als die wahrheit noch männlich und katholisch war. Franziska Maria Papst
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„Ja, es war ja damals schlimm genug, dass ich einen Antrag stellen musste, dass ich in der evangelischen Kirche Orgelunterricht nehmen darf“, erzählte sie eines Tages nach einer Messe, als ich mit meiner Mutter vor der Kirche stand und diese die Mesnerin begeistert auf ihr Orgelspiel angesprochen hatte.
„Die allergrößte Bedrohung dieser Zeit kommt allerdings von außen“, raunte sie mir mit geheimnisvoller Stimme zu und beugte sich zu mir. „Es ist der Atheismus, der sich mit rasanter Geschwindigkeit in den kommunistischen Ländern Osteuropas ausbreitet. Nimm dich in Acht vor den Gottlosen, Babette“, warnte sie mich und erhob ihren Zeigefinger.
Es gab also etwas, was noch frevelhafter war, als evangelisch zu sein: Der Atheismus.
Der Atheismus unterdrückte im Kommunismus die armen Menschen jenseits der Mauer, wo sich das wüste Niemandsland erstreckte. Ich sah den Atheismus wie einen riesengroßen, metallenen, rostigen Roboter an der Grenze zur damaligen Tschechoslowakei stehen. Es war die einzige Grenze die ich kannte. Also stellte ich mir alle Grenzen gleich vor. Der Roboter rollte mit seinen furchterregenden Augen und schaute mit bösem Blick zu uns katholischen Österreichern herüber. Dann hob er seinen Arm, fuhr diesen wie ein Staubsaugerrohr aus und begann auf unserer Seite der Grenze alles Katholische weg zu saugen. Ich fürchtete mich, machte die Augen zu und flüchtete mich in die heile Welt meiner Familie. Denn, dass der Atheismus einmal bei uns ankommen könnte, wurde in unserer Familie als hoffentlich-niebei-uns ignoriert.
Nichtsdestotrotz fiel die erfolgreiche Polarisierung zwischen evangelisch und katholisch bei mir auf fruchtbaren Boden. Extra ecclesiam nulla salus – Außerhalb der Kirche kein Heil. Heute erscheint mir diese Definition wie aus dem tiefstem Mittelalter. Aber damals, ganz tief in meinem Inneren, gefiel es mir. Es gab mir Sicherheit. Extra ecclesiam war eine Vorstellung, die noch die Generation meiner Eltern in ihrem Denken und Handeln geprägt hatte. Mittlerweile, durch das Zweite Vatikanum revidiert, lässt sie Vertreter dieser Haltung als ultrakonservativ und intolerant erscheinen. Aber es war eine Definition, die sich nicht einfach aus den Köpfen streichen ließ. Die katholische Kirche definierte sich selbst als das Richtige und das evangelische Bekenntnis als das Falsche. Ob es wirklich richtig war, konnte ich aus meiner damaligen Perspektive nicht beurteilen. Ich war schließlich katholisch. Und ich empfand es für richtig. Mehr noch, es fühlte sich gut an. Ich gehörte dazu. Es gab mir Selbstbewusstsein und Identität. Meine Familie und mein katholisches Umfeld boten mir einen Platz in dieser großen weiten Welt.
„Du gehörst zu den Besseren, zu den Richtigen“, da war sie wieder, diese Stimme, die mir in zweifelhaften Momenten Sicherheit einflüsterte und schon ging es mir besser. Dazuzugehören. Welchem Mädchen in meinem Alter wäre das nicht wichtig gewesen?
kleinkariert und lila wolle
Auch eine katholische Klosterschule vereint Schüler mit den unterschiedlichsten Lebensentwürfen. Und so wurde ich in der Schule mit anderen Welten konfrontiert, die mir allerdings, im Vergleich zu meiner tollen Familienwelt, schäbig und kleinkariert erschienen. Schnell verurteilte ich andere als minderwertig, ohne zu hinterfragen, ob es nicht möglicherweise i c h war, die da eine zu enge Sicht besaß.
An den meisten meiner Klassenkolleginnen gingen die Neuerungen der Zeit nicht spurlos vorüber. Fernsehen und Auslandsreisen brachten die Globalisierung und mit ihr die Forderung nach Toleranz und die Sehnsucht nach einem Leben jenseits von Ideologien. Im Vergleich zu meinen Kolleginnen hatte ich ein sehr konservativ zugespitztes Weltbild, das ich mit wenigen Verbündeten teilte. Aber auch hier funktionierte der Trick mit Ausgrenzung und Entwertung der Anderen. Wenn ich auf meiner Sichtweise beharrte und mich selbst darin bestärkte, dass ich nur wegen meiner Besonderheiten eine Außenseiterin wäre, fühlte sich das schon ganz anders an. Ich war besser als die Anderen. Dieses Argument des Auserwählt-Seins konnte vor allem eines: mein schwaches Selbstbewusstsein heben und mich die Dinge wieder in einem anderen Licht sehen lassen, meinen kariert-gestreiften altmodischen Kleidungsstil zum Beispiel.
Kleidung zählte daheim zu den praktischen und nicht zu den schönen Dingen des Lebens. Natürlich war es selbstverständlich sauber gekleidet zu sein, aber für bunten, modischen Schnickschnack hatte man kein Geld. Meine Mutter hatte auch kein Gefühl dafür, ob etwas modern war oder nicht. Jetzt im Nachhinein betrachtet, war es für eine Nachkriegsgeneration natürlich selbstverständlich in den notwendigen Dingen des Lebens den Nutzen und nicht unbedingt die Schönheit zu sehen. Kleider wurden über die ganze Verwandtschaft hinweg weiterverteilt und auf gut erhaltene Stücke hatte man aufzupassen, damit auch noch Geschwister oder jüngere Cousinen ihre Freude daran hatten. Aus Sparsamkeit konnte so manches Kleidungsstück schon über mehrere Kindergenerationen vererbt werden, wobei ich mit meinen Erbstücken in der Schule schon mal einen Lacherfolg erzielte. Gott sei Dank hatte ich doch einige Freundinnen deren Eltern ähnlich dachten und die somit ein vergleichbares Schicksal erlitten. An Ausgrenzung gewöhnt, drehten wir den Spieß einfach um und waren dann die Lässigen, im Gegensatz zu den Schönen.
Trotz allem ist es für ein zwölfjähriges Mädchen nicht unbedingt einfach zu denen zu gehören, deren Aussehen schlichtweg negativ kommentiert wurde. Eines Tages nahm mich Michaela zur Seite und sagte mir im Vertrauen:
„Weißt du eigentlich, dass ausgestellte Hosen überhaupt nicht mehr in sind. Kennst du nicht jemanden, der sie enger nähen könnte?“ Im ersten Augenblick war ich verletzt. Wie konnte sie es wagen mich zu kritisieren? Dann aber fühlte ich so etwas wie weibliche Verbundenheit und einen Anfall von Dankbarkeit. Sie versuchte mir die Augen zu öffnen. Ich begann die anderen Mädchen in der Schule zu beobachten. Tatsächlich. Keine der Schönen trug ausgestellte Hosen. Die waren etwas für die 1970er Jahre. Jetzt, in den 1980ern, waren hautenge Jeans angesagt. Je anliegender, desto besser. Es dauerte nicht lange und ich hatte mit Hilfe meiner Schwester meine Hosen enger genäht. Meine Mutter bemerkte das und war alles andere als begeistert. Aber anstatt mir eine Ohrfeige zu geben und mich zu fragen, wie ich es wagen könne meine Kleidung zu verunstalten, war sie seltsam freundlich.
„Warum hast du denn deine Hosen umgenäht?“, fragte sie mit liebevoller Stimme. Ich war überrascht über ihr Verständnis für meine Notlage und platzte heraus, dass ich in der Schule ausgelacht werden würde, weil ich so komisch angezogen sei.
„Aber Babette“, säuselte sie, „hör doch nicht auf das, was die anderen sagen. Du hast es doch nicht nötig mit der Mode zu gehen. Mode, das ist nur was für Angepasste, für Dumme, du bist doch etwas Besonderes.“
Es funktionierte. Meine Gedanken begannen zu kreisen. Ja richtig, ich brauchte mich nicht über Kleidung definieren. Ich gehörte schließlich zu den Besseren. Schönheit war nicht so wichtig. Und in meiner Naivität dachte ich, dass ich klug und intelligent sei. Die anderen, die sich modisch anzogen, waren dumm, denn sie hatten nichts im Kopf als Kleider. Dass Mode nicht mit klug oder dumm gleichgesetzt werden konnte, sondern auch ganz andere Aspekte des Lebens beinhaltete, kam mir damals nicht in den Sinn.
Trotzdem hatte Michaela etwas in mir ausgelöst. Sie hatte eine Sehnsucht in mir erweckt. Es war eine Sehnsucht nach Ästhetik. Ich begann zu spüren, dass es Dinge gab, die mir gefielen, einfach deshalb, weil sie mir gefielen, und nicht, weil jemand sagte: die sind schön oder die sind modern.
Ich begann, mir Gedanken zur Schönheit zu machen. Das erste Mal in meinem Leben war es mir möglich Kunst aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, nämlich mit der Frage in meinem Inneren, ob i c h es schön fand.
Von da an beurteilte ich Kunst nicht mehr danach, ob dies der eine oder der andere berühmte Künstler gemacht hatte. Ich verstand, dass Schönheit im Auge des Betrachters lag. Mit Michaela verband mich von dem Moment an so etwas wie Dankbarkeit. Sie hatte mir mit einer Direktheit gezeigt, dass man Dinge auch