als die wahrheit noch männlich und katholisch war. Franziska Maria Papst
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Читать онлайн книгу als die wahrheit noch männlich und katholisch war - Franziska Maria Papst страница 13
Es war ein Spätsommertag und das Sonnenlicht fiel, durch die bunten Kirchenfenster gebrochen, in langen Streifen in das Mittelschiff. Der goldene Hochaltar war in sanftes Licht getaucht und Tante Maria stand auf der untersten Stufe zum Altar und hantierte mit Silberleuchtern. Im Halbdunkel sah sie wie eine lebendige Statue aus, die gerade von der Balustrade gestiegen war und die sonst einsame Kirche mit einem fast unwirklichen Leben erfüllte. Es war gerade so, als ob die Heilige Katharina lebendig geworden wäre.
Tante Maria war immer elegant angezogen, auch wenn sie arbeitete, wenngleich sie mit ihrem schlichten blauen Rock und mit ihrer bunten Bluse mehr dem Bild einer Lehrerin, als der Heiligen Katharina entsprach. Sie summte leise eines dieser Kirchenlieder vor sich hin, die sie aus ihrer Kindheit kannte und ich spürte eine Riesensehnsucht in meinem Herzen. Ich hätte am liebsten das Rad der Zeit angehalten und ewig Tante Maria zugeschaut. Als sie mich kommen hörte, drehte sie sich um und lächelte mich an. Sie nickte und flüsterte mir leise, als ob sie die Stille der Kirche nicht durchbrechen wollte, zu:
„Babette, schau doch gleich mal beim Marienaltar nach, ob abgebrannte Kerzen zum Wegräumen sind.“ Ich schwebte fast ins andere Eck der Kirche. Unter einer großen Madonnenstatue stapelten sich Heiligenbildchen, Fotos, Andenken, kleine Kunstwerke und viele Dankesbriefe an die Muttergottes, die Menschen in ihrer Not geholfen hatte. Auf einem Ständer davor konnte man Kerzen anzünden. Ich näherte mich mit großer Ehrfurcht der Statue. Die Wünsche, die die Menschen vor die Muttergottes gebracht hatten, schienen in diesem Eck lebendig zu werden, und ich wollte sie nicht zerstören. Vorsichtig zog ich ein paar abgebrannte Kerzen aus ihrer Halterung und kratzte ein bisschen Wachs vom Metallständer. Um auch die hinteren Stellen zu erreichen, kniete ich mich nieder und beugte mich vor. Auf einmal war es, als ob mich die Muttergottes berühren würde.
„Danke, Babette“, flüsterte sie mir zu. Ich errötete und beeilte mich aufzustehen. Aus lauter Respekt murmelte ich ein Ave Maria - ich konnte nicht anders -, packte die Kerzenreste und schlüpfte aus der Kirche in das helle Sonnenlicht. Froh etwas Banales zu tun zu haben, steuerte ich den Mülleimer an, um die Kerzenreste wegzuwerfen.
die sache mit der verantwortung
Als ich wieder in die Kirche kam, war Tante Maria mittlerweile mit den Vorbereitungen für den Abendgottesdienst beschäfigt. Sie hielt das schwere Lektionar aufgeschlagen in ihrer Hand und war in das Evangelium vom Tag vertieft. Ich hörte, wie sie leise vor sich hinmurmelte.
„Was gibt’s Tante Maria“, fragte ich.
„Ach“, lachte sie auf, „sieh nur, das ist die Stelle von der Brotvermehrung. Na, wenn das keine Aufforderung ist. Wir sollten wirklich mehr selbst tun und Verantwortung übernehmen, und nicht immer wie Schafe hinterherlaufen und warten.“
Ich verstand nicht. Selbst tun? Schafe? Ich musste Tante Maria ziemlich verständnislos angeblickt haben, denn sie schmunzelte und schob mir das Lektionar zu. Ich warf einen kurzen Blick auf die Überschrift: Die Speisung der Fünftausend.4
„Die Geschichte kenne ich“, meinte ich gelangweilt. „Das ist die wunderbare Brotvermehrung. Die haben wir schon in der Volksschule gelernt. Da wird aus fünf Broten und zwei Fischen g a a a n z viel Essen.“ Bei ganz viel holte ich mit meinen Armen weit aus, wie um zu beweisen, dass ich die Geschichte schon kannte.
„Ach, so?“ schaute mich Tante Maria mit einem spitzbübischen Blick an. Ich spürte, dass sie eigentlich auf etwas Anderes hinauswollte. Also lehnte ich mich zu ihr hinüber, legte meinen Kopf auf ihren Unterarm und schielte auf den Bibeltext. Tante Maria freute sich über mein Interesse und holte tief Luft.
„Na, wir hatten doch letztens die Diskussion über Leonardo Boff“, sagte sie.
Ich erinnerte mich natürlich nicht, nickte aber wissend.
„Daraufhin habe ich mich gefragt, was eigentlich das Geheimnis der Bibelauslegung für die Armen ist. Was haben Gutierrez, Romero, Camera, Boff und all die anderen gemeint, als sie die Option für die Armen propagierten? Ich meine, Jesus hat doch immer schon die Armen und die Ausgegrenzten geliebt. Aber erst seit ich mich damit beschäftigt habe, wie das unterdrückte lateinamerikanische Volk die Bibel liest, habe ich verstanden, was für ein unheimlich sozialkritisches Potenzial in Jesus steckt.“
Tante Maria machte eine kurze Pause. Ich schaute sie ehrfürchtig an. Damals kannte ich all diese Namen nicht und wusste schon gar nicht was sie mit sozialkritischem Potenzial meinte, aber ich fühlte, dass sie recht hatte.
„Jesus macht es sich ganz schön bequem“, zwinkerte sie mir dann zu und grinste. „Er vollbringt gar kein magisches Wunder.“
„Nicht?“ fragte ich erstaunt.
„Nein, schau mal. Er sagt zu den Jüngern: Gebt ihr ihnen zu essen. Verstehst du? Jesus fordert ein. Er ist nicht der überfürsorgliche Papa, der sein Volk verwöhnt. Er fordert. Strengt Euch an! Tut! Gebt ihr ihnen zu essen. Denkt nach! Macht! Organisiert Euch! Sehen. Urteilen. Handeln. Das war schon für die christlich-soziale Arbeiterbewegung wichtig.“
Ich wurde neugierig und blickte genauer auf den Text.
„Die Jünger sorgen sich um das leibliche Wohl der Leute“, fuhr Tante Maria fort. „Unser tägliches Brot. Es geht um die Erfüllung der Grundbedürfnisse. Die Option für die Armen bedeutet, dass wir auf die Armen schauen sollen und ihre Bedürfnisse wahrnehmen sollen.“ Dann begann sie laut zu lesen:
„Die Apostel versammelten sich wieder bei Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus. Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen. Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber man sah sie abfahren und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an. Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben.“
Und schon war ich in meinen Gedanken an einem einsamen Ort. Wie es dort wohl ausgesehen haben mag? Am anderen Ufer des Sees erstreckte sich eine weite Steinwüste. Im Schatten einiger großer Felsen wuchsen ein paar einsame dürre Büsche. Ein Schaf hatte sich verlaufen und knabberte gierig an den Blättern. Ich kniff die Augen vor dem gleißenden Sonnenlicht zusammen und sah noch weitere Schafe, die herbei getrottet kamen, um im Schatten der Steine vor der Sonne Schutz zu suchen. Das knabbernde Schaf hielt inne und blickte die anderen Schafe freundlich an. Ich musste lachen. Da waren sie, die Schafe, von denen Tante Maria gesprochen hatte.
„Mäh“ sagte ich leise, doch meine Tante schien mich nicht zu hören. Sie war in den Text vertieft und las laut vor:
„Und er lehrte sie lange. Gegen Abend kamen seine Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen und es ist schon spät.“
„Oh jeee“, stellte ich fest. Ich konnte mit diesen hungrigen Menschenschafen mitfühlen. Sie waren, ohne zu denken, Jesus nachgelaufen. Und jetzt wurde es