als die wahrheit noch männlich und katholisch war. Franziska Maria Papst
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Meine Mutter ging regelmäßig in die Kirche und setzte mit ihrem religiösen Aktivismus ein Zeichen für ihr Gutsein. Sie hatte aber durch ihre patriarchale Prägung im Grunde nur einen einzigen Gott: meinen Vater. Trotzdem war unsere ganze Familie katholisch. Genau genommen: die ganze Großfamilie. Der Sonntagsgottesdienst und ein gewisses kirchliches Engagement waren selbstverständlich. Man setzte sich für eine gute Sache ein und glaubte vor allem an die Moralinstanz Kirche. Die Kirche und mit ihr eine ethische Regelung des Lebens war schließlich ein Bollwerk in dieser verluderten Welt.
Ich wuchs in einem 1960er Jahr Wohnblock in einem gutbürgerlichen Stadtviertel auf. Es war einer von diesen Betonbauten, die schnell hochgezogen wurden, um möglichst vielen Menschen eine eigene Wohnung zu verschaffen, aber doch ein gewisses ästhetisch-architektonisches Mindestmaß boten. Meine Eltern brachten es zu Wohlstand, den sie jedoch nicht auslebten. Sie deponierten das Geld lieber am Bankkonto, für den Fall, dass einmal wieder schlechte Zeiten kommen würden. Sie zählten zu dieser Nachkriegsgeneration, die verbissen arbeitete, sich nichts gönnte und für die Anerkennung der erstrebenswerte Sinn des Lebens war.
In diesem Wohnblock machte ich aber gleichzeitig die Erfahrung, dass es auch Menschen gab, die anders dachten.
Unsere Nachbarin war katholisch, aber sie ging nie in die Kirche. Meine Eltern sagten immer:
„Na ja, das sind halt die sozialistisch geprägten“. Für sie waren die Sozialisten die einfachen Arbeiter, die es im Leben nicht weit bringen würden, aber zu denen man großzügig zu sein hatte, schließlich produzierten s i e, was w i r zum Leben brauchten. Wir hingegen hatten eine gewisse Verantwortung. Wenn wir mit den Nachbarskindern spielten, schlich sich mir manchmal ganz heimlich die Vermutung ein, dass diese mehr Freiheiten und weniger Verbote hätten. Ich spürte leichten Neid aufkommen, den ich aber gleich wieder zur Seite schob. Sie hatten die schlechteren Tischmanieren und sie würden einmal die minderwertigen Jobs bekommen. Also war es besser, b e s s e r zu sein.
Zu meinen Eltern hatte ich wenig Beziehung. Es lässt sich eher so beschreiben, dass sie meine selbstverständliche Umgebung waren, schließlich gab es keine andere. Sie waren das Umfeld in dem ich aufwuchs.
Mein Vater war Familienerhalter und zugleich ein Patriarch, der im Grunde nur seine eigenen Wünsche kannte und verbal um sich schlug, wenn jemand auch nur anders dachte. Er konnte cholerische Anfälle bekommen, wenn das Essen nicht seinem Geschmack entsprach oder Kinder laut brüllend durchs Zimmer rannten. Dann lief sein Gesicht rot an. Seine Augen traten hervor und glichen toten Tintenfischen, die an die Wasseroberfläche gespült worden waren. Wenn sich die Krakelfüße der Tintenfische dann in seinem Gesicht ausbreiteten, bedeutete das für uns Kinder vor allem eines: In einer Katzenlauerstellung das freundlichste Gesicht der Welt aufsetzen, sich ganz still und leise verhalten und ihn andächtig anbeten. Das gab ihm offenbar ein Gefühl von Kontrolle und er beruhigte sich schnell wieder.
Meine Mutter hatte nur Augen für ihn (und für sich) und hatte ihre Pflichten mit der Geburt von vier Töchtern erfüllt, auch wenn alle stillschweigend bedauerten, dass kein Sohn da war, um das väterliche Patriarchat zu übernehmen. Aber das würden ja dann in weiterer Folge die zukünftigen Schwiegersöhne tun, so die Hoffnung. Als meine Mutter nach der vierten Tochter eine Fehlgeburt hatte, war die Geburtenplanung schließlich abgeschlossen.
Nach außen hin waren wir eine nette, gut-österreichische Familie, die christliche Werte hochhielt. Der Familienverband hatte einen hohen Stellenwert, was sich in artigen Weihnachtsbesuchen und erfolgreichen beruflichen Karrieren auszudrücken hatte, die der gesamten Sippschaft ein Netzwerk und gesellschaftliche Anerkennung boten. Im alltäglichen Miteinander waren wir Töchter allerdings den Großteil unserer Kindheit uns selbst überlassen, eingebettet in ein selbstverständliches strenges Gedankengebäude. Es mag seltsam klingen, aber wir gehorchten unbewusst Vorgegebenem. Auf den ersten Blick hatten wir viel Freiheit. Untertags schaute uns niemand auf die Finger, was wir als scheinbares Paradies betrachteten. In Wirklichkeit gab es allerdings sehr strenge Spielregeln. Nur wenn man sich an diese hielt, dann konnte man gut überleben.
So merkte ich beispielsweise bald, dass ich mich nicht allzu auffällig benehmen durfte. Kein Mensch kümmerte sich darum, was wir taten, solange wir dann da waren, wenn wir da zu sein hatten. Ich war eines jener Kinder, die sich wie ein Chamäleon anpassen konnten. Unsichtbar, wenn die Eltern mit sich beschäftigt waren, jedoch sichtbar, wenn es darum ging kindliche Pflichten zu erfüllen.
Diese Pflichten bestanden keineswegs im Aufräumen oder Putzen. Das war niedere Arbeit. Unsere kindlichen Aufgaben bestanden vor allem im Repräsentieren und Bewundern. Es galt ein bestimmtes Bild unserer Familie nach außen zu transportieren. War Besuch da, so hatten wir wohlerzogen und leistungsbewusst zu sein. Meine älteste Schwester wurde wegen ihrer guten schulischen Leistungen gelobt und die Jüngste spielte ein Klavierstück vor. Man konnte etwas, wusste etwas und man war eine Tochter zum Heiraten. Das klang ein bisschen nach Relikt aus dem 19. Jahrhundert, aber es war ein Wert, der nicht nur in unserer Familie, sondern ganz allgemein in bürgerlichen Kreisen hochgehalten wurde. Männer heirateten eine gute Partie und Frauen wurden geheiratet. Und das Ganze diente dem Erhalt der Sippe.
Damit beschäftigt ein Ideal aufrecht zu erhalten, merkte ich bald, dass ich gewisse Dinge nicht denken durfte. So war es von Seiten meiner Eltern her streng untersagt, auch nur ansatzweise zu überlegen, dass irgendetwas in unserer Familie falsch sein könnte. Es war verboten auch nur zu ahnen, dass das, was mein Vater sagte, nicht richtig sein könnte. Darüber hinaus hatte man im Vorhinein die Wünsche unseres Vaters zu kennen und zu erfüllen. Es war eine Art vorauseilender Gehorsam. Wir lebten in einem selbstverständlichen Patriarchat. Wir kannten es nicht anders.
Wenn es zum sonntäglichen Familienausflug losging, standen wir eine Viertelstunde lang aufgereiht wie die Orgelpfeifen, Stiefel und Mantel bereits angezogen, im Vorraum. Mein ungeduldiger Vater hatte es sich zur Gewohnheit gemacht seinen Mantel erst dann anzuziehen, wenn wirklich alle fertig waren. Es wäre eine Zumutung gewesen ihn warten zu lassen. Das lief dann so ab:
Mein Vater saß am Klavier und trällerte eines seiner volkstümlichen Lieder während meine Schwester mit den Schnürbändern ihrer Stiefel kämpfte. Ich schielte zu ihr. Die Ösen, in die sie mühsam die schwarzen Bänder einfädelte, wurden in meiner Phantasie immer größer. Wie Maikäfer begannen sie sich zu bewegen und die Stiefel hinauf und hinunter zu krabbeln. Meine Schwester versuchte verzweifelt sie einzufangen, um ihre Schnürbänder daran festzumachen. Während ich sie so beobachtete, wurde mir immer wärmer und Schweiß begann an mir hinunter zu rinnen. Ich fühlte wie mein Unterhemd feucht wurde. Aber ich stand steif wie eine Zinnsoldatin mit einem süßen Lächeln im Gesicht. Ich wollte ja schließlich keine Ohrfeige riskieren. Diese Eigenschaft äußerlich ruhig zu bleiben und viel auszuhalten, nicht umzufallen oder auszurasten, ist mir in meinem Leben noch oft zu Gute gekommen. Schlussendlich waren wir dann alle angezogen und mein Vater startete hocherhobenen