Ich darf nichts sagen.. Johanna E. Cosack
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Читать онлайн книгу Ich darf nichts sagen. - Johanna E. Cosack страница 11

»Nina, wie schön dich mal wieder zu sehen.« Sein kühler Blick traf direkt in ihr Gewissen. Sie atmete hörbar aus.
»Pierre, warum hast du mir noch nichts von dem Agenturpitch gesagt? Patrick hat mich gerade informiert.«
Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Weil du, liebe Nina, gestern schon kurz nach dem Mittagessen davongerannt bist. Die Kundeninfo kam gegen vier und dann ging sofort eine Mail an alle raus, dass um fünf Uhr ein Team-Meeting stattfindet.«
»Schade, es tut mir wirklich leid, ich … ich hatte einen privaten Termin.«
»Ich verstehe … das war sicher wichtig für dich.«
Nina stutzte. Hörte sie einen spöttischen Unterton in seiner Stimme?
»Nein, eigentlich war der nicht so wahnsinnig wichtig. Aber ich bin echt gespannt, was ich verpasst habe.«
»Nun, das meiste kannst du in den Mails nachlesen.« Pierre zupfte an seiner Krawatte und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Wir haben dich gestern allerdings alle sehr vermisst.«
»Na ja, so wichtig bin ich doch auch nicht.«
»Das stimmt nicht. Ich habe Patrick gestern mal gefragt, du bist schon länger hier als ich und das wird sicher dein fünfzigster Pitch. Im Gegensatz zu dir ist das für ein paar der Kollegen noch keine Routine.«
»Kein Problem, dann schaue ich mir das gleich mal an.« Nina drehte sich weg, um wieder zu ihrem Platz zurückzukehren.
»Moment noch.« Pierre kam um seinen Schreibtisch herum und hielt dicht vor ihr an. Eine Hand griff nach ihrem Arm, während er die andere in seine Hosentasche steckte.
»Nina, dieser Pitch ist sehr, sehr wichtig für uns und besonders für mich, da es mein Neukunde ist. Ich habe mehr als ein halbes Jahr dafür gebraucht, ihn davon zu überzeugen. Wir brauchen daher die ungeteilte und volle Konzentration aller Mitarbeiter, also auch deine, Liebes. Abgabetermin ist Ende April, also schon in sechs Wochen, wir haben daher nur etwas mehr als drei Wochen für die Konzeption, dann ist schon Rebriefing beim Unternehmen. Das bedeutet leider auch Urlaubssperre für alle beteiligten Mitarbeiter.«
Nina riss sich los. »Ich hatte nicht vorgehabt wegzufahren.«
»Das freut mich. Dann können wir also nicht nur auf deine physische, sondern auch auf deine geistige Anwesenheit hier zählen?«
»Natürlich. Klar. Ich mache mich gleich an die Planung.« Nina tappte von einem Fuß auf den anderen.
»Danke, Liebes. Ach, und noch was, die Excel-Tabelle für vorgestern, weiß du die Kostenschätzung für den Kunden Hoffmann … das hat Sandra jetzt übernommen.«
Vorbei an Ferdi, der auf dem Sessel vor Pierres Schreibtisch gewartet und Unterhaltung der beiden verfolgt hatte, rannte Nina zurück in ihren ›Garten‹. Selbst wenn sie wollte und Maxi mitkommen würde, sie könnte in den nächsten Wochen gar nicht zu Michael fliegen. Das würde sie mit Sicherheit den Job kosten.
Tränen bahnten sich einen Weg aus ihrem Herz und sie stürzte in den Waschraum. Niemand sollte sehen, dass sie weinte. Als sie kurze Zeit später wieder zurückkehrte, liefen die Zahnräder der Agentur bereits gleichmäßig und ihre Liste der ungelesenen Nachrichten hatte sich vervielfacht. Nina verbrachte die nächsten Stunden am Telefon, verfasste unzählige Notizen über den Aufgabenbereich des Kollegen und stellte einen ersten Entwurf für den Organisationsablauf zusammen. Nebenbei verfolgte sie Pierre von einem Meeting zum anderen im Laufstil, meistens mit einem Handy in der Hand.
Zwischen den Terminen zupfte er an seinem blonden Zopf oder nestelte an dem bunten Einstecktuch in der Brusttasche seiner Anzugjacke. Seine Miene blieb ausdruckslos und kühl, wenn er ihre Frage kurz beantwortete.
Nina achtete aufmerksam auf seine Wortwahl und auf jede kleine Veränderung in seinem Verhalten ihr gegenüber, denn sie wurde den Eindruck nicht los, dass Pierre distanzierter als sonst war. Lag es daran, dass sie sein Telefonat mitbekommen hatte? Oder an der merkwürdigen CD? Oder doch nur am Stress? Alle anderen Projekte blieben zurückgestellt, bis das Konzept für den Möbelhersteller genehmigt war. Oder bildete sie sich alles nur ein?
Vor den Fenstern dämmerte der Abend und das Licht der riesigen Deckenlampen spiegelte sich in den Scheiben. Ninas Kopf schmerzte. Sie rieb sich die Schläfen, schloss die Augen und sah – Michael, wie er versunken in der Welt seiner Musik am Flügel spielte. Sicher war er schon in Rom angekommen und saß jetzt in einem Hotel oder in einer Gästewohnung der Musikakademie. Möglicherweise war er um diese Uhrzeit in einem Restaurant? Er liebte italienisches Essen.
Sie zuckte zusammen, als jemand sacht ihre Schultern massierte, doch sie ließ die Augen geschlossen und genoss die entspannende Berührung. Aber Michael konnte nicht hier sein? Erschrocken fuhr sie herum und erblickte Ferdi, der die Hände wieder von ihren Schultern gelöst hatte.
»Reicht für heute. Oder?« Er lachte sie an. »Warte, bin gleich wieder da.«
Als Ferdi ein paar Minuten später zu ihrem Schreibtisch zurückkehrte, hielt er zwei Flaschen des Wellness-Getränks in der Hand und stellte eine davon vor ihren mit Post-its geschmückten Mac.
»Nina, Pause! Morgen ist auch noch ein Tag.«
Sie tranken schweigend die süßliche Flüssigkeit; Nina beendete dabei die Programme ihres Computers. Ferdi hatte sich neben ihr auf einen Sessel gesetzt.
»Nina, wir haben dich gestern Nachmittag vermisst.«
»Ja, sorry dafür. Ich musste dringend weg.« Nina zerknüllte einen der gelben Zettel und warf ihn wütend in den Papierkorb.
Ferdi trank einen weiteren Schluck. Aufmerksam verfolgte er ihr Tun.
»Der Agenturpitch hat offensichtlich die allerhöchste Priorität. So aufgeregt wie im Meeting habe ich Pierre schon lange nicht mehr erlebt. Ich hab den Eindruck, dass diese Sache für ihn überlebenswichtig ist.« Ferdi kratzte seinen rotblonden Kopf. »Vielleicht steht ja auch eine Beförderung auf dem Spiel.«
Nina hielt einen weiteren Zettel in der Hand und musste über seine verschwörerische Miene grinsen. »Ja, wer weiß, was Patrick ihm als Belohnung für den Auftrag in Aussicht gestellt hat. Ich vermute, das wird wieder ein Riesenstress mit Nachtschichten, bis der Pitch über die Bühne ist.«
»Genau so sieht’s aus, Nina-Schatz. Du solltest deinen musikalischen Liebsten zu Hause schon mal vorwarnen.«
Sie knüllte weitere Post-its zusammen und schmiss sie so fest in den Eimer, dass sie wieder raussprangen und auf dem Boden landeten. »Hab ich schon getan.« Mit ihrer ganzen Selbstbeherrschung schaffte sie es, die Zettel wieder aufzusammeln und in den Papierkorb zu legen. Ferdi sah sie stirnrunzelnd an.
»Du, ähm Nina … ein paar Kollegen gehen übermorgen in Sachsenhausen was trinken. Magst du mitkommen? Das wär doch mal eine Idee, oder?«
»Ja, vielleicht. Ich weiß noch nicht. Aber lieb, dass du fragst.« Nina trank den Rest ihres Wellness-Getränks und deutete auf Ferdis leere Flasche. »Soll ich deine mitnehmen?«
Ferdi schüttelte den Kopf. »Nein, nein, lass nur stehen. Ich räum die gleich weg.« Beim Aufstehen griff er nach Ninas Flasche. »Du … Nina,« er stockte. »Nina, ist alles okay mit dir? Ich meine, wir kennen uns schon, seit