat insbesondere die Kritik von Gassendi an der erkenntnistheoretischen Rolle des Satzes ich denke‚ also bin ich. Seine Kritik bestand in dem Vorwurf einer nicht begründeten Deduktion: Ihm fehlte etwas‚ woraus sich die Wahrheit des Satzes außerhalb seiner selbst ableiten ließe. Erhellend ist die Antwort von Descartes: „Ich begehe damit keine petitio principii; denn ich setze keinen Obersatz voraus‚ vielmehr behaupte ich‚ daß der Satz: Ich denke‚ also bin ich‚ eine eigentümliche Wahrheit ist‚ die sich der Seele ohne Hilfe eines allgemeinen Satzes und ohne alle logische Ableitung aufdrängt. Er ist kein Vorurteil‚ sondern eine natürliche Wahrheit‚ die sofort und unwiderstehlich den Verstand für sich einnimmt.“ (Med.‚ S. 112.) In der Verteidigung seiner Wahrheitsüberzeugung muss Descartes sich auf so wenig greifbare und so subjektive Dinge wie die Behauptung einer „natürlichen Wahrheit“ stützen‚ die „unwiderstehlich den Verstand für sich einnimmt“.
Es sei daran erinnert‚ dass Descartes das‚ was ihn bestimmte Dinge so „völlig klar und deutlich“ wissen lässt‚ auch das „natürliche Licht“ nennt: „… [A]lles‚ was durch das natürliche Licht mir gezeigt wird‚ wie daß aus meinen Zweifeln mein Dasein folgt und ähnliches‚ kann in keiner Weise zweifelhaft sein‚ weil es kein anderes Vermögen gibt‚ welchem ich so vertraue wie diesem Licht‚ ….“ (Med.‚ S. 53.) Mit all diesen Phänomenen - „natürliche Wahrheit“‚ „natürliches Licht“‚ „Vermögen“‚ dem ich „vertraue“‚ „klar und deutlich wissen“ - legt Descartes kein externes Wahrheitskriterium vor. Die Wahrheit seiner Überzeugung ergibt sich schließlich aus sich selbst heraus - anders gesagt: sie ist für ihn evident‚ in wörtlicher Übersetzung des lateinischen „evidens“ herausscheinend‚ im übertragenen Sinne offenbar. Evidenz ist jedoch kein Wahrheitskriterium; sie zu behaupten hat nur einen besonders starken Aufforderungscharakter zu glauben. Bei allem Evidenten ist und bleibt die Sache selbst ihr eigener scheinbarer Wahrheitsgarant. Eine Widerlegung ist nicht möglich‚ weil es keine externe Prüfinstanz gibt. Es müsste aber eine Widerlegungsmöglichkeit geben‚ wenn denn überhaupt ein Wahrheitsanspruch überzeugend sollte erhoben werden können.
In diesem Sinne kritisiert auch Kant das cogito‚ ergo sum. Kurz zusammengefasst besteht er darauf‚ dass in diesem Satz nicht ein Bewusstsein davon ausgedrückt würde‚ wie ich mir erschiene‚ noch wie ich an mir selbst sei‚ sondern nur „dass ich bin“; und „[d]iese Vorstellung ist ein Denken‚ nicht ein Anschauen…“‚ wobei doch „zum Erkenntnis unserer selbst außer der Handlung des Denkens … noch eine bestimmte Art des Anschauens … erforderlich ist…“.46 Dieser zentrale Aspekt einer realistischen Erkenntnistheorie mag an dieser Stelle noch nicht ausreichend begründet erscheinen; er wird in den beiden folgenden Kapiteln über Hume und Kant der Hauptgegenstand der Erörterung sein. In irgendeinem Sinne beweisstützende Sinneseindrücke kann Descartes jedenfalls bei dem cogito‚ ergo sum nicht vorweisen. So ist es geradezu zwingend‚ dass er sich trotz seiner Beschwörungen‚ klar und deutlich zu sehen oder das natürliche Licht garantierten schon die Wahrheit‚ am Ende doch auf einen nicht täuschenden Gott verlassen muss.
Man kann darüber streiten‚ ob das cogito‚ ergo sum eine absolute Sonderstellung einnimmt oder nicht. Es ist zwar das (irdische) Fundament der Erkenntnistheorie Descartes‘. Es ist logisch aber nicht einzusehen‚ dass sein Wahrheitskriterium des Klar-und-deutlich-Sehens‚ das er am cogito‚ ergo sum gewonnen zu haben glaubte‚ für eben diese Ich-Erkenntnis unangefochten bleiben kann‚ während es Descartes für einzelne konkrete Wirklichkeitserkenntnisse durch die Existenz eines nicht-trügerischen Gottes ergänzt. Und tatsächlich hat Descartes selbst schon in der Abhandlung auch das cogito‚ ergo sum nur als wahr gelten lassen‚ weil Gott für ihn existiert. Seine Logik war ja folgende: Er sah das cogito‚ ergo sum klar und deutlich; deswegen war es für ihn wahr; aber alles‚ was wir klar und deutlich sehen‚ hielt er dennoch nur für wahr‚ weil Gott existiert.
Würde man sich dennoch das cogito‚ ergo sum - anders als die Wirklichkeitserkenntnis einzelner realer Sachverhalte - als unangefochten fundamental wahr vorstellen‚ dann endete die Begründungskette einfach schon früher als bei Gott‚ nämlich bei dem für hinreichend erachteten Klar-und-deutlich-Sehen des cogito selbst. Aber auch die Vorstellung‚ dass es „sofort und unwiderstehlich den Verstand für sich einnimmt“‚ oder das natürliche Licht ändern nichts daran‚ dass das Begründungsverfahren an einem Punkt abbricht‚ der dogmatisch gesetzt wird. Unerheblich ist auch die Frage‚ ob das natürliche Licht identisch mit dem klar und deutlich sehen ist. Für die Identität spricht‚ dass Descartes als Verteidigung gegen den Einwand Gassendis das cogito‚ ergo sum deswegen für wahr erklärt‚ weil es sich ihm in dem natürlichen Licht zeigt‚ während er in der früheren Abhandlung für denselben Nachweis das eigene klar und deutlich sehen angeführt hatte. Das klar und deutlich sehen hält Descartes als Wahrheitskriterium schließlich nicht für ganz ausreichend; die Existenz eines nicht trügerischen Gottes muss hinzukommen. Das natürliche Licht hingegen glaubt Descartes in seiner Auseinandersetzung mit Gassendi ohne einen begründenden Obersatz rechtfertigen zu können. Sind klar und deutlich sehen und das natürliche Licht in ihrer vorgestellten Wahrheitsfunktion identisch‚ kann man sie allerdings nicht erkenntnistheoretisch unterschiedlich behandeln. Es müsste dann für beide die Garantie Gottes geben. Doch auch‚ wenn Descartes das natürliche Licht als etwas Höherwertigeres als das eigene klar und deutlich sehen betrachtet haben sollte‚ wäre die Begründungskette nur um ein Glied länger geworden‚ und der Rückgriff auf Gott nicht überflüssig. Ganz gleich‚ wo Descartes die Beweiskette für das cogito‚ ergo sum enden lässt: In jedem Fall handelt es sich um ein dogmatisch gesetztes Wahrheitskriterium.
(4) Abschließende Bemerkungen
Eine abschließende und zusammenfassende Kritik der Erkenntnistheorie Descartes‘ soll mit seinen unabweisbaren Verdiensten beginnen‚ wie sie sich aus den hier diskutierten Texten ergeben. Descartes