als die wahrheit noch männlich und katholisch war. Franziska Maria Papst
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Barbara konnte nicht aus dem Turm. Es gab einfach keine Mittel und Wege. Der Turm war gut bewacht. Die Wächter standen auf Seiten des Vaters, die Kontakte nach außen waren spärlich und nur der stumme Wärter brachte Wasser und Brot. Barbara hingegen ließ sich weder ihren Glauben noch ihr Gespräch mit Gott verbieten. Sie betete mit Jesus und ließ sich vom Heiligen Geist leiten. Barbara wusste genau, was die heilige Dreifaltigkeit bedeutete. Gott, die zeitlose, ewige, sich selbst verschenkende Liebe war in Jesus Christus menschlich und geschichtlich erfahrbar geworden. Ein kleines Stück Gott? Nein, ein ganzes Stück Gott. Und der Teil, der noch immer für uns kleine, geschichtlich gebundene Menschen greifbar ist, das ist der Heilige Geist. Kompliziert? Ja, für Theologen schon. Für Barbara schien es ganz einfach. Es musste so sein. Gott war einfach da. In drei verschiedenen Ausdrucksformen, die für das kleine, begrenzte menschliche Wesen erfassbar waren. Wenn sie schon nicht aus dem Turm herauskonnte, dann ließ sie wenigstens ein drittes Fenster in den Turm brechen. Eines für Gottvater, eines für den Sohn und eines für den Heiligen Geist.
Ihre Liebe zu Gott war ihr Todesurteil. Sie hatte keine andere Möglichkeit. Sollte sie verleugnen, was sie wusste? Weil sie Christus liebte, ging sie mit der Gewissheit der Märtyrer der ersten Jahrhunderte in den Tod, den ihr eigener Vater für sie vorgesehen hatte.
Wie Barbara im Turm konnte auch ich direkt mit Gott reden. Oder sagen wir besser, ich wusste, dass da jemand war.
Eines Nachts, ich war noch sehr klein, wachte ich auf, weil ich Geräusche hörte. Es war ein leises Schnaufen und ein dumpfes Tappen, als ob jemand mit schweren Schritten über einen Teppich schleichen würde. Ich riss die Augen auf, um im dunklen Zimmer irgendetwas erkennen zu können und erstarrte als ich eindeutig den Schatten eines großen Tieres erkannte. Ein Nilpferd, nein, ein Rhinozeros! Ganz leise schlich dieses Rhinozeros an mich heran. Es hatte große gelbe Augen und atmete schwer. Es kam immer näher. Ich lag wie versteinert in meinem Bett und versuchte mir einzureden, dass dieses Rhinozeros gar keines wäre, sondern mein Vater, der nachsehen kam, ob ich wohl schlief. Aber es war da. Ein Rhinozeros mit großen, gelben, leuchtenden Augen kam immer näher und näher. Ich hatte Angst. Und in dieser Angst gab es nur einen Einzigen mit dem ich reden konnte und der mir helfen würde. Ich wusste nicht wie er hieß und schon gar nicht, dass es möglicherweise der war, den ich später als Gott identifizieren würde. Er war einfach da. Ich bat ihn, mir zu helfen.
Hokuspokus – wie bei einem Zauberspruch erschien hinter dem Rhinozeros die Muttergottes mit dem Jesuskind am Arm. Sie rief etwas und das Rhinozeros löste sich in Luft auf.
Man mag nun denken, das sind Träume einer Fünfjährigen. Aber diesem Mädchen war es in dem Moment egal, ob der Traum Phantasie oder Wirklichkeit war. Wichtig war etwas ganz Anderes, nämlich die Gewissheit in Sicherheit zu sein. Ein fünfjähriges, kleines Mädchen wusste in diesem Augenblick eines: Da gibt es jemanden, der dich begleitet. Eine Art Zaubermeister. Da können die Erwachsenen sagen, was sie wollen. Ich spürte eine Kraft in meinem Herzen, die mich stark machte. In mir breitete sich eine Sicherheit aus, die bis in die Zehenspitzen ging. Ich konnte Gott spüren, wie ein Kribbeln in den Fingerspitzen, wie eine wärmende, galaktische Flüssigkeit, die sich in meinen Adern breitmachte. Von diesem Moment an wusste ich, so wie die Heilige Barbara damals Ende des dritten Jahrhunderts, da gibt es jemanden, auf den man sich hundertprozentig verlassen kann. Und das war der Christen-Gott, denn Zeus oder Hera waren für mich definitiv keine Option. Woher ich mir so sicher war, dass die Frau mit dem Kind, die mich gerettet hatte, die Muttergottes war, weiß ich nicht. Vielleicht hatte es mir jemand erzählt oder ich hatte die beiden in einer Kirche gesehen. Ich wusste einfach, dass sie es waren. Und von da an begleiteten sie mich.
Genauso selbstverständlich war mir die Heilige Dreifaltigkeit. Nicht als theologisches Gebilde oder auch nicht als Bezeichnung, sondern als Erfahrung. Gott war der, mit dem man reden konnte, er war der, der quasi unsichtbar um mich herum schwebte und in mir war. Ich redete mit ihm. Nur war mir das als Kind definitiv nicht bewusst. Er war eher wie der unsichtbare Freund oder andere Begleiter, den so manche Kinder haben. Er war da und ich habe mit ihm gesprochen.
Und Jesus? Jesus war für mich der Mensch aus den Geschichten. Er war konkret greifbar, als Mensch, den ich zwar noch nicht persönlich kennengelernt hatte, aber wie eine Person über die man spricht und der man möglicherweise eines Tages begegnet. Ich wusste: Jesus war Gott zum Angreifen.
Gott konnte ich überall finden. Jesus nicht. Jesus war für mich in der Kirche. Dort konnte ich hingehen und mich mit seinen Geschichten volllaufen lassen. Ich wusste auch, dass man Jesus im Tabernakel finden konnte, dort wo immer das rote Licht brannte. Jedes Mal, wenn ich in eine Kirche kam, hatte ich das Bedürfnis nachzuschauen, ob Jesus auch wirklich dort drinnen war. Aber natürlich traute ich mich nicht. Ich kniete mich vor dem Tabernakel nieder, in der Hoffnung, dass Jesus von selbst herauskommen würde. Ich stellte mir das ähnlich wie beim Flaschengeist aus Aladdins Wunderlampe vor. Oder auch wie auf den Bildern von Salvador Dalì. Da floss dann ein Wassertropfen aus dem Rand der Tabernakeltür, der langsam Gestalt annahm und zu Jesus wurde. Er blickte mich mit seinen runden, braunen Augen an und fragte liebevoll:
„Na, Babette, welche Geschichte möchtest Du denn heute hören?“ Ich freute mich.
„Die vom Kamel und dem Nadelöhr3“, rief ich begeistert und Jesus setzte sich auf die Stufen des Altares und begann mir die Geschichte vom reichen Mann zu erzählen, der an die Himmelstür klopfte. Vor mir erschien das Bild einer weiten Wüste, nichts außer Sand und Staub und in der Ferne ein paar Berge. Ein mittelalterlicher Kaufmann näherte sich mit seiner Karawane im Schlepptau. Er war in schwarzen Samt und Purpur gekleidet und hatte einen breiten Hut auf dem Kopf, der einen langen Schatten in der Wüstensonne warf. Einsam, mitten in der Wüste stand eine prunkvoll geschmückte Himmelstür. Der Kaufmann wollte in den Himmel kommen und klopfte mit einem strahlenden Lächeln an die Türe. Das laute Klopfen war weit in die Wüste hinein zu hören und schon erschien eine Hand mit einem Zeigefinger und eine dumpfe dröhnende Stimme rief: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“
Der Kaufmann blickte verzweifelt auf seine Kamele, seufzte und eine Träne rann ihm über die Wange. Er würde wohl nie in den Himmel kommen. Neben der Himmelstür stand Jesus in seinem einfachen, weißen Gewand. In der Hand hielt er, lässig wie ein Stabhochspringer nach einem erfolgreichen Wettbewerb, eine riesige Nähnadel. Eines der Kamele des Kaufmanns schlurfte langsam heran und quetschte sich durch das Öhr dieser Nadel. Ich lachte und war unheimlich froh, dass es durchgekommen war. Auch der Kaufmann lächelte wieder. Er hatte die Hoffnung nun doch in den Himmel zu kommen. Jesus war für mich der eigentliche Held der Geschichte, denn er hatte diese riesige Nähnadel.
Der Heilige Geist war für mich das Komplizierteste, denn der war nicht immer da. Er kam und ging wann er wollte. Ich hatte keine Möglichkeit ihn einzufangen, obwohl ich das gerne getan hätte. Er war wie der Wind, der bei uns meistens von Osten kam. Ich mochte den Wind. Er brachte ein Gefühl von Freiheit und eine Gewissheit, dass da etwas Himmlisches war, das gleichzeitig Teil dieser Welt war. Der Heilige Geist war etwas Unbeschreibliches, fern und doch ganz nah. Er war eine Kraft, die sich in der Welt breitmachte. Leider konnte man sie so schwer behalten oder anfassen. Sie war diffus und wolkenweich. Dieser Geist war weniger jemand mit dem ich redete, sondern er redete mit mir, er flüsterte mir Gedanken ein und inspirierte mich plötzlich und unerwartet, wie eine kräftige Windhose, die alles durcheinanderwirbelte. Manchmal zog mich dieser Geist wie ein starker Windsog in seinen Bann.
Gottvater, Jesus und der Heilige Geist waren ein unschlagbares Team. Sie waren immer in meiner Nähe. Soweit meine kindliche, aber sehr lebensnahe Vorstellung der Heiligen Dreifaltigkeit.
eine gutbürgerliche familie
Meine