als die wahrheit noch männlich und katholisch war. Franziska Maria Papst
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Ähnliches passierte mir in Englisch. Ich fand den Englischunterricht ziemlich langweilig. Um nicht zu sagen ä u ß e r s t langweilig. Um mich zu beschäftigen, begann ich meine Hefteinträge spiegelverkehrt zu schreiben. Von rechts nach links. Anfangs war das eine ziemliche Herausforderung, doch bald machte es mir richtig Spaß. Ich tat dies so lange, bis meine Lehrerin die nicht korrekt eingetragenen Vokabeln bemerkte.
„Was soll das Babette“, schimpfte sie. In meiner Schüchternheit wusste ich kaum zu antworten.
„Wir üben uns hier nicht in Geheimschrift, sondern wir lernen Englisch. Wie willst du denn zuhause entziffern, was wir gelernt haben.“ Ich blickte mit rot angelaufenem Gesicht zu Boden. Durch die Rüge eingeschüchtert, traute ich mich nicht zu sagen, dass es ja wohl keinen Unterschied mache, ob ich die Vokabeln von links nach rechts oder von rechts nach links lesen würde. Leider hatte ich sie nicht gelernt und deshalb war meine schlechte Note vorprogrammiert. Ich fürchtete mich schon vor dem, was meine Eltern sagen würden, aber die Lehrerin gab sich damit zufrieden, dass ich das Heft neu schrieb. Von links nach rechts.
Ich redete mir ein, dass dies nur unbedeutende kleine Schulerlebnisse wären. Aber all diese Kleinigkeiten indoktrinierten und durchdrangen mein Denken. Sie spiegelten auch den Mainstream einer Zeit wider, denn sie lehrten mich meinen Lehrern und nicht meiner Intuition zu gehorchen.
Genauso ging es wohl meinen Lehrern, die, wenngleich eine Generation vor mir geboren, ihrerseits prägende kindliche Erfahrungen gemacht hatten. Auch sie waren durch unvorhergesehene Traumata beeinflusst und wurden zu Handlungsweisen verführt, die eines Lehrenden aus heutiger Sicht unwürdig sind. Es sind manchmal nur einzelne Worte, kleine Gesten oder auch gut gemeinte Ratschläge, die sich in unserer Erziehung breitmachen. Aber besteht Lebenserfahrung nicht aus tausenden kleinen Momenten? Manchmal sind es kleinste Blitzlichter der Erfahrung, die uns automatisch - wie ein verwundetes Wildkätzchen - reagieren lassen, weil sie unsere Überlebensinstinkte ansprechen. Um kindliche Prägungen zu reflektieren, zu kategorisieren und eine möglichst menschliche Entscheidung zu treffen, braucht es Zeit und die Distanz eines Erwachsenen. Um niedere Instinkte zu unterdrücken, wie beispielsweise auf Gewalt nicht wieder mit Gewalt zu reagieren, braucht es oft mehr als übermenschliche Anstrengung.
Die Schule entsprach also nicht meinen Vorstellungen. Ich hinterfragte das jedoch nicht und versuchte mich anzupassen. An strenge unausgesprochene Regeln und konkrete Vorgaben gewöhnt, war ich ruhig und vor allem schüchtern. Alle vier waren wir ruhig und schüchtern, sei es in der Schule, zu Hause oder bei Freunden. Ich wusste, dass wir nicht widersprechen durften und schon gar nicht schreien oder provozieren.
Mein Umfeld, der in ihr umherwandelnde Zeitgeist und ein patriarchal geprägtes Elternhaus, lehrten mich also das zu tun, was man von mir erwartete. Mehr noch, ich war gezwungen, ein vorauseilendes Feingefühl für unausgesprochene Befehle zu entwickeln. Die oberste Priorität war b r a v zu sein. Brav und folgsam bedeutete in meinem Fall schon im Vorhinein zu ahnen, was die jeweils übergeordnete Autoritätsperson von mir wollte und dementsprechend zu handeln. Kreativität oder Anderssein war gefährlich. Das scheint paradox in einer Zeit, die gerade einen Weltkrieg hinter sich hatte, der von eben dieser Haltung des Gehorsams geprägt gewesen war. Doch es war genau dieser Krieg gewesen, der Machtmissbrauch durch eine mit Gewalt untermauerte Autorität noch immer allgegenwärtig erscheinen ließ. Offenbar stufte mein Unterbewusstsein jegliche Form von Widerstand als lebensgefährlich ein. Ich hatte ständig Angst, etwas falsch zu machen.
familienoberhaupt
Wenn ich heute über meinen Vater schreibe und ihn als Patriarchen definieren kann, so mache ich das aus einer zeitlichen Distanz heraus. Damals war das anders. Mein Vater war mein Wunder-Vater. Zumindest in den Augen seiner Tochter. Er konnte alles, er wusste alles, er durfte alles.
Ich war acht Jahre alt und hatte mein erstes eigenes Fahrrad. Es war funkelnagelneu. Trotzdem dauerte es nicht lange und schon hatte das Rad einen Patschen. Die Luft war draußen und nichts ging mehr. Aber Gott sei Dank hatte ich einen motivierten Vater, der sich daran machte den Schlauch auszubauen und zu flicken. Aber den Schlauch wieder auf das Rad zu montieren war offensichtlich komplizierter, als er mich anfangs hatte glauben lassen. Er schraubte, wurstelte und schimpfte, um dann schließlich mit einem gewissen Maß an Brutalität den Schlauch in die passende Position zu bugsieren. Ich freute mich für ihn, als es geschafft war. Doch als ich sah, wie er vergeblich versuchte Luft in den Schlauch zu pumpen, wich meine Freude einer Ratlosigkeit. Mein Vater begann furchtbar zu schimpfen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich meinem armen Vater so eine Arbeit machte. Schnell zog ich den Schlauch wieder vom Rad und suchte das Loch. Es war ziemlich groß. Möglicherweise hatte sich der Schraubenzieher beim Aufziehen in den Schlauch gebohrt. Mein Vater hielt das hingegen für unmöglich und schimpfte:
„So eine Frechheit, da haben sie uns doch tatsächlich einen alten Schlauch verkauft. Das kann ja nicht funktionieren. Ich werde mich beschweren gehen.“
Dann rauschte er unter Schimpfen ab. Ich gab meinem Vater recht. Es war sicher nicht sein Fehler gewesen. Damals erwartete ich, er würde sofort ins zuständige Geschäft gehen und sich beschweren. Aber es dauerte. Zuvor hatte er noch tausend andere Dinge zu tun. Eine Woche später fasste ich mir ein Herz und sprach ihn auf den kaputten Schlauch an. Schließlich konnte ich eine Woche lang nicht Radfahren. Ich versuchte vorsichtig anzumerken, dass es ja auch beim Montieren passiert sein könnte und man könne das Rad ja in ein Geschäft bringen. Das war das falsche Stichwort. Er begann wieder mit einer Schimpftirade.
„Ja eine Frechheit ist das, ein alter Schlauch“, und er schüttelte den Kopf. „Wie die Händler uns Konsumenten ausnehmen, das geht nicht.“ Meine Mutter nickte eifrig und stimmte meinem Vater lautstark zu:
„Neue Fahrräder mit alten Schläuchen zu verkaufen, für wie dumm halten die uns.“
„Ja“, sagte mein Vater, „das lassen wir uns nicht gefallen.“ Dann sprach er noch lange darüber, wie viele Schläuche er schon gewechselt habe und immer habe es funktioniert. Schließlich fuhren wir alle drei, meine Mutter, mein Vater und ich zum Geschäft um dem unverschämten Verkäufer die Leviten zu lesen. Vor der Türe des Radhändlers fiel meinem Vater plötzlich ein, dass er noch eine wichtige Besorgung zu machen hätte und er schickte meine Mutter ins Geschäft. Diese führte widerspruchslos den Befehl meines Vaters aus, allerdings nicht so wie ich es erwartet hatte. Sie ging demütig ins Geschäft, bestellte mit leiser Stimme einen neuen Schlauch, den sie still bezahlte und damit war die Sache erledigt. Ich war enttäuscht. Warum hatte sie dem Verkäufer nicht die Meinung gesagt. Und wo war mein Vater?
Wieder daheim bat meine Mutter den Hausmeister mein Fahrrad zu richten, der das in wenigen Minuten erledigt hatte.
Beim Abendessen sagte mein Vater laut zu meiner Mutter:
„Aber du hättest den Hausmeister nicht bitten müssen, ich hätte das schon noch gemacht.“ Meine Mutter meinte freundlich: „Aber wir wissen doch, dass du immer so viel zu arbeiten hast, da musst du das nicht auch noch machen.“ Mein Vater grunzte versöhnlich und konzentrierte sich dann auf das Essen.
Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber dieses Erlebnis gab mir eine erste schmerzhafte Ahnung davon, dass mein Vater doch nicht so perfekt war, wie er vorgab zu sein. Zumindest war er kein begnadeter Reifenwechsler und er war auch nicht mutig, sondern überließ unangenehme Sachen gerne meiner Mutter. Aber das durfte ich damals nicht wissen.
Ich