als die wahrheit noch männlich und katholisch war. Franziska Maria Papst

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auch nur als kongenialer Ideengeber zeigte und so seinem Volk böse Feinde zu besiegen half.

      Die lebhaften Bilder meiner Phantasie, die von alten Zeiten erzählten, prägten meinen Zugang zu meinen Mitmenschen. Sie thematisierten zwischenmenschliche Konflikte oder zeigten das Entwicklungspotenzial von Außenseitern auf.

      Besonders mochte ich deshalb auch Geschichten über Jesus. Wenn ich diese hörte, dann waren es nicht einfach Erzählungen, sondern die Figuren wurden lebendig und die Begebenheiten lustig und lehrreich. Jesus hatte runde, braune Augen, mit denen er die Menschen liebevoll anblickte und er hatte eine große Nase, die ihm etwas Seriöses verlieh. Natürlich trug er ein langes, weißes Gewand.

      Ich erinnere mich noch gut an die Geschichte des Zachäus,2 so wie i c h sie erlebte.

      Nach einem langen Fußmarsch war Jesus in ein unscheinbares Dorf gekommen. Es war eine Ansiedlung aus kleinen Lehmhütten und viel Wüstensand mitten in Palästina. Eine Gruppe Menschen hatte sich neugierig auf dem staubigen Dorfplatz versammelt, wo Jesus in langem, weißem Gewand stand und predigte. Auch Zachäus wohnte dort. Er war etwas später hinzugekommen und fühlte sich von der kleinen Menge angezogen. Schon aus der Ferne hatte er Jesu Stimme gehört und war ihr gefolgt, denn dieser Mann hatte etwas an sich, das ihn begeisterte und innerlich glücklich machte. Zachäus hatte lange Locken und einen finsteren Blick. Sein Kittel war etwas zu groß, aber er war aus besserem Stoff gemacht. Kleidung war schließlich eine Prestige-Sache. Als er nun in die Nähe seines Hauses kam und sah, dass Jesus dort predigte, wurde er neugierig. Er kletterte auf einen Baum, um Jesus zu sehen.

      Natürlich stand mir damals so eine Art riesiger Christusdorn vor den Augen. Das ist dieser stachelige Baum mit wenigen kleinen Blättern und roten Blüten, der das Fensterbrett meiner Großmutter zierte. Sie erklärte mir damals sehr stolz, dass dies die Pflanze sei, aus der einst die Dornenkrone Jesu gemacht wurde. Dass dieser kleine Strauch aus Madagaskar und nicht aus Israel stammte und erst im 19. Jahrhundert überhaupt woanders bekannt wurde, hinterfragte sie nicht. Es war auch egal. Es war die Dornenkrone, die es ihr angetan hatte.

      Wie gesagt, in meiner Vorstellung kletterte also Zachäus auf diesen Christusdorn und stach sich Finger und Füße blutig. Aber er konnte Jesus sehen und Jesus sah Zachäus. Wie ein alter Kumpel winkte er Zachäus zu und dieser vergaß vor lauter Freude und Aufregung jeden Schmerz und begann hinunterzuklettern. In diesem Moment verfing er sich mit seinen langen Haaren in den Zweigen des Baumes. Hilflos hing er für einen kurzen Augenblick an den Zweigen fest. Was sollte er tun? Fest an den Haaren reißen oder am Baum rütteln? An den Haaren zu reißen schmerzte ziemlich, also riss er verzweifelt mit den Händen und voller Kraft die Zweige ab und sprang mit zerkratztem Gesicht und blutenden Händen auf den heißen Sand (Blasen auf den Füßen!) um in sein Haus zu laufen.

      Das muss ein Bild gewesen sein. Zachäus war vollkommen blutig, verschwitzt und dreckverschmiert und hatte große Dornenzweige in seinen zerrupften Haaren. Jesus umarmte ihn und zerkratzte dabei ebenfalls seine Hände und sein Gesicht. Ich war sehr bewegt und berührt von der Geschichte und überwältigt von Emotionen, die mich wie heißes Badewasser einlullten. Zachäus war es egal, wie er aussah, ihn kümmerte nicht, ob die Dornen schmerzten oder nicht, er wusste nur eines: Er wurde von Jesus geliebt, so wie er war.

      Meine Kindheit wurde also durch all diese Geschichten, die ich in meinem Kopf erlebte, geprägt. Sie blieben jedoch nicht in meinem Kopf wie ein Theaterstück oder ein Fernsehfilm, sondern ich versuchte danach zu handeln und sie lehrten mich den Umgang mit Menschen. Und sie brannten mir vor allem eine Gewissheit ein: Dass kein Mensch a l l e i n e überleben kann. Wir brauchten einander und wir brauchten Gott. Freunde und Familie zu haben bedeutete, sich gegenseitig unterstützen zu können. Es hieß, ein Netzwerk zu haben auf das man sich verlassen konnte.

      Noch wichtiger war der himmlische Beistand. Mit Gott an der Spitze konnte gar nichts schiefgehen. Natürlich musste es der r i c h t i g e Gott sein, der, der die bösen Philister vertrieb, der von der römischen Besatzungsmacht befreien konnte und der, der uns in Krieg und Unheil zu Seite stand. Fazit: Wenn ich zum richtigen Volk gehörte, dann würde ich von Gott beschützt werden.

      Ich mochte keinen Krieg. Die Erzählungen meines Großvaters hatten genug abschreckende Wirkung gehabt. Ich wollte in Frieden leben, so wie Jesus und Zachäus. Da war es eben notwendig, so gut wie möglich auch seine Feinde zu lieben. Mit Feinde meinte ich natürlich die aus meiner engeren Umgebung. Das war der Nachbar, dem man nicht sympathisch war, oder der Cousin, der immer so dumme Kommentare schob oder auch die Tante, die immer so seltsam roch. Familie blieb Familie.

      Aber da gab es trotzdem noch den Feind, der von außen kam und die Familie zerstören wollte, so wie die Philister oder die Assyrer, die die Israeliten aus ihrem Land vertreiben oder unterdrücken wollten. Es ging also darum, eine möglichst gute Gemeinschaft zu werden, eine gottgefällige Gemeinschaft, damit nicht nur wir uns selbst gut schützen konnten, sondern auch Gott seine schützende Hand über uns ausbreiten konnte. Er war auf unserer Seite, weil wir brav waren. Sündenlos. So wie es ihm gefiel. Gut zu den anderen. Bemüht um Nächstenliebe.

      Ich lernte also von klein auf, dass es wichtig war, sich in eine Gesellschaft und vor allem in die vorgegebene Rolle einzufügen, denn nur eine gute Gesellschaft kann vor dem bösen Feind schützen. Eine Sippe konnte dann möglichst gut überleben, wenn jeder seinen Teil dazu beitrug. Arbeitsteilung hat schon vielen das Leben leichter gemacht. Da gab es die, die auf die Jagd gingen und die anderen die sich um Heim und Essen kümmerten. Da gab es die, die den Clan gegen den bösen Feind verteidigten oder diejenigen, die die notwendigen Gebrauchsgegenstände herstellten. Zu allen Zeiten war das schon so gewesen.

      Ich hatte auf jeden Fall das Glück in eine gut funktionierende Großfamilie hineingeboren zu werden. Dachte ich jedenfalls. Hier war alles streng geregelt. Jeder hatte seine Aufgabe. Die Männer sorgten für Sicherheit und Geld und die Aufgabe der Frauen war es, alles so zu organisieren, dass Familie und Heim funktionierten. Ich mochte meine Familie. Sie beschützte mich. Und Gott, der Herr, schaute auf uns, denn es war alles genau so, wie er sich das wünschte.

      die heilige dreifaltigkeit

      Die Heilige Barbara lebte im 3. Jahrhundert in Nikomedien. Der Legende nach war sie eine sehr schöne und kluge junge Frau. Viele junge Männer aus Nikomedia hielten um ihre Hand an. Barbara jedoch wies ihre Verehrer zurück. Sie wollte nicht heiraten, sondern ihre Jungfräulichkeit Gott weihen. Sie traf sich heimlich mit Christen. Ihr Vater Dioscoros war entsetzt. Seine eigene Tochter verehrte diesen dahergelaufenen, auferstandenen Wanderprediger als Gott. Ein Gott, der noch dazu in einem kleinen Stückchen Brot präsent sein sollte. Der Vaterein angesehener Bürgerwurde nervös. Barbaras Vater war Heide, was zu dieser Zeit nichts Anderes bedeutete, als dass er an andere Götter glaubte, als die Christusjünger. Dem Kaufmann Dioscoros waren die zwölf Götter des Olymps wichtig, Zeus, Hera und all die anderen. Er hatte großen Respekt vor Hades und seiner Gemahlin Persephone, die in der Unterwelt herrschten. Seine Götter waren menschliche Gestalten mit menschlichen Eigenschaften. Sie hatten Gefühle und Gedanken. Der einzige Unterschied zu den Irdischen war, dass Götter unsterblich waren und bei Verfehlungen sehr harte Strafen aussprachen. Sie waren also alles andere als zimperlich. Sie waren verantwortlich für Naturereignisse und Unerklärliches.

       Was sollte Dioscoros tun? Seine eigene Tochter war vom Bösen infiziert und von falschen Göttern verführt! Er versuchte sie mit Worten zu überzeugen.

       „Barbara, du bringst uns in Gefahr! Wir werden uns den Zorn der Götter zuziehen “, warnte er sie eindringlich. Dioscoros wagte kaum daran zu denken, was passieren würde, wenn die Familie den Schutz der Götter verlieren würde.

       Aber das gute Zureden half nicht. Barbara ignorierte ihren Vater und traf sich weiterhin heimlich mit ihren Christen-Freunden. Sie teilten das Brot miteinander. Eine unerklärliche Kraft

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