Im gleißenden Licht der Sonne. Clare Clark

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Im gleißenden Licht der Sonne - Clare  Clark

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erwähnt. Er hatte keine Lust auf Fragen, die er nicht beantworten wollte. Sie kamen auf die Gemälde zu sprechen, die das Kölner Wallraf-Richartz-Museum kürzlich angekauft hatte. Es hatte sich herumgesprochen, dass der neue Direktor für moderne Kunst auf Einkaufstour gewesen war, der Mann verstand sich meisterhaft auf Selbstvermarktung und wusste genau, wie er das Interesse der Zeitungen wecken konnte. Besonders ein Gemälde, teilte er den Reportern mit, werde für Furore sorgen, allerdings müssten sie bis zur feierlichen Enthüllung in Anwesenheit der deutschen Prominenz warten, um herauszufinden, um welches es sich handelte. Gerüchten zufolge hatte er bei van Goghs Sonnenblumen die National Gallery in London aus dem Rennen geschlagen.

      Matthias hatte eines der Sonnenblumen-Bilder nach dem Krieg in München gesehen. Er hatte nicht gewusst, dass van Gogh die Bilder eigentlich als Teil eines Triptychons geplant hatte; zwei Sonnenblumenbilder, eines auf gelbem, das andere auf türkisfarbenem Grund, sollten ein Porträt von Augustine Roulin an der Wiege einrahmen. Madame Roulin, die Frau des mit ihm befreundeten Postmeisters, hatte ihn während einer Krankheit gepflegt.

      »Er sah die Sonnenblumen als Lampen«, erklärte Julius. »Als Kandelaber, die seine weltliche Madonna anstrahlten. Es war außergewöhnlich, in diesen wenigen Wochen in Arles wurde er von einer Art Zauber erfasst, sein Pinsel musste die Leinwand nur berühren und sie erwachte zum Leben. Zwei vollständige Triptychen in wenigen Wochen, vielleicht auch mehr. Stell dir nur die leuchtenden Bilder auf den weiß getünchten Wänden im gelben Haus vor.«

      Matthias lächelte. »Mir gehören die Sonnenblumen. Hat er das nicht an Theo geschrieben?«

      »Und sie gehörten ihm auch und werden ihm immer gehören, auch wenn dieser schleimige Mistkerl Gauguin noch so sehr das Gegenteil behauptet. Kennst du die Geschichte nicht? Gauguin schrieb später, Vincent habe die Bilder nur auf seine Anregung hin gemalt, es sei Gauguins Idee gewesen, ›Sonnenblumen über Sonnenblumen im vollen Sonnenschein‹ zu malen. Da war Gauguin natürlich schon verarmt und lag im Sterben und hatte Angst, in Vergessenheit zu geraten. Besser, für die Meisterwerke von jemand anderem gewürdigt zu werden, als überhaupt nicht.«

      »Vincent hat viele, viele schlechte Bilder gemalt, aber seine großen Werke lassen einen verzagen«, sagte Julius später. Inzwischen war er betrunken, die Worte kamen lallend und schwer aus seinem Mund. »Ja, man sieht die Qualen, aber irgendwie liegt in ihnen keine Ernüchterung oder Bitterkeit. Da ist nur der Pinsel, der immer und immer wieder in sein pochendes, zerbrochenes Herz taucht.«

      »Was meinst du mit schlechten Bildern?«, wollte Matthias wissen.

      »Vincent war Autodidakt, er war ungeduldig und verehrte die falschen Künstler. Viele seiner frühen Werke sind unbeholfen. Schon damals jedoch gab er sich voll und ganz dem Malen hin, mit jeder Faser seiner selbst.«

      Und noch später, bei einer Flasche Cognac in seinem Arbeitszimmer: »Hier hat er mal gehangen, der van Gogh, meine Frau hat ihn gestohlen. Sie hat ihn mitgenommen, als sie mich verließ.«

      »So sehr hat sie das Bild geliebt?«

      »Sie hat es gehasst, und trotzdem hat sie es mitgenommen. Als Pfand. Sie wollte sichergehen, dass ich mich ihr gegenüber großzügig zeige.«

      »Dazu hätte sie das Bild nicht mitnehmen müssen.«

      Julius dachte an Harald Baecks Gesicht in dem überfüllten Bahnhof, daran, wie alle Farbe daraus gewichen war. »Wie kannst du das behaupten?«, sagte er bitter. »Du weißt nicht, zu welchen Grausamkeiten ich fähig bin.«

      »Ich weiß, dass du ein guter Mensch bist.«

      »Das bin ich nicht. Ich bin kein guter Mensch.« Die Art, wie Matthias ihn daraufhin ansah, brachte Julius fast zum Weinen. »Ich kann mir das Leben ohne dieses Gemälde nicht vorstellen, dabei habe ich einen Sohn. Was ist das für ein Mensch, dem ein Gemälde wichtiger ist als sein eigener Sohn?«

      »Aber du hast dich doch noch gar nicht entschieden.«

      »Nach außen hin vielleicht nicht. Aber was auch immer ich sage, was auch immer mein Anwalt im Gerichtssaal für mich fordert, ich weiß, dass es anders ist. Ich habe mich entschieden.«

      Matthias schüttelte den Kopf. »Du irrst dich. Die tiefsten Wünsche unseres Herzens suchen wir uns nicht aus. Unsere einzige Entscheidung besteht darin, ob wir danach handeln oder nicht. Ob das Leid, das wir verursachen …«

      Er brach ab, die Hände zu Fäusten geballt, doch Julius war zu betrunken, um etwas anderes als seinen eigenen Schmerz wahrzunehmen. »Und was soll mir das helfen?«, fragte er. »Glaubst du denn, das Wissen, dass du dich nicht ändern kannst, dass du tief im Kern verdorben bist, macht irgendetwas besser, nimmt dir die Schuld, das Schamgefühl?«

      »Nein, das glaube ich nicht.«

      »Was weißt du schon davon, jemand wie du, dem es im Leben nur um die Schönheit geht?«

      »Denkst du denn, ich habe keine Geheimnisse, ich schäme mich nie für das, was ich bin?«

      Julius lachte freudlos. »Du bist jung. Jeder will geheimnisvoll sein, wenn er jung ist.«

      »So ist es nicht, nicht bei mir.«

      »Nein? Dann sag es mir. Komm schon, erzähl mir deine peinlichen kleinen Geheimnisse.«

      Matthias spannte den Kiefer an, ballte die Hände so fest zusammen, als wollte er sich dafür wappnen, etwas zu sagen. Dann stand er unvermittelt auf und verließ den Raum.

      »Warte, wo willst du hin?«, rief Julius ihm nach. »Himmel noch mal, Matthias, komm zurück.« Schwankend stand er auf, torkelnd vor Trunkenheit, und stieß das Glas zu Boden. Auf dem Parkett breitete sich eine Cognacpfütze aus.

      Krachend fiel die Haustür ins Schloss. Julius stand wankend in der Tür des Arbeitszimmers. Er begriff kaum, was gerade geschehen war. Er rieb sich die Stirn, drückte mit den Fingern auf die Schläfen, doch der Alkohol machte ihm das Denken schwer, und er hatte das Gefühl, als würden weder seine Hände noch sein Gesicht ihm gehören. Er drückte stärker, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und ließ den Kopf gegen den Türpfosten sinken. Die kahle Wand im Arbeitszimmer starrte ihm im Feuerschein des Kamins entgegen, triumphierend leer.

      Frau Lang fand ihn am nächsten Morgen im Kinderzimmer, wo er im Sessel schlief. Sie beäugte seinen derangierten Abendanzug, die Arche Noah mit den Tieren, die nicht mehr paarweise aufgereiht standen, sondern verstreut herumlagen, und brachte ihm ein Tablett mit starkem Kaffee und zwei Aspirin, die sie ordentlich auf der Untertasse drapiert hatte. Unten im Arbeitszimmer hatte bereits jemand das zerbrochene Glas weggeräumt. Auf dem Tisch stand eine Vase mit Schneeglöckchen, den ersten Frühlingsblumen, und das Zimmer roch nach Bienenwachs und Lavendel. Er bat Fräulein Grüber, die Arche Noah zu Konstantin nach München schicken zu lassen.

      »Und zwar heute noch«, ordnete er an. Er kritzelte etwas auf ein Blatt Papier, das er in einen Umschlag steckte. »Das soll beigelegt werden.« Auf dem Blatt nur eine einzige Zeile: Ich denke immer an dich, dein dich liebender Papi. Ein Wort mehr und er hätte sich nicht mehr im Zaum halten können. Er bat die Stenotypistin, ihm ein Taxi zu rufen. Er habe eine dringende Verabredung in der Stadt.

      »Und geben Sie Frau Lang Bescheid, sie möchte mir Herrn Rachmanns Mantel und Hut nach oben bringen, ja?«, fügte er hinzu. »Ich liefere die Sachen unterwegs bei ihm in der Galerie ab.«

      Er wartete im Arbeitszimmer auf das Taxi, die Hände in den Taschen vergraben, und blickte reglos in den Garten hinaus. Eine Hand umschloss Noahs

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