Ich darf nichts sagen.. Johanna E. Cosack
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»Hey! Was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als ob du gerade dem Teufel höchstpersönlich begegnet wärst.«
Nina blieb erschrocken stehen. »Tut mir leid, Sandra. Ich war wohl gerade etwas abwesend.«
Sandra rieb sich lächelnd die Schulter. »Na, dafür warst du körperlich ganz schön anwesend. Alles okay?«
»Ja, schon. Ich brauch vielleicht einfach mal ’ne Pause.«
»Klingt doch gut. Wollen wir zusammen im ›Spielplatz‹ einen Versöhnungstee trinken?«
Der ›Spielplatz‹ war eine Art Aufenthaltsbereich für die Mitarbeiter der Agentur mit Loungemöbeln, einem großen amerikanischen Kühlschrank und dem beliebten Tischkicker. Nina schüttelte den Kopf. »Nee, du. Ein anderes Mal sicher gern. Aber jetzt hab ich noch einiges zu erledigen und wollte heute mal nicht zu spät hier raus.«
Sie eilte zu ihrem Arbeitsplatz zurück und hoffte, dass Pierre keine Änderungswünsche hinsichtlich der Präsentation hatte. Nur keinen Kontakt mehr, keine unangenehmen Fragen und keine fragwürdigen Blicke von ihm.
Die restlichen Stunden des Nachmittags ging sie ihm aus dem Weg. Nicht noch mehr Probleme und außerdem hatte sie Pierres Privatleben wirklich nicht zu interessieren. Aber irgendetwas stimmte hier nicht.
Selbst auf dem Nachhauseweg drehten sich ihre Gedanken um den Kollegen. Was war mit Pierre nur los und warum benahm er sich so merkwürdig?
Drittes Kapitel
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend stürmte sie die Treppen zu ihrer Wohnung hoch. Nina hatte einen Tisch bei ihrem Lieblingsitaliener reserviert und konnte es kaum erwarten, Michi von ihrer Idee zu überzeugen: für die ersten Wochen doch zusammen mit Max nach Rom zu kommen. Max könnte beim Umzug helfen und sie in der neuen Umgebung entlasten. Dieser Kompromiss schien das Beste und Einfachste für alle zu sein. Es gab keine andere Lösung, denn sie durfte Max keinesfalls zurücklassen. Nein, sie würde ihn niemals allein lassen – so wie Papa.
Als sie schwungvoll die Tür öffnete, schlug ihr eine ungewohnte Stille entgegen. Der gestrige Abend stand augenblicklich wieder vor ihr und machte ihren vorsichtigen Optimismus sofort zunichte.
»Michi?« Nina rannte durch die dunkle Wohnung und klopfte sogar leise an Maxis Tür, aber es war niemand da. Hektisch suchte sie nach ihrer Handtasche, die sie in der Eile achtlos auf dem Boden im Flur geworfen hatte. Doch das Display ihres Handys war leer. Wieso hatte Michael ihr keine Nachricht hinterlassen, dass er noch mal weggegangen ist? Hatte er einen Unfall und lag jetzt schwer verletzt im Krankenhaus? Oder hatte er einen Freund getroffen und war mit ihm in eine Bar gegangen?
Nein, absolut unmöglich. Michi hatte nur einen Freund: seine Musik. Einmal besuchten sie gemeinsam mit Dozentenkollegen ein Konzert eines berühmten Pianisten und waren hinterher in einem Restaurant. Möglicherweise hatte er sich nur mit einem Kollegen festgeredet und die Uhrzeit vergessen.
Sinnlos.
Alle möglichen Szenarien tauchten in ihrer Vorstellung auf und die Ungewissheit raubte ihr fast den Atem. Sie presste die Hände an die Schläfen, denn ihr Herz schlug so laut, dass sie das Echo von den Wänden des schmalen Flurs zu hören glaubte. Mit zittrigen Fingern wählte sie Michis Telefonnummer. Er antwortete nicht. Sie lief zurück ins Wohnzimmer und ließ sich auf einen Sessel fallen. Er hatte sicher Noten oder Unterlagen in der Musikschule vergessen und würde gleich nach Hause kommen, redete sie sich ein. Aber eine schleichende Ahnung ließ sich nicht verdrängen, dass etwas geschehen war, das nicht in ihre gewohnte Welt passte.
Sie war hilflos.
Nina schloss die Augen und atmete. Als sie sie nach ein paar Minuten wieder öffnete, wanderte ihr Blick umher. Seltsam, erst jetzt erkannte sie, dass der Flügel weg und alles sauber und aufgeräumt war! An der Stelle, an der heute früh der zerbrochene Deckel und Bruchstücke des Musikinstruments gelegen hatten, stand nur der Klavierhocker. Auf ihm lagen ein paar dicht beschriebene Notenblätter. Es waren aber keine Noten eines Musikstücks, sondern Michis Handschrift. Langsam wankte sie zu dem Hocker, doch mit jedem Schritt wuchs ihre Angst.
Liebste Nina,
Ich muss gehen, weil ich Dich liebe. Du wirst dies nicht verstehen, noch nicht. Daher müssen wir beide uns Zeit lassen und ich glaube, dass in der jetzigen Situation nur die Zeit, und eine räumliche Distanz hilft, einander wiederzufinden.
Ich habe alle Termine und Kurse abgesagt und wenn Du diese Zeilen liest, bin ich schon auf dem Weg nach Rom. Es ist eine wundervolle Stadt und bin überzeugt, dass es uns dort gefallen würde. Sobald ich ein kleines Hotel in der Nähe der Musikhochschule gefunden habe, lasse ich Dir die Adresse zukommen. Außerdem werde ich in den Semesterferien nochmals zurückkommen, um ein paar persönliche Dinge aus dem Frankfurter Konservatorium abzuholen.
Erinnerst Du Dich, als wir uns das erste Mal dort trafen? Du bist mit Deinem kleinen Bruder im Schlepptau in das Konservatorium gekommen und hast mich gebeten, ihm Klavierunterricht zu geben. Max hatte überhaupt kein Interesse an der Musik, aber ich war sofort von Dir fasziniert. In Dir schlummerte so viel Energie und zugleich so viel verborgener Schmerz. Deine Mutter war damals bereits sehr krank, Du hast Dich um sie gekümmert, Deinen kleinen Bruder versorgt und noch nebenbei Deine Marketingausbildung gemacht. Und – erinnerst Du Dich an unseren ersten Kuss am Mainufer, als wir Max mit ein paar Münzen zum Eisladen geschickt haben? Seit den ersten Treffen und unserer Hochzeit hatte ich Dich nie längere Zeit für mich ganz allein. Trotz alledem war ich bereits seit der ersten Begegnung so sehr in Dich verliebt, dass ich auch auf Max Rücksicht nahm, nur um Dich nicht wieder zu verlieren. Selbst wenn Du mitten in der Nacht fortgerannt bist, um Max von der Polizeistation abzuholen, wenn er wegen irgendeiner Schlägerei wieder einmal Deine Hilfe brauchte, habe ich auf Dich gewartet.
Doch das gestrige Ereignis hat mir deutlich gemacht, dass es nicht länger so weitergehen kann. Seit wir zusammen sind, habe ich versucht, mit Deiner übertriebenen Fürsorge für Max zu leben, auch wenn ich sie bis heute noch nicht verstehen kann, aber ich liebe Dich zu sehr. Die Erfahrungen der letzten Jahre und mein immer stärkerer Wunsch nach einer bislang kaum vorhandenen Zweisamkeit zwingen mich dazu, dich vor die Wahl zwischen Deinem Bruder oder unserer Liebe zu stellen. Maxis Anwesenheit verursacht Aggressionen in mir und zerstört die Harmonie, die ich brauche für meine Kompositionen. Liebste Nina, und ich brauche vor allem dich und Deine wirkliche Persönlichkeit, die Du so erfolgreich vor allen versteckst. Du warst es, der mich dazu befähigte, in immer weitere Höhen der Musik zu schweben, denn Dein geheimnisvoller Schmerz und Deine Liebe, verliehen mir die Flügel dafür. Max hat diese Schwingen mehr und mehr zerstört. Als er gestern Abend auch noch in den Musikflügel gefallen ist, stand es für mich fest, dass nunmehr eine Entscheidung getroffen werden muss.
Am römischen Konservatorium werde ich an meiner Symphonie weiterschreiben. Sie wird Dir gewidmet sein, denn nur durch Dich und die Musik lebe, liebe und atme ich.
Auch wenn es für mich unerträglich sein wird, dich nicht in meiner Nähe zu wissen, so hoffe ich, dass Du mich irgendwann verstehst. Bitte rufe mich nicht an, denn ich habe Angst zurückzukehren in eine Situation, die ich nicht länger ertragen kann.
Ich liebe Dich.
Michael
Ihre