als die wahrheit noch männlich und katholisch war. Franziska Maria Papst

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу als die wahrheit noch männlich und katholisch war - Franziska Maria Papst страница 12

als die wahrheit noch männlich und katholisch war - Franziska Maria Papst

Скачать книгу

      Tante Maria hatte eine besondere Eigenschaft. Sie konnte reden. Aber sie plapperte nicht irgendetwas, sondern sie hatte die Fähigkeit Dinge auf eine ganz spezielle Art zu hinterfragen. Sie konnte Tatsachen in einem anderen Licht darstellen. Sie motivierte mich Schlechtes (zumindest das, was in meinen Augen schlecht war) erst einmal von einer anderen Seite zu sehen und Gutes kritisch zu durchleuchten. Sie analysierte die Schwierigkeiten des Lebens mit einer Leichtigkeit, die mir auf einmal erlaubte die Proletentussi vom Nachbarhaus nicht zu verurteilen. In meinen Augen war Tante Maria darüber hinaus supermodern. Sie beobachtete Veränderungen und Neues aufmerksam, interessierte sich für Weltpolitik und hatte einen besonderen Blick für den gesellschaftlichen Wandel.

      „Ach, wie hat sich doch die Welt für Frauen in den letzten Jahrzehnten verändert“, hörte ich sie seufzen. „Heutzutage kann jede alles werden.“

      Sie erzählte gerne von ihren Freundinnen, ihrer Mutter oder auch von ihrer Schwester, die schon verstorben war und die so gerne studiert hätte.

      „Bankhausbesitzerin, das wäre meine Mutter gerne geworden“, erzählte Großtante Maria. Ich musste lachen. Bankhausbesitzerin war ein interessantes Wort. Ich fragte mich, welche Vorstellung sich dahinter verbarg. Tante Maria bemerkte mein Amüsement und meinte verständnisvoll:

      „Ja, das kannst du dir schwer vorstellen, aber damals durfte eine verheiratete Frau ohne die Zustimmung ihres Mannes weder einem Broterwerb nachgehen, noch über ihr Geld verfügen, noch ihren Wohnort bestimmen. Aber meine Mutter hatte ein Händchen für Finanzen. Sie erlebte die Blütezeit des Aktienwesens und fieberte mit den Börsenkursen mit. Sie war eine von denen, die sich in der Habsburgermonarchie im Rahmen der bürgerlichen Frauenbewegung engagierten und Forderungen nach einem Wahlrecht für Frauen stellte.“ Tante Maria blickte mich stolz an.

      „Sie war eine sehr bemerkenswerte Frau, aber“, seufzte sie, „sie ist an der Enge der Rolle der Frau gescheitert.“ Meine Tante schwieg eine Weile und fuhr dann gedankenverloren fort: „Ich denke, sie konnte sich nie damit abfinden, dass sie in ihren Entscheidungen an meinen Vater gebunden war.“

      Bei solchen Gelegenheiten erwähnte Tante Maria auch oft ihre Schwester Felicitas. Ich kannte sie nur aus Erzählungen. Sie war um einige Jahre älter als Maria und schon vor meiner Geburt gestorben. Tante Maria beschrieb sie allerdings so ausführlich, dass sie für mich lebendig wurde. Fräulein Feli hieß sie. Sie war Lehrerin. Es war ihr Traumberuf.

      „Die Kinder liebten sie,“ schwärmte die Tante. Feli hätte gerne geheiratet. Aber weibliche Berufstätigkeit und Ehe waren damals unvereinbar und sie konnte sich nie dazu durchringen, ihren Beruf der Ehe zuliebe aufzugeben.

      „Verehrer hätte es damals genug gegeben“, meinte Tante Maria mit Wehmut, „was muss das wohl für eine schwere Entscheidung gewesen sein!“

      Ich denke meine Tante Maria hätte gerne einen anderen Beruf gewählt. Manchmal hatte ich den Eindruck sie wäre gerne Autorennfahrerin geworden, zumindest hatte sie eine Vorliebe für schräge Autos. Und sie hätte mit Sicherheit gerne studiert. Am liebsten etwas Technisches. Aber für eine Dame ihrer Generation undenkbar. Ein Studium zu absolvieren war schon sehr ungewöhnlich für Frauen, geschweige denn eines in einer absoluten Männerdomäne. In meinen Augen hätte sie leicht eine Frau Diplomingenieur werden können. Aber das Leben war anders. Sie hatte früh geheiratet und ihren Mann im Krieg verloren. Ohne Ausbildung und als Witwe schaffte sie es jedoch eine Anstellung in einem Lebensmittelgeschäft zu finden. Zehn Jahre später hatte sie ihr eigenes Geschäft. Sie erzählte oft über ihr Leben, über die Zeit im Krieg und danach und auch über ihre Wünsche und Träume, die sie nie verwirklichen konnte. Das Faszinierende an meiner Tante war allerdings, dass sie zwar bedauerte, dies oder das nicht gemacht zu haben, aber sie ertrank nicht in Selbstmitleid. Im Gegenteil, sie nahm das Leben mit einer gewissen Gelassenheit und sie wurde nicht müde, junge Leute in ihren Zukunftsplänen zu stärken.

      Bei meiner Tante spürte ich etwas, das ich daheim so nie kennengelernt hatte. Es war eine Gelassenheit, die mir Sicherheit gab. Es gab eine geheimnisvolle Kraft, die meine Tante trug und stärkte. In ihrer Gegenwart fühlte ich diese Sehnsucht nach etwas, was jenseits meiner Welt lag und eine unendliche und friedliche Ruhe ausstrahlte, die ich sonst nur von Friedhöfen kannte.

      kirchenparadies

      Es war Tante Maria, die mir diese spezielle Selbstverständlichkeit der Verbundenheit von Himmel und Erde vermittelte. Bei ihr wurde Kirche in einer Weise lebendig, die mir sprichwörtlich unter die Haut ging.

      Messbesuch war für meine Tante Pflicht. Somit war sie auch für uns Kinder selbstverständlich. Die Messe erlebte ich dort in einer Art und Weise, die mich geheimnisvoll anlockte. Der Rosenkranz vor dem Gottesdienst, den vorwiegend alte Frauen monoton vor sich hin beteten, hatte eine ganz eigene mystische Ausstrahlung, die mich in ihren Bann zog. Gleichzeitig hatte ich ein gespaltenes Verhältnis zum Rosenkranzgebet, vor allem wegen der zynischen Bemerkungen, die mein Vater für gewöhnlich fallen ließ und mit denen er meine Tante als bigott und weltfremd verurteilte.

      „Immer diese Madonnen-Frömmelei der alten Weiber“, fauchte er, wenn die Rede auf Rosenkranz oder andere Andachten kam. Mein Vater betrachtete den sonntäglichen Kirchgang sehr nüchtern. Er kam für ihn einer Schulstunde oder einer Nachrichtensendung gleich. Er schätzte gute Musik im Gottesdienst. Gebet oder gar ein meditativer oder künstlerischer Zugang waren ihm hingegen fremd. Wenn meine Mutter meinte, ihn an seine kirchlich-religiösen Pflichten erinnern zu müssen, und sei es nur ein einfaches Tischgebet, dann wich er gerne aus, vergrub sich hinter irgendwelchen Schreibarbeiten und wollte nicht gestört werden. Aber es war sowieso niemandem von uns ein Bedürfnis ihn zu stören.

      Bei meiner Tante erlebte ich das anders. Ihr machte es Spaß in die Kirche zu gehen. Sie war engagiert und gleichzeitig fromm. Sie betete gerne und versuchte allen möglichen neumodischen Schnickschnack, wie sie so schön sagte, in der Kirche umzusetzen. Die Arbeit in der Pfarrgemeinde eröffnete ihr ein Betätigungsfeld. Sie ging auf die Suche nach besinnlichen Texten, kaufte Schallplatten mit christlicher Musik und versuchte vergeblich, den Pfarrer zu modernen Gottesdiensten zu überreden. Am meisten Spaß hatte sie nach der Messe, wenn sie mit ihren Freundinnen die Predigt des Pfarrers zerpflückte.

      „Na, wie der über die Befreiungstheologie geredet hat…“ schüttelte dann die eine den Kopf, „Ist der Leonardo Boff wirklich so schlimm?“

      „Dem haben sie jetzt Redeverbot erteilt.“ flüsterte die andere verschwörerisch.

      „Also, ich habe ihn so verstanden, dass er eine lebendige Kirche der Armen haben möchte…“, mischte sich Tante Maria selbstbewusst ein.

      Schon liefen die Gespräche über Für und Wider in der Kirchenpolitik, über ein zweites Vatikanum, das wohl hoffentlich bald auch bei den Bischöfen ankommen würde und darüber, wer am nächsten Sonntag gleich eine provokante Fürbitte einbauen sollte.

      Für die Frauen blieb der Pfarrer trotz aller Kritik eine Autoritätsperson. Sie verehrten ihn, putzten ihm die Kirche, wuschen ihm die Wäsche und waren stolz, wenn sich Herr Hochwürden zum Mittagessen anmeldete. Tante Maria balancierte dann manchmal zwischen Selbstzynismus und Ehrerbieten und sagte zu den anderen:

      „Na, heute werden wir wieder einmal unserer Frauenrolle gerecht. Die Mägde des Herrn Klerikers sorgen hingebungsvoll für sein Wohlbefinden.“ Aber sie freute sich trotzdem, wenn sie vom Pfarrer „meine große Stütze“ genannt wurde. Er konnte ja doch nicht ohne sie.

      Eines Tages hatte Tante Maria mich gebeten, ihr in der Kirche zu helfen. Die kleine ursprünglich gotische Kirche des Dorfes stand an der Hauptstraße. In der Barockzeit modernisiert, quetschte sich ein riesiger, goldbemalter Hochaltar

Скачать книгу