Wuhan Diary. Fang Fang
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In einem weiteren Video, das ich am Morgen sehe, geht es um einen Arzt für Atemwegserkrankungen am Zhongnan-Krankenhaus. Er hatte sich infiziert und war dem Tod nahe. Jetzt ist er außer Lebensgefahr und schildert voller Humor den Ablauf des Ganzen. Infiziert hat er sich in direktem Kontakt mit Patienten. Später, als er zwischen Leben und Tod schwebte, hat sich seine Frau um ihn gekümmert. Sie hatte sich ebenfalls infiziert, hatte jedoch nur leichte Symptome. Deshalb fordert er alle auf, nicht in Panik zu geraten. Er weist darauf hin, dass es sich bei den meisten der Schwerkranken, die die Infektion nicht überstehen, um ältere Personen mit Vorerkrankungen handelt. Jüngere Menschen in guter körperlicher Verfassung überstehen die Infektion mit Hilfe medikamentöser Behandlung, viel Wasser und Ruhe ziemlich leicht. Er spricht zudem über gewisse Merkmale der neuartigen Coronavirus-Lungenentzündung – zum Beispiel, dass sich beide Lungenflügel gemeinsam vom Rand her infizieren, dass es zu wenig auffälligen Phänomen wie Nasenschleim etc. kommt. Was jemand mit seiner Erfahrung erklärt, ist glaubwürdig. Woran wir uns deshalb halten sollten, ist: zu Hause bleiben und nicht in Panik verfallen. Keine vorschnellen Reaktionen, kühl bleiben, auch wenn wir leichtes Fieber haben oder ein wenig husten.
Heute haben die Behörden außerdem angeordnet, dass sämtliche Personen ihre Körpertemperatur messen müssen. Die Leute geraten in solch einem Moment schnell in Panik, sie haben Angst, dass sie sich beim Fiebermessen infizieren könnten. Nach meinem Verständnis kommt nur bei Verdachtsfällen jemand in die Wohnung, um die Fiebermessung vorzunehmen, im Normalfall genügt es, telefonisch die Daten dem Wohnviertel zu übermitteln. Wir sollten also nicht in jedem Menschen eine Gefahr wittern. Es ist bei einer Epidemie wie im normalen Leben: Törichte Menschen tun törichte Dinge, aber die Mehrheit ist nicht töricht, und nicht unbedingt alles, was getan wird, ist töricht.
Ein paar Worte zu mir selbst. Beim Aufstehen schaue ich aufs Smartphone. Die Nachbarin schickt eine Nachricht, um mir mitzuteilen, dass ihre Tochter heute einkaufen gegangen ist und mir das eine oder andere mitgebracht und vor der Wohnungstür deponiert hat. Ich soll es mir nach dem Aufstehen abholen. Kaum habe ich die Lebensmittel geholt, ruft die Nichte meiner Schwägerin an, die im selben Hof wohnt, um mir mitzuteilen, dass sie mir Würste und fermentierten Tofu vorbeibringen wird, ich soll sie an der Wohnungstür in Empfang nehmen. Es stellt sich heraus, dass sie einen Berg von Sachen anschleppt, mehr als ich in einem Monat weiterer Isolierung verzehren könnte. Diese Erfahrung des Zusammenstehens, der Solidarität im Unheil, erfüllt mich mit Dankbarkeit und wärmt mir das Herz.
Kaum habe ich diesen Blogeintrag beendet, erreicht mich die Nachricht vom Tod Li Wenliangs.24 Er war einer der acht Ärzte, die von der Polizei verwarnt wurden, und hatte sich mit dem neuen Coronavirus infiziert. Jetzt weint ganz Wuhan um ihn. Ich bin unsäglich traurig.
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7 Dieser Lichtstrahl am düsteren Nachthimmel steht für Li WenliangHeute ist der 16. Tag der Abriegelung der Stadt. Gestern ist Li Wenliang gestorben. Ich bin traurig. Ich habe sofort gepostet, dass heute Abend ganz Wuhan um ihn weinen werde. Wer hätte gedacht, dass ganz China um ihn weint? Die Tränen vereinen sich zu einer überschäumenden Woge im Netz. Das Tränenmeer der Menschen hat Li Wenliang heute Nacht in eine andere Welt getragen.
Ein trübes, düsteres Wetter heute, ich weiß nicht, ob ihm damit auch der Himmel ein Trauersalut sendet. Aber im Ernst, was haben wir dem Himmel noch zu sagen, was kann der Himmel noch für uns tun? Mittags waren Rufe in Wuhan zu hören: »Wir werden für Li Wenliangs Kinder, für seine ganze Familie sorgen!« Das Echo war riesig. Am Abend wollen die Wuhaner zum Zeitpunkt des gestrigen Ablebens Li Wenliangs das Licht ausschalten und mit Taschenlampen oder Smartphones einen Lichtstrahl gen Himmel senden und das mit Pfiffen begleiten. Dieser Lichtstrahl am düsteren Nachthimmel steht für Li Wenliang. So lange geht das nun schon, welche andere Möglichkeit haben die Wuhaner, ihrer Depression, ihrem Schmerz und ihrer Wut Ausdruck zu verleihen? Vermutlich nur diese.
Ursprünglich haben die Experten verkündet, der Wendepunkt werde wahrscheinlich zum Laternenfest25 eintreten, also morgen. Wie es jetzt aussieht, wird es nicht so kommen. Gestern erhielten wir die Nachricht vom Tod Li Wenliangs, heute heißt es: weitere 14 Tage Quarantäne. Ach, außer denjenigen, die sich in Wuhan aufhalten, wird niemand verstehen, wie viel seelischen Schmerz uns das bereitet. Es geht nicht nur darum, in unseren Wohnungen eingesperrt zu sein und sie nicht verlassen zu dürfen. Was den Menschen in Wuhan fehlt, ist Trost und ein Ventil für ihre aufgestauten Empfindungen. Das mag der tiefer liegende Grund sein, warum der Tod Li Wenliangs allen Wuhanern das Herz zerreißt. Sie wollen laut heulen und ihren Schmerz herausschreien. Für sie ist Li Wenliang einer wie sie selbst, ein Teil ihrer selbst, ihres in der Wohnung eingesperrten Selbst.
Die Epidemie erweist sich als weit gravierender als alle Prognosen. Das Tempo der Ansteckungen übertrifft erst recht sämtliche Vorstellungen. Und das Bizarre und Rätselhafte der Situation macht selbst erfahrene Ärzte ratlos. Personen, die eindeutig auf dem Weg der Besserung sind, fallen plötzlich in einen lebensgefährlichen Zustand zurück. Andere dagegen, die sich eindeutig infiziert haben, zeigen keinerlei Symptome. Dieses geisterhafte Coronavirus, das sich rasant in alle Himmelsrichtungen ausbreitet und zu jeder Zeit und an jedem Ort den Menschen überfällt …
Am härtesten betroffen ist das medizinische Personal. Es ist am frühesten mit den vom Virus Infizierten in Kontakt gekommen. Allein im Zentralkrankenhaus, der Klinik Li Wenliangs, sind dem Vernehmen nach außer ihm noch drei weitere Ärzte gestorben. Mein befreundeter Arzt berichtet, dass auch im Tongji-Krankenhaus einer seiner Freunde, ein Professor der Chirurgie, gestorben ist. Nahezu in jeder Klinik liegt ein Teil des medizinischen Personals auf dem Krankenbett: Ärzte und Schwestern, die im Dienst der Nächstenliebe unter Einsatz ihres Lebens Menschen retten.
Der einzig günstigere Umstand ist, dass sich der größte Teil des infizierten medizinischen Personals bereits in der Frühperiode der Epidemie angesteckt hat. Hieß es nicht damals: »keine Übertragung von Mensch zu Mensch«? Warum sollten sich die Ärzte damals kleiden wie Angehörige einer chemischen Kampftruppe? Und genau in der Zeit, als davon ausgegangen wurde, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch unmöglich sei, als die Stadt Wuhan und die Provinz Hubei ihre »Zwei Versammlungen«26 veranstalteten und die Verbreitung negativer Nachrichten verboten wurde, infizierten sich zahlreiche Ärzte und Krankenschwestern und zogen ihre Familienangehörigen mit ins Unglück. Mein befreundeter Arzt sagt, die schweren Erkrankungen stammten aus dieser Periode. Jetzt, wo ausreichend Schutzausrüstung zur Verfügung stünde, habe die Zahl des infizierten medizinischen Personals deutlich abgenommen. Und wo es zu Ansteckungen käme, verliefe die Erkrankung harmlos.
Er sprach von sich aus eine weitere Sache an: »Als sich damals mehr und mehr Ärzte und Schwestern infizierten, war es jedermann klar, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch stattfindet, aber niemand hat den Mund aufgemacht, weil es untersagt war. Man schweigt, weil es untersagt ist zu reden? Jedermann weiß Bescheid, aber keiner spricht es aus? Liegt nicht genau darin das Problem? Warum durften die Krankenhausleitungen nicht reden? Und wenn sie nicht reden durften, warum haben wir geschwiegen? Wir sind Ärzte, wir tragen unsere eigene Verantwortung.« Diese Fragen richte er an sich selbst und an seine Kollegen. Ich bewundere seine Bereitschaft, sich in diesem Moment selbst diesen Fragen zu stellen.
Bei mir denke ich: Ja, genau das ist die schmerzhafte und zornig stimmende Ursache von Li Wenliangs Tod. Schließlich hat er als Erster das Schweigen gebrochen, auch wenn er nur die eigenen Bekannten und Freunde gewarnt hat, aber er hat immerhin