Im gleißenden Licht der Sonne. Clare Clark

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Im gleißenden Licht der Sonne - Clare  Clark

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ging hinaus.

      Die Straße war eng und kopfsteingepflastert, die Backsteingebäude schienen sich verschwörerisch aufeinander zuzubewegen, wie um den Himmel auszusperren. Die meisten Häuser beherbergten kleine Geschäfte, einen Eisenwarenladen, einen Frisör, einen Tabakladen, dessen schmales Schaufenster mit gelbem Zellophan bezogen war. Die Schilder wirkten verwittert, die Farbe blätterte ab. Mehrere waren mit Brettern vernagelt. Auf halber Höhe der Straße lud ein Kohlenhändler Säcke von seinem Wagen in eine offene Kellerluke. Sein Pferd glotzte Julius teilnahmslos an. Es hob den Schwanz und ließ eine Portion saftige Pferdeäpfel fallen.

      Bei Hausnummer 98 stand auf einem Pappschild an der zweiten Klingel von oben Galerie für alte & neue Kunst. Die Pappe war wellig und aufgeweicht vom Regen. Julius war aus unerfindlichen Gründen nervös. Er holte tief Luft, strich Matthias’ Mantel über seinem Arm glatt und läutete.

      Niemand kam. Drei Stockwerke waren ein langer Weg, wenn man keinen Besuch erwartete. Er läutete noch einmal und ließ den Finger auf der Klingel. Gedämpft hörte er sie im Innern des Hauses krächzend widerhallen. Immer noch niemand. Julius trat einen Schritt von der Tür zurück. Vielleicht war Matthias ausgegangen. Oder vielleicht, dachte Julius beunruhigt, hatte er die Klingel gehört und wollte ihn nicht sehen. Vielleicht war er immer noch verärgert, aufgebracht. Und wartete bloß darauf, dass Julius ging. Während Julius so dastand und zu den Fenstern des dritten Stocks hinaufspähte, kam ihm in den Sinn, dass Matthias ihn nicht ein einziges Mal in die Neue Grünstraße eingeladen hatte, obwohl er über sein frisch gegründetes Unternehmen doch so begeistert gewesen war. Der Gedanke war wie ein Schatten, der über ihn hinwegzog, und ließ ihn frösteln. Als er Schritte im Haus hörte, wäre er am liebsten davongelaufen. Stattdessen zwang er sich zu lächeln.

      Die Tür öffnete sich. Ein großer, untersetzter Mann blickte ihn finster an. Er trug ein kragenloses Hemd, nicht allzu sauber, die aufgerollten Ärmel entblößten kräftige, dunkel behaarte Unterarme. Julius nahm an, dass es Matthias’ Bruder war, obwohl sie einander nicht die Spur ähnelten. Er hatte sich einen Geschäftsmann vorgestellt, mit angenehmen Manieren und im Anzug, dieser Mann hingegen wirkte wie ein Raufbold. Er roch nach Zigaretten und Terpentin.

      »Was ist?«, fragte der Mann und klemmte den Stiefel in die Tür, um sie offen zu halten.

      »Ich … ich hatte eigentlich gehofft, Herrn Rachmann anzutreffen«, sagte Julius und sah auf den Mantel über seinem Arm und den Hut in seiner Hand. »Ich habe ein paar Sachen von ihm. Sind Sie sein Bruder?«

      Der Blick des Mannes wurde noch finsterer. »Wer will das wissen?«

      Julius nahm eine abweisende Haltung an. Vielleicht waren es doch Brüder. Er schürzte auf dieselbe Art wie Matthias die Lippen und zog dabei die Wangen ein, aber während es bei Matthias immer so aussah, als müsste er sich das Lachen verkneifen, wirkte sein Bruder, als würde er ihm gleich einen Faustschlag verpassen. Er strahlte eine Präsenz aus, die das gesamte Licht dieses grauen Nachmittags aufzusaugen schien.

      »Mein Name ist Köhler-Schultz«, sagte Julius kühl. »Ich bin ein Kollege von Matthias. Ein Freund.«

      Da veränderte sich die Miene des Mannes. Er beugte sich vor und kräuselte spöttisch und verächtlich die Lippen. »Sein Freund? Scheiße, Sie sind wirklich ein arrogantes Arschloch.« Höhnisch räusperte er sich und spuckte einen schleimigen Klecks auf das Pflaster neben Julius’ Fuß. Dann trat er zurück und knallte die Tür zu.

      »Was zum Teufel glauben Sie, wer Sie sind?«, brüllte Julius und drückte erneut auf die Klingel, immer wieder, bis er ihr durchdringendes Krächzen in den Zähnen spürte, aber dieses Mal kam niemand.

      Er kehrte mit Matthias’ Mantel und Hut in die Meierstraße zurück. Matthias konnte sie bei seinem nächsten Besuch mitnehmen. Als das Telefon klingelte, fuhr er zusammen und eilte in den Morgensalon, wo Fräulein Grüber ihm den Hörer reichte. Aber nicht Matthias, sondern Böhm war am Apparat. Er klang finster. Es habe sich ein unerwartetes Problem ergeben. Luisas Anwalt habe nicht nur die Forderungen in Julius’ Scheidungsklage zurückgewiesen, sondern bei Gericht eine Gegenklage eingereicht, mit Julius als Beklagtem.

      »Das können sie doch überhaupt nicht«, schimpfte Julius erbittert. »Unsittliches Verhalten, meine Güte. Was soll das überhaupt bedeuten?«

      »Das werden wir erst herausfinden, wenn wir die Klageschrift gesehen haben. Natürlich besteht immer die Möglichkeit, dass sie nur bluffen, das Verfahren hinauszögern wollen, um Sie zum Verhandeln zu zwingen. Es tut mir leid, Sie das fragen zu müssen, aber könnte es sein, dass Ihre Frau vielleicht doch etwas gegen Sie in der Hand hat?«

      Julius verdrängte den Gedanken an Harald Baeck und ließ sich ganz von dem bitteren Zorn erfüllen, der in ihm aufstieg. »Sie wissen, was sie hat. Mein Kind und mein Bild.«

      An jenem Abend kam Matthias nicht in die Meierstraße. Julius hielt es nicht hinter seinem Schreibtisch aus, die leere Wand starrte ihn vorwurfsvoll an. Er nahm das dünne Bündel mit Luisas Briefen, das er nie hatte wegwerfen können, und ließ einen Brief nach dem anderen ins Feuer fallen, aber es half nichts. In den Flammen sah er Matthias vor sich, seine verletzte Miene, als er aus dem Arbeitszimmer gestürzt war. Auch was Matthias’ Bruder gesagt hatte, ging ihm nicht aus dem Sinn, seine höhnische Verachtung. Sie sind wirklich ein arrogantes Arschloch. Unsittliches Verhalten, dachte er, und sein Magen verkrampfte sich zu einem Knoten aus Unbehagen, Wut und Schuld.

      IX

      Es war Geisheim von der Tribüne, der darauf bestand, dass Julius nach Köln fuhr. Der Name Köhler-Schultz werde in einem Atemzug mit dem van Goghs genannt, sagte er und ignorierte Julius’ Einwände. Falls sich das Wallraf-Richartz-Museum die Sonnenblumen tatsächlich habe sichern können, wie alle Informanten der Tribüne behaupteten, wollte Geisheim, dass Julius als Erster die Nachricht verkündete.

      »Geben Sie Ihren Bericht telefonisch durch«, rief er ihm zu, bereits den halben Flur entfernt auf dem Weg zur nächsten Sitzung. »Kommt nicht oft vor, dass Kunst Schlagzeilen macht. Wir müssen die Ersten sein.«

      Draußen vor der Zeitungsredaktion schloss sich der graue Himmel über der Stadt wie ein Augenlid. Es war bitterkalt. Der Berliner Winter, provoziert von den ersten Regungen des Frühlings, schlug zurück. Eigentlich hatte Julius vorgehabt, nach Hause zu gehen. Stattdessen marschierte er mit hochgezogenen Schultern ostwärts die Leipziger Straße entlang. Auf der Grünstraßenbrücke blieb er stehen, sah auf seinen dunklen Schatten im tiefschwarzen Wasser hinab, dann hinüber zum zugenagelten Restaurant Ecke Wall- und Neue Grünstraße. Der Gedanke, hier zufällig auf Matthias zu treffen, war mindestens ebenso unangenehm wie verlockend, und so blieb er müßig auf der Brücke stehen, halb hoffend, halb bangend, ihn irgendwo zu entdecken. Die Eiseskälte des Bodens kroch langsam durch seine Schuhsohlen.

      Ein scharfer Wind fegte zwischen den Gebäuden hindurch und fuhr ihm in den Mantel. Julius legte seine Hände an den Mund und spürte seinen warmen Atem durch das Leder der Handschuhe hindurch. Er dachte an Konstantin in München, wie er die Arche Noah öffnen würde. Er wäre gern dabei gewesen. Der eisige Wind trieb ihm Tränen in die Augen, und seine Nase begann zu laufen. Als er das Taschentuch aus seinem Mantel zog, fiel ein gefalteter Zettel auf den Boden.

      Steif beugte er sich hinunter, um ihn aufzuheben. Es war eine Tuschzeichnung, das Papier an einer Seite unregelmäßig gezackt, wo man es aus einem Skizzenbuch gerissen hatte. Wie das Bild in einem Traum war es gleichzeitig sehr vertraut und verstörend falsch, van Goghs Selbstbildnis mit verbundenem Ohr, nur dass es nicht Vincents Gesicht war. Stattdessen blickte eine junge Frau unter Vincents Pelzmütze hervor, die Lippen geschürzt. Sie erinnerte Julius an jemand, auch wenn er das Gesicht gerade niemandem zuordnen

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